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Aus: Ausgabe vom 19.10.2024, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Attraktiver denn je

Von Arnold Schölzel
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Auf einer ganzen Druckseite lässt die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) am Freitag den emeritierten Friedens- und Konfliktforscher Herbert Wulf über die BRICS-Staaten schreiben. Überschrift: »Der Traum von einer multipolaren Welt«. Anlass ist der BRICS-Gipfel ab 22. Oktober im russischen Kasan.

Das Wort »Traum« taucht nur in der Schlagzeile auf, nicht im Text – es ist offenbar der Sehnsucht eines NZZ-Titelredakteurs nach heiler, also westlich dominierter Welt entsprungen. Denn Wulf, der Stärken und Schwächen der BRICS-Staatengruppe untersucht, kommt zu dem Schluss, dass es sich bei ihr nicht um eine Illusion handelt. Seine zentrale Feststellung lautet: »Heute, in der zweiten Dekade seines Bestehens, ist das BRICS-Bündnis attraktiver denn je zuvor. Die erweiterte BRICS-plus-Gruppe könnte in der Tat zu einem geopolitischen Umbruch führen und die bisherigen globalen Machtverhältnisse grundsätzlich verändern.«

Starke Worte für »eine lose Gruppierung, eine negierende Koalition, die vor allem einen Konsens darüber hat, was sie ablehnt«. Es handelt sich nach Wulf um »Staaten, außer Russland alles Schwellenländer, die mit der herrschenden Weltordnung unzufrieden sind«. Sie kritisierten in unterschiedlicher Vehemenz »das liberale Narrativ von Demokratie und Menschenrechten, das von westlichen Regierungen oft lehrmeisterhaft vorgetragen wird«. Das ist bis zur Verdrehung freundlich formuliert: Arroganz ist lästig, aber lediglich Begleiterscheinung der endlosen Kriege, mit denen der Westen unbotmäßige Staaten überzog. Das ist das Programm des liberalen Westens seit dem Untergang der Sowjetunion. Westliche Demokratie bedeutet seit 1991 Überfall ohne Hemmungen.

Das ist ein von Wulf ausgeblendeter Grund, warum »der Verbund für viele Länder des globalen Südens interessant« ist. Wulf führt richtigerweise die Ökonomie als entscheidend ins Feld: »der rasante wirtschaftliche Aufschwung« vor allem Chinas und Indiens. Die Daten: Das Bruttosozialprodukt von BRICS ist mit 35 Prozent höher als das der G7-Staaten, die von 50 Prozent Anfang der 80er Jahre auf 30 Prozent zurückgefallen sind.

Das führt zu schwerwiegenden Fehlkalkulationen wegen Realitätsverlusts. Wulf: »Unerwarteterweise hat der Krieg Russlands gegen die Ukraine die Stärkung der BRICS-Gruppe zur Folge.« Das Ziel der westlichen Allianz, »Russland zum internationalen Paria zu machen« und durch Sanktionen »wirtschaftlich zu treffen«. Eine »nicht beabsichtigte Folge dieser Sanktionen« seien jedoch »gravierende Störungen des internationalen Handels«. Kein BRICS-Land unterstütze Russland offen, aber sie seien »besorgt, weil die umfassenden westlichen Sanktionen gegen Russland auch im globalen Süden negative Konsequenzen haben«. So hätten sich die Spannungen zwischen dem Westen und vor allem den USA als dessen Hegemon »und dem globalen Süden weiter verstärkt«. Die Kriege im Sudan, im Jemen, in der Sahelzone oder sonstwo fänden »nur dann Aufmerksamkeit in westlichen Medien«, wenn unmittelbare Interessen tangiert seien.

Auch wenn die von den BRICS-Staaten geplante »Entdollarisierung« nach Wulfs Meinung gescheitert ist, ist der Aufstieg der Gruppe für ihn die globale Haupttendenz. Die von ihm genannten BRICS-Schwächen sind dabei beachtlich – Staaten sehr unterschiedlicher Verfassung und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, Konflikte wie zwischen China und Indien oder Äthiopien und Ägypten. All das ändert an seinem Urteil aber nichts.

Am Mittwoch bezeichnete Albaniens Ministerpräsident Edi Rama in der Berliner Zeitung die BRICS als »Witz«. Ihm genügen offenbar ein paar von Italien finanzierte Internierungslager als Investitionsöffner. Ein übler Witz.

Am Mittwoch bezeichnete Albaniens Ministerpräsident Edi Rama in der Berliner Zeitung die BRICS als »Witz«. Ihm genügen offenbar ein paar von Italien finanzierte Internierungslager als Investitionsöffner. Ein übler Witz.

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