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Aus: Ausgabe vom 19.10.2024, Seite 10 / Feuilleton
Fernsehen

Reineckerland: Vor 50 Jahren strahlte das ZDF die erste Folge von »Derrick« aus

Von Arnold Schölzel
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Mit dem Ende des Krieges setzte seine Erinnerung aus: »Derrick«-Drehbuchautor Herbert Reinecker (1989)

Über »Derrick«, der am 20. Oktober 1974 in die ZDF-Welt kam, ist in dieser Zeitung bereits bestens Formuliertes gedruckt worden. So nannte Christof Meueler unter der Überschrift »Warum guckt Derrick so traurig?« die Krimiserie 2011 »eine der härtesten Drogen, die das ZDF jemals unter die Leute brachte und die erfolgreichste – sie lief 24 Jahre lang und wurde in über 100 Staaten exportiert«. 2013 ergänzte Reinhard Jellen: »Wer das Klischee von der Entdeckung der Langsamkeit für das Fernsehen bemühen möchte, kann bei ›Derrick‹ vom Marcel Proust unter den Krimiserien sprechen.«

Beide jW-Autoren kamen in ihren Texten sofort auf das zu sprechen, was hinter der düsteren Ästhetik der Serie, dem fatalistischen »Derrick« alias Horst Tappert (1923–2008) und seinem Erfinder, einem der erfolgreichsten deutschsprachigen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, steckt: die SS-Vergangenheit des Schauspielers und die Nazikarriere des »Derrick«-Drehbuchautors Herbert Reinecker (1914–2007). Tappert behauptete noch 1998, im Zweiten Weltkrieg Straßen in der Sowjetunion gebaut zu haben und Sanitäter gewesen zu sein. 2013 wurde bekannt, dass er Panzergrenadier der Waffen-SS im Regiment »Totenkopf« gewesen war. Das ZDF strahlt seit 2016 keine »Derrick«-Folgen mehr aus.

Im »Totenkopf«-Regiment diente auch Reinecker, mit dem sich das Autorentrio Rolf Aurich, Niels Beckenbach und Wolfgang Jacobsen 2010 in dem Band »Reineckerland« befasst hatte. Meueler schrieb dazu: »Die Verdrängungsleistungen dieses Mannes korrespondierten hervorragend mit denen seines Publikums: Der frühere faschistische Autor bediente nach Kriegsende das Bedürfnis nach dem Wegdämmern im Wohnzimmer.« In den 30er Jahren hatte Reinecker erst in der Presseabteilung der Hitlerjugend gearbeitet, trat in die SS ein und schrieb für die damals fällige Kriegstüchtigkeit. 1942 wurde er Leiter der »Reichszeitschrift der Hitlerjugend«, die den Titel Junge Welt trug, verfasste Kriegsreportagen und Theaterstücke, darunter »Das Dorf bei Odessa«, das als »ein nationalsozialistisches Musterschauspiel« galt. In den Worten von Aurich, Beckenbach und Jacobsen ist es »ein Drama der gefälschten Gefühle, der bewussten Parteinahme für die Unmenschlichkeit«. Er begleitete als Journalist die Umsiedlung der Deutschen aus dem damals zu Rumänien gehörenden Bessarabien, das 1940 von der Sowjetunion besetzt wurde, in das von Deutschen besiegte Polen. In seinen Worten hatte er dabei »etwas von der Gewalt der Rasse« gespürt.

Mit dem Ende des Krieges setzte seine Erinnerung aus, was nicht weiter von Belang war: Ab Ende der 40er Jahre war er wieder im Rundfunk-, Film- und dann Fernsehgeschäft. 1956 kam zum Beispiel auf die westdeutschen Kinoleinwände – sozusagen zum Start der Bundeswehr – der Spielfilm »Der Stern von Afrika«, dessen Drehbuch er geschrieben hatte. Der »Stern« war ein deutscher Kampfflieger, der »die Briten« reihenweise vom Himmel holte. Reales Vorbild war Hans-Joachim Marseille, ein Offizier, der von Hitler mit höchsten Auszeichnungen bedacht worden war und dessen Namen in Nazideutschland 1941/1942 jedes heranwachsende Kind kannte. Aber 1956 ein toter Held. Das kann die Stimmung trüben. Reineckers Biographen: »Seine traurig blickenden Fernsehkommissare sind, bei aller demokratisch ummäntelten Milde, stets höhere Autoritäten, Vertreter einer nicht hinterfragbaren Staatsmacht, die den Sieg davontragen muss, weil der Staat ein Wert an sich ist.« Und heute wieder kriegstüchtig werden soll. Bei besserer Stimmung.

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