»Für viele war dies die einzige Chance«
Von Marc BebenrothIm 75. Jahr nach Gründung von BRD und DDR lässt die Berliner Republik keinen Anlass ungenutzt, symbolisch erneut über den sozialistischen deutschen Staat zu siegen. So wurden jüngst die Vertragsarbeiter aus Ländern wie Mosambik, Vietnam und Angola allesamt zu Opfern der »SED-Diktatur« erklärt. Warum fordern heute noch Menschen Zahlungen von der Bundesrepublik wegen ihrer Zeit als DDR-Vertragsarbeiter?
Ich bin absolut dafür, Respekt und Anerkennung für diese Menschen zu fordern. Aber ich denke, was die sogenannte SED-Opferbeauftragte beim Bundestag, Evelyn Zupke, am 30. September in der Bundespressekonferenz veranstaltet hatte, ist viel eher eine verdeckte Aktion, um Respekt und Anerkennung für die Opfer der Renamo-Gewalt in Mosambik zu generieren, für die die NATO und insbesondere auch die Bundesrepublik mit ihrem BND mitverantwortlich waren.
Was hat das eine mit dem anderen zu tun?
Was bislang weitgehend ausgeblendet wurde, ist die Frage, weshalb sich überhaupt so viele junge Menschen aus anderen Kontinenten dafür entschieden hatten, Ende der 70er als Vertragsarbeiter in die DDR zu kommen. Ganz einfach: In Mosambik, um bei diesem Beispiel zu bleiben, wütete ein grausamer Bürgerkrieg. Die Renamo war eine konterrevolutionäre Bande, die von den Portugiesen, also der ehemaligen Kolonialmacht, vom Apartheidregime Südafrikas und von der NATO unterstützt wurde.
Wie hatte sich die DDR dazu verhalten?
Die DDR hatte neben der Ausbildung von jungen Menschen, die hier einen Beruf erlernten, sogenannte Vertragsarbeiter, auch Studenten ausgebildet und direkte Qualifikationen, Facharbeiter- und Meisterausbildungen angeboten und zudem zusätzlich große Entwicklungshilfeprojekte vor Ort auf die Beine gestellt. Das waren Millionen an Hilfeleistungen. Solidaritätsmaßnahmen hieß das damals. Der Einsatz von Entwicklungshelfern in Mosambik war wegen des Bürgerkriegs nicht einfach. Einige mussten ihr solidarisches Engagement dort mit dem Leben bezahlen.
Auf besagter Pressekonferenz wurde der DDR-Regierung vorgeworfen, die Vertragsarbeiter betrogen, ausgebeutet und isoliert zu haben. Sie forschen seit Jahren zum Thema. Was ist an den Vorwürfen dran?
Das kulminiert immer in den bekannten unbewiesenen Behauptungen: Vertragsarbeiter hätten isoliert gelebt, keine Kontakte haben dürfen, seien ausgebeutet worden und so weiter. Das ist alles – auf Deutsch gesagt – Stuss. Sie haben mehr verdient als ein Akademiker zu DDR-Zeiten. Ich sehe die Umkehr der wirklichen damaligen Verhältnisse als verzweifelten Versuch an, das solidarische Engagement der DDR-Bevölkerung zu verleumden. Wenn man in die Archive geht, wenn man die Betroffenen fragt: Die seiner Zeit davon profitierenden Menschen haben ein ganz anderes, realeres Bild auf die DDR, als es heute im staatlich beeinflussten Narrativ dargestellt wird.
Was mich als Kolonialhistoriker besonders aufregt, ist die Tatsache, dass diejenigen, die von ausbeuterischen Verhältnissen oder gar von »Sklavenarbeit« reden, einfach von dem ausgehen, was man aus der Bundesrepublik von den sogenannten Gastarbeitern kannte – die wurden ja, wie viele Studien schon zur deutschen Zweistaatlichkeit belegen, ausgebeutet und hatten schlechte Arbeits- sowie Lebensbedingungen. Nun wurden diese Verhältnisse einfach auf die DDR übertragen.
David Macou, der von 1979 bis 1991 als mosambikanischer Vertragsarbeiter in der DDR lebte, warf dieser und der Regierung in Maputo am 30. September vor, dass ohne sein Einverständnis ein Teil seines Verdienstes einbehalten und zur Tilgung der Schulden des afrikanischen Staates genutzt worden war.
