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Aus: Ausgabe vom 19.10.2024, Seite 11 / Feuilleton
Literaturbetrieb

Wie der Frieden, so der Preis

Die transatlantische Scharfmacherin Anne Applebaum erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
Von Reinhard Lauterbach
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Der ukrainischen Regierung gegenüber bemerkenswert loyal: Anne Applebaum

Die Idee, aus dem westdeutschen Kulturbetrieb heraus einen Friedenspreis zu kreieren, stammt von 1950. Seit 1951 wird er unter seinem jetzigen Namen in der Paulskirche zu Frankfurt am Main vergeben – dort, wo 100 Jahre zuvor die erste bürgerliche Revolution in Deutschland zerredet worden war. An seinem Ursprung stand das Bestreben von Autoren und Verlegern, aus einer Situation herauszukommen, in der viele Deutschen nicht unbedingt die Hand geben wollten. Schließlich lagen die Zeiten, als sich das »Volk der Dichter und Denker« als Volk der Richter und Henker gezeigt hatte, noch nicht sehr lange zurück. Mit dem Buchhandel wurde eine Branche als offizieller Patron des Preises gewählt, die sich unter dem Naziregime relativ wenig kompromittiert hatte – obwohl natürlich in deutschen Buchhandlungen zwischen 1925 und 1945 auch »Mein Kampf« und andere faschistische Ideologieschwarten ausgelegen hatten. Man kann festhalten, dass der Friedenspreis bei der Integration des westdeutschen Geisteslebens in die westeuropäische Wertegemeinschaft geholfen hat.

Insofern ist die Vergabe des Friedenspreises für 2024 (am 20. Oktober) an die US-amerikanische, als Ehefrau des polnischen Außenministers Radosław Sikorski in Polen auf Schloss Chobielin bei Bydgoszcz lebende Autorin, Edelfeder liberaler Leitmedien und Verfasserin zahlreicher Bücher zur Verteidigung der liberalen Demokratie gegen die »Autokratie«, einschließlich der Glorifizierung des ukrainischen Geschichtsnarrativs (»Roter Hunger« über die Hungersnot während der Kollektivierung in der Sowjetunion) ein Beweis dafür, wie die Integration des Kulturlebens in die allgemeine politische Stimmungslage und Stimmungsmache auch heute noch der Hauptzweck des Friedenspreises und die Bedingung dafür ist, dass heutige Kulturschaffende im öffentlichen Leben »die Hand gegeben bekommen«.

Wie Anne Applebaum in ihrer Ideologieproduktion vorgeht, lässt sich ganz gut an einem ihrer letzten Aufsätze darstellen. Der Text unter dem Titel »Die einzige Weise, wie der Ukraine-Krieg enden kann: Russland muss den Kampf aufgeben« erschien am 2. Oktober auf der Webseite von The Atlantic. Applebaum gibt darin ihrer von der Einschätzung führender NATO-Offiziere abweichenden Überzeugung Ausdruck, dass die Ukraine nicht nur den Krieg noch gewinnen könne, sondern dass sie ihn auch gewinnen müsse. Das erste, die Möglichkeit, illustriert sie mit Schilderungen von Besuchen in hochgeheimen ukrainischen Labors für elektronische Kriegführung, deren Ort sie nicht sagen darf – ein klassisches Beispiel für eingebetteten Tendenzjournalismus. Sie berichtet von großen unterirdischen Hallen mit Hunderten von Bildschirmen, an denen Ingenieure und Informatiker an neuen Waffen tüftelten. Sie trügen alle Zivil, auch wenn sie faktisch und rechtlich Soldaten der ukrainischen Armee seien. Damit immerhin rutscht Applebaum ein kleines Element der Wahrheit heraus: Es ist offenkundig so, dass die »zivilen Opfer«, die die Ukraine nach russischen Raketenangriffen auf Betriebe der »kritischen Infrastruktur« beklagt, nicht zwangsläufig Zivilisten gewesen sein müssen.

Applebaum ist gegenüber der ukrai­nischen Regierung zu loyal, um über das, was in diesen Laboratorien entsteht, irgendwelche inhaltlichen Angaben zu machen. Ihr Job ist die Verherrlichung zum Beispiel der Hersteller ukrai­nischer Seedrohnen, die inzwischen bereits »ein Drittel der russischen Schwarzmeerflotte ausgeschaltet« hätten – mit diskreter Hilfe westlicher Satellitenaufklärung, aber das sagt Applebaum nicht dazu.

Das zweite Element: Dass die Ukraine gewinnen müsse, bebildert die Autorin mit einem förmlich apokalyptischen Szenario: Wenn nämlich Putin nicht »in der Ukraine gestoppt« werde, dann seien als nächste Ziele Polen und Deutschland im Visier, die Herrschaft der russischen Mafia an der EU-Außengrenze sowieso, nicht zu vergessen das kleine Venezuela, dessen Präsident sich nur wegen Rückendeckung aus Russland nicht mit der von seinen westlichen Gegnern behaupteten Wahlniederlage abgefunden habe. Applebaums ideologischer Gegner ist der Rest von realpolitischem Denken, der in manchen westlichen Ministerien und Staatskanzleien immer noch vorhanden sein dürfte. Diesen Leuten, die sie dafür verantwortlich macht, dass die Ukraine immer noch nicht mit westlichen Distanzwaffen auf Ziele im Inneren Russlands schießen dürfe (mit Drohnen macht sie es ja ohnehin, ohne irgend jemanden zu fragen). Russlands »rote Linien« seien alle Bluff, Wladimir Putin habe noch keine seiner Eskalationsdrohungen wahr gemacht, also werde er es auch künftig nicht tun, folgert sie wenig zwingend; deshalb dürfe der Westen ruhig noch ein paar Umdrehungen drauflegen. Für solche Thesen muss man 2024 einfach den Friedenspreis bekommen, in würdiger Nachfolge des 2022 mit dem Preis ausgezeichneten ukrainischen Hassschreibers Sergij Schadan. George Orwell, dem wir die Newspeak-Formel »Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke« verdanken, blieb in Frankfurt ungepriesen.

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  • Leserbrief von Herbert Becker aus Aachen (21. Oktober 2024 um 14:54 Uhr)
    Als jemand, der sein ganzes Berufsleben in der Buchwirtschaft verbracht hat und auch mit und in den Gremien dieser Branche tätig war, muss ich an einer Stelle dem Autor Reinhard Lauterbach widersprechen: Im Artikel heißt es »Mit dem Buchhandel wurde eine Branche als offizieller Patron des Preises gewählt, die sich unter dem Naziregime relativ wenig kompromittiert hatte«. Es sei daran erinnert, dass bereits im Mai 1933 (!) die Branchenorganisation, also der Börsenverein, voller Stolz dem Minister Goebbels und der Reichsschrifttumskammer meldete, dass »der deutsche Buchhandel judenrein sei und alle Firmen nunmehr unter deutscher Leitung stünden«. Auch sei angemerkt, dass die Arisierungsvorgänge nicht nur in großem Maße, sondern oft auch mit gelindem oder auch stärkerem Druck stattfanden und nach 1945 es oft nicht zur Zurücknahme der Übernahmen kam. Das lag auch daran, dass nicht wenige der früheren Besitzer von Buchhandlungen und Verlagen die faschistische Herrschaft über große Teile Europas nicht überlebt hatten.

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