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Aus: Ausgabe vom 21.10.2024, Seite 8 / Ansichten

Waffenbrüder

Treffen von Scholz und Erdoğan in Istanbul
Von Nick Brauns
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Bundeskanzler Olaf Scholz und Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Samstag auf der Pressekonferenz in Istanbul

Die auf eine gut 150jährige Geschichte zurückblickende deutsch-türkische Waffenbrüderschaft läuft wieder rund. Das signalisierte der Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz am Wochenende beim türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. »Selbstverständlich« werde der NATO-Partner deutsche Waffen erhalten, sicherte Scholz eine enge Kooperation im Rüstungsbereich zu. Auch ihren Widerstand gegen den Verkauf von »Eurofighter«-Kampfflugzeugen an die Türkei hat die Bundesregierung aufgegeben. Schon in den vergangenen Monaten sind die von Berlin genehmigten Rüstungsexporte in die Türkei steil angestiegen und liegen erstmals seit 2011 wieder im dreistelligen Millionenbereich.

Die Waffenlieferungen waren seit 2016 – dem Jahr des gescheiterten Putsches mit nachfolgendem Ausnahmezustand in der Türkei sowie des ersten Einmarsches der türkischen Armee in Nordsyrien – zurückgefahren worden. Zwar befinden sich weiterhin Zehntausende politische Gefangene in türkischen Knästen. Und weiterhin hält die türkische Armee Teile Syriens mit Hilfe eines islamistischen Söldnerheeres besetzt und dringt auch im Nordirak vor. Doch um menschen- und völkerrechtliche Erwägungen ging es nie im deutsch-türkischen Verhältnis. Ein Grund für Scholz’ Entgegenkommen dürfte vielmehr in der Sorge vor einer weiteren Annäherung der Türkei an die chinesisch-russisch-geführte BRICS-Gruppe liegen. So hat Ankara die Absicht zum BRICS-Beitritt erklärt und ist diese Woche zum Gipfel im russischen Kasan eingeladen.

Ein Jahr vor den Bundestagswahlen sucht die innenpolitisch von rechts unter Druck geratene Bundesregierung zudem Erfolge bei der Abschiebung abgelehnter Asylsuchender. Hier hofft Berlin auf ein Entgegenkommen Ankaras bei der Rücknahme von über 15.000 ausreisepflichtigen türkischen Staatsbürgern, darunter insbesondere Kurden, die im Falle ihrer Abschiebung mit Repressalien in der Türkei rechnen müssen.

Demonstrativ uneinig zeigen sich die beiden Regierungschefs bezüglich der Lage in Nahost. Während Erdoğan Israel eines Völkermordes in Gaza beschuldigte, wies Scholz dies zurück. Nach außen gibt sich Erdoğan als Anwalt der Palästinenser und Freund der Hamas. Doch der laut Erdoğan verbotene türkische Handel etwa von Stahl und Baustoffen mit Israel läuft nun über palästinensische Mittelmänner weiter, wie der Journalist Metin Cihan in der Tageszeitung Evrensel nachgewiesen hat. Selbst Stacheldraht zum Schutz seiner Siedlungen im besetzten Palästina bezieht Israel aus der Türkei.

Dem Land kommt die Rolle des trojanischen Pferdes der NATO in der islamischen Welt zu. Erdoğans wortgewaltige, aber folgenlose Drohungen gegenüber Israel dienen neben der Bindung seiner religiösen Wähler vor allem seiner Street Credibility auf der arabischen Straße. Das ist auch Scholz bewusst, so dass der Auftritt in Istanbul als Spiel der beiden NATO-Partner mit verteilten Rollen zu werten ist.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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