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Aus: Ausgabe vom 19.10.2024, Seite 4 / Inland
Reaktionärer Staatsumbau

Überwachungsgesetz gestoppt

Vom Bundestag beschlossenes »Sicherheitspaket« teilweise im Bundesrat gescheitert. Union dürfte auf Verschärfungen spekulieren
Von Kristian Stemmler
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Fußballfans von Borussia Dortmund protestieren im Stadion gegen das »Sicherheitspaket« (Dortmund, 1.10.2024)

Der Bundesrat hat das mit den Stimmen der Ampelfraktionen vom Bundestag beschlossene sogenannte Sicherheitspaket, das eine Ausweitung der Überwachungsbefugnisse der Polizei und anderer Behörden beinhaltet, teilweise gestoppt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bezeichnete die Ablehnung vom Freitag durch unionsgeführte Länder als »völlig unverständlich und verantwortungslos«. Tatsächlich dürften nicht bürgerrechtliche Bedenken hinter der Ablehnung stehen, sondern die Absicht, im Falle einer Anrufung des Vermittlungsausschusses von Parlament und Bundesrat weitere Verschärfungen durchsetzen zu können. Den Teil des Gesetzesbündels, der die weitere Einschränkung von Leistungen für Asylsuchende sowie eine Ausweitung sogenannter Messerverbotszonen beinhaltet, hatte die Länderkammer passieren lassen.

Faeser hatte das Paket in der Plenardebatte im Bundestag am Freitag vormittag als die »richtige Antwort auf die aktuelle Bedrohungslage durch islamistischen Terror, Antisemitismus, Rechts- und Linksextremismus« bezeichnet. Die Regierung stärke die »innere Sicherheit«, ohne auf »billigen Beifall zu schielen«. Bei Volksfesten, Märkten, Ausstellungen und ähnlichen Veranstaltungen sowie in Bussen und Bahnen ist künftig das Mitführen von Messern generell verboten. Für Kritik von bürgerrechtlicher Seite sorgt insbesondere, dass die »Sicherheitsbehörden« die Befugnis erhalten, bei Ermittlungen zu besonders schweren Straftaten automatisiert biometrische Daten auszuwerten, etwa zur Gesichtserkennung. Kritisch gesehen wird auch eine Maßnahme, die sich gegen sogenannte Dublin-Flüchtlinge richtet, die bereits in einem anderen europäischen Staat registriert worden sind. Sie sollen in der BRD gar keine Sozialleistungen mehr erhalten.

Der Union gehen die Gesetzesverschärfungen nicht weit genug. Fraktionsvize Andrea Lindholz (CSU) erklärte in der Debatte, es gebe ein »massives Sicherheitsproblem mit der massenhaft illegalen Einwanderung«. Dazu finde sich im »Sicherheitspaket« aber »quasi nichts«. Durch die Modifikationen, die nachträglich noch an den Gesetzen vorgenommen wurden, sei das »Sicherheitspaket« zu einem »Mini-Paketchen« zusammengeschrumpft. Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) verteidigte die Änderungen. Man habe dafür gesorgt, dass die Gesetzesnovellen vor dem Bundesverfassungsgericht bestehen könnten.

Klaus Ernst vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) begrüßte die Verschärfungen im Asylrecht. »Wir brauchen eine Begrenzung der Migration«, sagte er. Grenzkontrollen seien richtig. Ernst sprach sich auch für den Einsatz von biometrischer Gesichtserkennung aus, dies müsse aber »zielgenau und eng begrenzt« geschehen. Scharfe Kritik an den beschlossenen Maßnahmen übte dagegen Clara Bünger (Die Linke). Diese legitimierten »rechtspopulistische und rechtsextreme Narrative«. Den Entzug von Sozialleistungen für »Dublin-Flüchtlinge« bezeichnete Bünger als »unmenschlich«.

Diese Maßnahme wurde auch von der Organisation Pro Asyl und den Landesflüchtlingsräten kritisiert. Aus Anlass ihrer Herbsttagung in Erfurt bezeichneten sie den geplanten Entzug der Sozialleistungen als »offensichtlich verfassungswidrig«. Dieser führe »zu vorsätzlich herbeigeführter Wohnungslosigkeit und Verelendung bei Schutzsuchenden«, sagte Pro-Asyl-Sprecher Tareq Alaows. Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, erklärte, mit den Verschärfungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht nehme die Bundesregierung »Obdachlosigkeit und Not Schutzsuchender in Kauf«.

Ein Bündnis, dem unter anderem die Hackervereinigung Chaos Computer Club e. V. und Amnesty International Deutschland angehören, sprach zuvor von einem »gefährlichen Überwachungsvorhaben« mit biometrischer Massenüberwachung und »Gesichterdatenbank«.

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