Das war tatsächlich so festgelegt zwischen den beiden Regierungen. Aber dadurch ist keiner der Betroffenen am Bettelstab gegangen. Im Gegenteil. Die haben gut verdient und haben auch in der Regel bis 1990 ihre an die Nationalbank in Maputo überwiesenen Gelder, wie im Vertrag festgelegt, bei ihrer Rückkehr in Mosambik erhalten. Als die Vertragsarbeiter aber dann zu Zehntausenden in den 90er Jahren zurückgekommen sind, klappte das nicht mehr. Über die Gründe gibt es verschiedene Auffassungen. Aber im Prinzip ist klar, wo die Gelder geblieben sind.
Nämlich?
Man sollte in dem zuständigen Ministerium in Maputo recherchieren. Aber das ist schwierig, wie auch schon das Auswärtige Amt und sein Botschafter in Mosambik vor etwa zwölf Jahren feststellen mussten, als aufgrund der Überprüfung der Fakten offiziell bestätigt wurde, dass die DDR alle ihre diesbezüglichen Verpflichtungen erfüllt hat. Das hat übrigens auch der damalige Afrikabeauftragte der Bundeskanzlerin (Günter Nooke, jW) so gesehen und geschrieben. Nun taucht allerdings sein Name unter dem »Appell« auf, der auf der Bundespressekonferenz vorgestellt wurde. Also könnte es durchaus um eine verkappte Wiedergutmachung der Bundesrepublik für die Opfer der damals von ihr unterstützten Konterrevolutionäre gehen.
Ein Vorwurf des Vertragsarbeiters Macou lautet, in Mosambik bis heute im Stich gelassen worden zu sein und keine Arbeit zu haben. Er habe eine Ausbildung in der DDR-Tagebauindustrie gemacht, was ihm in Mosambik nichts genützt habe. Wie erging es den zahlreichen Betroffenen, die die abgewickelte DDR verlassen mussten?
Bei der Pressekonferenz trat ja auch die damalige Staatssekretärin des letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière auf. Almuth Berger sollte damals die Verhandlungen mit Mosambik führen, wie mit den Vertragsarbeitern weiter verfahren werden soll. Mittlerweile haben wir Informationen aus Mosambik, dass es gar keine richtigen Verhandlungen gegeben habe. Berger soll die Anweisung von de Maizière beziehungsweise von den Westberatern erhalten haben, dafür zu sorgen, dass die Vertragsarbeiter zurückkehren können, mit einem Obolus von 3.000 Mark – bezahlt von ihren bisherigen Betrieben – als »Ausgleich« für einen völkerrechtlichen Vertragsbruch. Um Genaueres zu erfahren, müssen wir die laufenden Recherchen in Mosambik abwarten. Jetzt wollen einige der damals Verantwortlichen der mosambikanischen Regierung aufgrund der vielen hierzulande verbreiteten Fake News bei der Aufklärung behilflich sein.
Fakt ist, dass die mosambikanische Regierung so überrascht war, dass sie gar nicht wusste, was sie mit den Heimkehrern anfangen sollte und hat diese nach deren Rückkehr sogleich in die Armee eingezogen. Die mosambikanische Bevölkerung sah die Heimkehrer, die 1990 und 1991 zu Tausenden zurückgekommen sind, als privilegiert an: Sie hatten nicht den Bürgerkrieg direkt erleben müssen, hatten nicht in Angst und Armut gelebt. Das war ein großes Problem für die zurückgekehrten Vertragsarbeiter.
Auf wie viele Jahre waren diese Verträge damals angelegt, zum Beispiel im Falle von Mosambik?
Das begann 1979 und war auf fünf Jahre begrenzt. 1984 waren die Verträge also ausgelaufen und die nun ausgebildeten Arbeiterinnen und Arbeiter sollten vertragsgemäß zurückkehren. Neue sollten dann wieder als Auszubildende in die DDR kommen. Es gab dann nicht wenige, die auf ein gutes Leben in der DDR zurückblickten und deswegen bleiben wollten. Wir reden hier von schätzungsweise 80 bis 90 Prozent der Vertragsarbeiter. Der Vertrag wurde für viele verlängert. So konnten einige in der DDR verbleiben, andere bereits Heimgekehrte konnten wieder zurückkommen. Diese brauchten in der Regel nicht mehr einen Beruf zu erlernen, sondern sind gleich in die Produktion eingestiegen und konnten somit nicht wenig Geld verdienen. Jedenfalls mehr als ich und andere junge Akademiker in der DDR.
