Bei Suhrkamp gibt es nichts
Von Peter MergSeien Sie bitte nicht überrascht. Das, was Sie erleben, wenn Sie die nicht eben günstigen 28 Euro berappen, um einen Tag als Besucher auf der Frankfurter Buchmesse zu verbringen, hat wenig mit dem zu tun, was man allerorten über den Mythos Messe lesen kann. Die Empfänge, die Partys, die großen Sausen der schreibenden Zunft. – Sie sind leider nicht eingeladen (außer zum freitäglichen Cuba-Libre-Empfang am jW-Stand, aber das nur am Rande).
Es muss Sie nicht grämen. Sie werden hier wahrscheinlich weitaus mehr Spaß haben als die Profis an den Ständen. Sie können sich schließlich schlicht mit Büchern beschäftigen, von denen es hier noch immer viele schöne, wahre und gute hat, sogar ein paar, die »subversiv und kritisch sind« und die »Demokratien zum Laufen bringen« (haha, Frau Roth).
Für die Fachbesucher ist die Messe dagegen Tanzstunde, Tortur und Therapie. Am Freitag feierten die unabhängigen Verlage in Halle 3.1 ab 17 Uhr das eigene Überleben. »Wir tanzen aus der Reihe« lautete das Motto, es hätte auch »Da sind wir aber immer noch« lauten können. Denn den meisten kleineren Häusern, die hier ausstellen, geht es nicht gut. Viele haben es sich dreimal überlegt, ob sie sich die Standgebühren plus Transportkosten, Reise und Unterkunft leisten können. Durch die Coronajahre war man noch durchgekommen, da hatten manche Leute Zeit zum Lesen, aber die Inflation macht ihnen nun ernsthaft zu schaffen. Die Papierpreise steigen, das bezog man früher nicht selten aus Russland, dazu frisst der Internetversandhandel Unmengen an Kartonage. Kommen dann noch Kapazitätsprobleme bei einer Druckerei hinzu und ein, zwei Manuskripte später als geplant, muss selbst ein mittelgroßer Verlag schon mal den Großteil seines Sachbuchprogramms um eine Saison verschieben. Vor allem aber sinkt die Zahl derer, die sich insbesondere etwas kostspieligere Bücher noch leisten können. Die Käuferreichweite sinkt stetig. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, aber man will vielleicht auch mal in den Urlaub fahren oder ein Bier trinken.
Das gönnt man sich am Stand des Verlags Antje Kunstmann. Es gibt Schlappeseppel aus Aschaffenburg, eine in der Binding-Wüste Frankfurt am Main bekömmliche Wahl. Die Münchner dürfen verhalten optimistisch sein. Noch scheinen dem u. a. auf komische Kunst spezialisierten Verlag die Leser nicht auszugehen, werden uneigentliches Sprechen, Spiele mit Klischees und absurder Witz nicht allgemein zum Problem erklärt. Als ND-Feuilletonleiter Christof Meueler fragt, ob das Brauereilogo mit dem »lahmen Seppel« heute, da man in Fragen politischer Korrektheit besonders empfindlich geworden ist, überhaupt noch zeitgemäß sei, antwortet Sarah Käsmayr vom feinen Maro-Verlag trocken, sie habe mit echtem Sexismus mehr Probleme. Von dem gibt es im Brauereiwesen wie in der ach so weiblichen Buchbranche gerade genug. Politischer wird es an diesem Freitag abend allerdings nicht (obwohl sich langsam rumspricht, dass ein gewisser Jahja Sinwar sein wenig bedauerliches Ende gefunden hat). Noch 2017 empörte man sich gemeinsam über neurechte Verlage auf der Buchmesse und plante Gegenproteste. Heute kommen die Faschisten in Regierungsverantwortung nach Frankfurt und bekommen die kalte Schulter. Probleme des Buchdrucks sind hier dringlicher als solche des Rechtsrucks.
Beim Elfenbein-Verlag, Heimat einer Klabund-Werkausgabe und der »Kleinen Griechischen Bibliothek« gibt es Sherry und Port, beim Verbrecher-Verlag Crémant. Bei Suhrkamp gibt es nichts. Nicht mal die eigenen Standmöbel, dafür IKEA-Regale von der Messe. Baumarkt-Witze verbieten sich, der neue Eigentümer Dirk Möhrle leitete bekanntlich die Max-Bahr-Kette. Pleite ist das 2010 nach Berlin gezogene Frankfurter Traditionshaus trotz sechsstelliger Verluste natürlich nicht, aber man schaut jetzt genauer hin. Dieses Jahr also keinen der berühmten Kritikerempfänge, die Unseld-Villa in der Klettenbergstraße wird verkauft. Man hat kaum noch Bestseller, einen Jubiläumsspezialisten wie Daniel Kehlmann, einer der wenigen deutschen Literaten, der wirklich Geld bringt, hatte man blöderweise einst kurz vor seinem großen Durchbruch an Rowohlt verloren. Selbst Nobelpreise wie für Peter Handke und Annie Ernaux bedeuteten keine reißenden Absätze, und auch die berühmte »Backlist« garantiert nicht mehr stete Einnahmen. Bertolt Brecht, Max Frisch, selbst Hermann Hesse, der Fels, auf dem Siegfried Unseld seine Kirche baute, – sie alle sind nicht mehr Schullektüre, auch an den Unis aus der Mode. Da kann einem kulturkritisch zu Mute werden.
Dennoch macht Suhrkamp-Verleger Jonathan Landgrebe einen sehr aufgeräumten, fast heiteren Eindruck. Weil er mit Möhrle gut kann und die eigenartige Unseld-Witwe Ulla Berkéwicz bald los ist? Vielleicht war er auch einfach auf der Party des Kinderbuchverlags Carlsen. Die muss, wie alle sagen, die da waren, rauschend gewesen sein. Man hat Grund zum Feiern: Den Kleinen wird zwar weniger vorgelesen, doch die Umsätze mit Kinder- und Jugendbüchern steigen. Doof nur, dass die meistens bei Konzernen laufen. Besonders boomen die Sparten »New« resp. »Young Adult«, dem die Frankfurter Buchmesse die ganze Halle 1.2 schenkt und es auf ihrer Homepage so beschreibt: »Prickelnd, poetisch, provokant – hier dreht sich alles um große Gefühle, kleine Intrigen und die richtige Prise Herzschmerz.«
Die Groschenromane werden uns retten. Ein prickelnder Gedanke.
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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