Der amerikanische Patient
Von Philip TassevPanzerwagen im Regierungsviertel, Scharfschützen auf den Dächern, kreisende Helikopter, Schnellboote auf der Spree – auch wenn der greise Joe Biden kaum noch ein Attentat wert sein dürfte, fuhr die Berliner Polizei beim Abschiedsbesuch des scheidenden US-Präsidenten in der deutschen Hauptstadt die ganz schweren Geschütze auf. Nach seiner Ankunft am Donnerstag abend ließ er sich am Freitag vormittag im Schloss Bellevue erst von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) das Bundesverdienstkreuz anheften – für seine »jahrzehntelange Leidenschaft für das transatlantische Bündnis« –, dann ging es in der gepanzerten Limousine weiter zum Mittagessen mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) im Kanzleramt.
Vorher nahmen sich der »liebe Joe« und der »liebe Olaf« noch die Zeit für gegenseitige Danksagungen und Bekenntnisse vor der versammelten Hauptstadtpresse: zur deutsch-amerikanischen Freundschaft, zur transatlantischen Allianz, zu Israel und – nicht zu vergessen – zur Ukraine. Der Kanzler verkündete den neuen 50-Milliarden-US-Dollar-Kredit für das Kiewer Regime, an dessen Seite man stehen werde, »solange wie das nötig ist«. Es sei Bidens »Führung« zu verdanken, dass im Frühjahr 2022 »Putins Plan gescheitert ist« und »die Ukraine nicht innerhalb weniger Tage überrannt wurde«. Gleichzeitig versprach Scholz, dafür zu sorgen, »dass die NATO nicht zur Kriegspartei wird, damit dieser Krieg nicht in eine noch viel größere Katastrophe mündet«. Biden lobte die Bestrebungen der Bundesregierung, die NATO-Vorgabe, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Aufrüstung auszugeben, zu erfüllen, und forderte dazu auf: »Macht weiter so!« Er wisse, die Kosten für die anhaltende Unterstützung der Ukraine seien hoch, verblassten aber im Vergleich zu »den Kosten, in einer Welt zu leben, in der sich Aggression durchsetzt, in der große Staaten kleinere Staaten angreifen und tyrannisieren, einfach weil sie es können«, behauptete der Präsident und Oberbefehlshaber der größten und aggressivsten Militärmacht des Planeten vollkommen ironiebefreit.
Am Freitag nachmittag trafen auch der französische Präsident Emmanuel Macron und der britische Premierminister Keir Starmer im Kanzleramt ein, um gemeinsam mit Scholz und Biden ein sogenanntes Quad-Treffen abzuhalten. Dabei sollte es nach Angaben aus dem Weißen Haus in erster Linie um den Ukraine-Krieg und die Lage in Westasien gehen. Sowohl in Washington als auch in Berlin wurde die »Hoffnung« geäußert, die Tötung des Hamas-Führers Jahja Sinwar am Mittwoch im Gazastreifen werde den Weg zu Waffenstillstandsverhandlungen frei machen. Israels Präsident Benjamin Netanjahu hatte aber nach Sinwars Ermordung bereits angekündigt, dass sein Krieg noch nicht beendet sei.
Der Besuch von Biden in der Bundesrepublik war eigentlich bereits für das vergangene Wochenende geplant. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij wollte den Staats- und Regierungschef der NATO-Staaten und ihren Verbündeten auf dem US-Luftwaffenstützpunkt im rheinland-pfälzischen Ramstein seinen »Siegesplan« vorstellen. Ein auf Florida zusteuernder Hurrikan zeigte aber, wo angesichts der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA die Prioritäten der »amerikanischen Freunde« liegen. Das Weiße Haus verschob den Besuch Bidens, woraufhin auch das Ramstein-Treffen abgesagt wurde.