Der Plan war, dass diese Menschen dazu befähigt werden, in ihren Herkunftsländern eine neue industrielle Basis aufzubauen.
Tatsächlich sollte hier ein Industrieproletariat herangebildet werden und in Mosambik gleichzeitig eine Industrieproduktion entstehen. Das hätte letztlich ein gewaltiges entwicklungspolitisches Projekt werden können, wenn es nicht den Bürgerkrieg gegeben hätte. Für viele der jungen Mosambikaner war dies die einzige Chance, Geld zu verdienen und zu überleben. Zumal Apartheid-Südafrika die Wanderarbeit von etwa einer Million Mosambikaner verboten hatte, die bislang ein bisschen Geld in den Minen verdient hatten. Das waren die beiden wichtigsten Gründe, warum die marxistische Regierung sich an die DDR wandte, um die unzähligen jungen Leute, die keine Perspektive hatten, von der Straße zu bekommen. Die DDR-Führung hatte zunächst Bedenken, der Bitte nachzukommen, denn Maputo war so in Bedrängnis, dass die Menschen lediglich als Hilfsarbeiter kommen sollten. Mit dem solidarischen Grundverständnis der DDR-Bevölkerung war dies nicht vereinbar: Man konnte doch nicht Arbeitskräfte aus Afrika holen, damit diese bloß die Straße fegen. Also ließ man sie einen Beruf erlernen. Tausende konnten in der DDR so einen Berufsabschluss machen.
Schließen Sie sich der Forderung nach Ausgleichs- oder Entschädigungszahlungen durch die BRD an?
Ja, wenn diese als Zeichen von Respekt und Anerkennung als kleine Entschädigung für die bis zu 900.000 Menschenleben und den mehr als fünf Millionen Vertriebenen, die der Bürgerkrieg hinterlassen hat, eingesetzt werden. Und dazu zählen, wenn man so will, auch die durch die Bundesregierung zurückgeschickten Vertragsarbeiter.
Ulrich van der Heyden ist Afrikahistoriker und Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt südliches Afrika. Er hat hierüber sowie zu Vertragsarbeitern in der DDR mehrere Bücher verfasst
Hintergrund: Beauftragte braucht Opfer
Sie habe als Oberschülerin die von ihr erlebte »Diskrepanz zwischen Propaganda und Realität« nicht mehr hinnehmen wollen, heißt es auf der Internetseite des Bundestages über die in der DDR geborene und aufgewachsene Evelyn Zupke. In ihrer Funktion als sogenannte SED-Opferbeauftragte des Bundestages wirkt die heute 62jährige an einer solchen »Diskrepanz« fleißig mit. Ihrem antikommunistischen Auftrag folgend, hat Zupke am 30. September in die Bundespressekonferenz geladen. Im Gepäck hatte sie die Idee für eine Bundestagsinitiative, mit der ehemalige mosambikanische Vertragsarbeiter in der DDR Ausgleichszahlungen erhalten sollen. So soll die BRD ihrer Verantwortung für das »Unrecht, das von deutschem Boden ausging« gerecht werden.
Gemeint ist damit, dass rund 20.000 Menschen aus dem Bürgerkriegsland Mosambik in der DDR aufgenommen, mit Industriearbeitsplätzen versorgt sowie zum Aufbau ihres Landes ausgebildet worden waren.
Als eine Art Kronzeuge berichtete David Macou, der von 1979 bis 1991 als mosambikanischer Vertragsarbeiter in der DDR gelebt hatte und sich nach eigenen Angaben von beiden Staaten bis heute um seinen Lohn betrogen fühlt. Er sei ohne Lohn in sein Herkunftsland zurückgekehrt, erklärte der frühere Tagebauarbeiter. Tatsächlich war gemäß der Vereinbarung zwischen der DDR und Mosambik ein Teil der Löhne einbehalten worden, um die Schulden des afrikanischen Landes zu begleichen. (mb)
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