»Diese Rechtsnorm ist verfassungswidrig«
Interview: Gitta DüperthalWeil Sie auf der Transparenz- und Rechercheplattform »Frag den Staat« Gerichtsbeschlüsse zu Durchsuchungen bei Mitgliedern der »Letzten Generation« veröffentlicht hatten, verurteilte Sie das Berliner Landgericht am Freitag zu 20 Tagessätzen à 50 Euro. Das Gericht sah das Zitieren der Beschlüsse als Straftat an – mit welcher Begründung?
Es gibt ein absolutes Veröffentlichungsverbot für derlei Dokumente. So ist es im Paragraphen 353 d Nr. 3 des Strafgesetzbuchs festgehalten. Deshalb hat das Gericht den Straftatbestand als erfüllt angesehen. Tatsache ist auch, dass ich zugegeben hatte, besagte Gerichtsbeschlüsse veröffentlicht zu haben. Ich gehe aber davon aus, dass diese Rechtsnorm verfassungswidrig ist.
Sie waren das Risiko der Anklage bewusst eingegangen, um zu zeigen, dass der Paragraph die Pressefreiheit einschränkt und folglich aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden muss. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützte Sie beim Verfahren. Wie geht es nun weiter?
Wir wollen damit vor den Bundesgerichtshof ziehen, und dann weiter vor das Bundesverfassungsgericht, um dort feststellen zu lassen, dass dieses absolute Veröffentlichungsverbot in die Pressefreiheit eingreift, verfassungswidrig und damit aus unserer Sicht unzulässig ist.
Sie waren also nicht überrascht vom Urteil?
Nein. Man hätte den Paragraphen durchaus als nicht verfassungskonform auslegen und mich freisprechen können. Aber es hatte sich angedeutet, dass das Gericht das nicht machen würde. Das bietet uns jetzt die willkommene Möglichkeit, das vom höchsten Gericht weiter prüfen zu lassen. Bei einem Freispruch hätte die Staatsanwaltschaft in Revision gehen können. Auch so hätte man ein klares Signal gehabt, dass eine Veröffentlichung solcher Daten nicht möglich ist. Das Urteil ist aus unserer Sicht kein Drama, wir werden jetzt weiter kämpfen.
Weshalb bleiben Sie so hartnäckig?
Hier ging es nicht nur um die Hausdurchsuchungen bei den Beschuldigten der »Letzten Generation«, sondern auch um das Abhören von Pressetelefonen. Die Staatsanwaltschaft hatte sehr tiefgreifende Ermittlungsmaßnahmen beantragt. Es erfolgten Grundrechtseingriffe bei den Beschuldigten sowie bei Journalistinnen und Journalisten. Die müssen unbedingt vor Gericht diskutiert werden. Insbesondere wurde im Beschluss des Amtsgerichts München zum Abhören des Pressetelefons deutlich, dass es dazu überhaupt keine Abwägung gab. Die Pressefreiheit wurde nicht mal erwähnt. Weil die Debatte um die Aktionen der »Letzten Generation« so hitzig geführt wurde, war es aus unserer Sicht notwendig, diese Beschlüsse im Original lesen zu können. Um sachgerecht darüber zu diskutieren, Informationen richtig einordnen zu können und eine kritische Debatte zur Argumentation vor Gericht zu ermöglichen, ist es wichtig, wortgetreu zu zitieren. Dem steht ein absolutes Veröffentlichungsverbot entgegen.
Gibt es weitere konkrete Beispiele, weshalb es wichtig sein kann, aus Gerichtsbeschlüssen zitieren zu dürfen?
Ursprünglich war auch der Fall der Hausdurchsuchungen der Redaktion des Radio Dreyeckland Teil des Verfahrens, weil es dort eine Verlinkung zur verbotenen Internetplattform »Linksunten.Indymedia« gab. Das wurde aber eingestellt. Auch dies war ein öffentlich sehr umfangreich debattiertes Verfahren, es wurde viel darüber berichtet. Der Umgang mit der »Letzten Generation« ist also kein Spezialfall. Die Relevanz des Paragraphen 353 d stellt sich beim journalistischen Arbeiten häufig.
Wie stehen die Chancen, dass die Ampelregierung aktiv wird, um die Pressefreiheit politisch auszuweiten?
Das Justizministerium hat gerade einen Referentenentwurf geschrieben, worin genau davon aber keine Rede ist. Wir sehen das Justizministerium und den Bundestag in der politischen Verantwortung. Diese Gesetzgebung, die untersagt, aus Gerichtsbeschlüssen zu zitieren, muss noch in dieser Legislaturperiode verändert werden. Schließlich gibt es schon seit Jahrzehnten Kritik am Paragraphen 353 d Nr. 3 des Strafgesetzbuchs, weil er die Pressefreiheit einschränkt.
Arne Semsrott ist Chefredakteur der Transparenz- und Rechercheplattform »Frag den Staat«
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