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Leserbrief von Hans Schoenefeldt (21. Oktober 2024 um 15:09 Uhr)Am Donnerstag und Freitag vergangener Woche hatte ich Gelegenheit, wieder einmal an Fulgencio Batista zu denken. Batista war der von 1952 bis 1958 diktatorisch regierende Staatspräsident Kubas. In seiner Amtszeit hat er Tausende Gegner seines Regimes fürchterlichen Folterungen unterzogen und viele von ihnen zur Abschreckung aus Flugzeugen geworfen. Dieser veritable Menschenschlächter hat für seine »Verdienste« 1957 von der BRD den höchsten, nur ganz selten vergebenen Orden bekommen. Er nennt sich »Sonderstufe des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland«. Nur ein Jahr später hat Fidel ihn aus dem Land geworfen. Alleiniger Sinn und Zweck des Staatsbesuchs Bidens am 18. Oktober in Berlin war, ihm eben diesen Orden um den Hals zu legen. Die spanische Garotte (Würgeeisen) wäre geeigneter gewesen. Aber ich will den Einfluss seiner Präsidentschaft auf die Weltpolitik angesichts seiner faktisch bereits untergegangenen Sonne nicht überhöhen. Dennoch dürfte »Sleeping Joe« stolz darauf sein zu wissen, in welcher Tradition er steht. Auf seiner »Habenseite« steht u. a. die Ankündigung Nord Stream 2 zu zerstören (was dann auch bald geschah) – mit dem neben ihm stehenden und grinsenden Bundeskanzler. Nicht zu vergessen, die Sanktionen, die er seinem Premiumvasallen zwecks Deindustrialisierung aufnötigte. Doch Undank ist der Welten Lohn. Christoph von Marschall vom Tagesspiegel vermisste beim Besuch die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, die, mit US-Fähnchen bewaffnet, die Straßenränder hätten säumen müssen, um den Präsidenten zu ehren, weil doch »die Deutschen ihm so viel zu verdanken« hätten. Eine solche Ehre hat in Erinnerung an JFK hat nicht stattgefunden. Marschall müsste sagen: »Gut so.« Denn die Gefahr, dass Biden mit faulen Eiern und Tomaten bombardiert hätte werden können, war zu groß. Deshalb fand die Ehrung unter dem Schutz der »auf den Dächern sitzenden Scharfschützen, kreisenden Helikoptern, Panzerwagen und Schnellboten auf der Spree«, so Philip Tassev, unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Oliver S. aus Hundsbach (20. Oktober 2024 um 20:44 Uhr)Dear Mr. President, come take a walk with me … Zu der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes erübrigt sich jeder Kommentar. Es ist zu sehen, dass der aggressivste Teil der internationalen Finanzelite den Kurs Deutschlands bis auf Weiteres bestimmt. Grenzen, Völker und Menschen sind jeweils nur ein Appendix im »großen Spiel« um »big money«. Eine einigermaßen friedliche Kooperation und Partizipation an den östlichen Ressourcen reicht dem Kapital nicht mehr; sie wollen alles. Erschreckend ist auch, wie dreist, unverfroren und von der Öffentlichkeit unbehelligt so eine »Maskerade ohne Masken« aufgeführt werden kann. Unter Bidens Verantwortung wurde die Pipeline gesprengt. Da haben wir aber Glück gehabt, dass unsere Häuser und sonstige Infrastruktur – vorerst – nicht zerbombt wurden und die Kompradorenbourgeoisie Spalier steht, wenn der Chef kommt. Dafür, dass uns das Los der Serben, Libyer usw. bisher erspart blieb, hat er den Orden wirklich verdient. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Blatt, für Deutschland, unter Scholz, spätestens wenn der nächste Kanzler (F. Merz) endlich den Taurus liefert, doch noch zu unseren Ungunsten wendet, ist hoch. Danke Joe Biden!
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Christel H. aus Aschersleben (20. Oktober 2024 um 12:15 Uhr)Man ist sprachlos ob der dreisten Lügen und weiterer dussliger Aussagen des amerikanischen Präsidenten angesichts der vielen Toten, die der Krieg in der Ukraine schon gekostet hat. Und ich bin nicht sicher, ob das wirklich nur an seiner offensichtlichen Demenz liegt. In der Zukunft gibt es nichts Besseres; falls Trump das Rennen macht, muss sich die Welt wieder auf andere Unwägbarkeiten einstellen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (19. Oktober 2024 um 10:33 Uhr)Das Bundesverdienstkreuz für einen Kriegstreiber. Kann ein Land seinen Hegemon noch einen größeren Kotau erweisen? Doch kann es, indem man der US-Forderung nach einem noch größeren Militärbudget nachkommt und man sich für ein 50 Mrd. Euro Paket einsetzt, das einem neofaschistischen Staat Ukraine zugutekommen soll. Angesicht der grassierenden Korruption im Land des Herrn S. eine kühne und gleichzeitig skrupellose Verschwendung von Steuergeldern, die hierzulande unter anderem mit einer sogenannten Krankenhausreform »erwirtschaftet« wird.
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