»Man behauptet, der Krisenfall sei gekommen«
Interview: Kristian StemmlerBundesverteidigungsminister Boris Pistorius, SPD, hat am Montag ein neues Kommandozentrum der NATO in Rostock eröffnet. Welche Aufgaben hat dieses?
Diese Dienststelle, die Commander Taskforce – kurz CTF – Baltic, soll aus militärischen und zivilen Daten – demnach wohl auch aus den Positionsbestimmungen von Fischerbooten – ständig ein Bild der Lage auf der Ostsee erstellen und den NATO-Partnern übermitteln. Sie soll auch Manöver leiten. Im Krisen- und Konfliktfall, wie es bei der Bundeswehr heißt, also unter Kriegsbedingungen, soll sie Operationen der NATO-Marinen in der Ostseeregion planen, koordinieren und führen.
Erst im September hatte die NATO bei der Übung »Northern Coasts« mit mehr als 1.000 Soldaten die sogenannte Bündnisverteidigung auf der Ostsee geübt – auch als »Signal an Russland«. Sehen Sie einen Zusammenhang zur Eröffnung der Basis?
Das war bei »Northern Coasts« 2023 auch schon so. Unter der Leitung des Stabes German Maritime Forces – Deu Marfor – der Deutschen Marine wurde vor den Küsten Lettlands und Estlands – Nachbarstaaten Russlands – »Stärke gezeigt«. Das betrachtete die deutsche Marine damals als wichtigen Schritt zur vollen Einsatzbereitschaft von Deu Marfor als NATO-Hauptquartier. Deu Marfor stand für die NATO und, nebenbei gesagt, auch die EU, bereit. Die Entwicklung zum Hauptquartier war lange geplant. Jetzt ist sie vollendet worden.
Ein großer Kritikpunkt ist, dass mit dem neuen Kommandozentrum gegen den Zwei-plus-vier-Vertrag verstoßen werde. Sehen Sie das auch so?
Nein, das ist Stimmungsmache. Es werden keine ausländischen Streitkräfte laut Zwei-plus-vier-Vertrag, Artikel 5 Absatz 3, im Sinne von Regimentern oder Bataillonen oder auch nur Schiffen nach Rostock verlegt, sondern einzelne Offiziere anderer NATO-Marinen arbeiten bei CTF Baltic mit. Wie schon seit Jahren bei Deu Marfor. Und außerdem: Deutschland ist NATO-Land. Daran würden auch ein paar Uniformträger mehr oder weniger nichts ändern. Der wahre Skandal besteht darin, dass man uns einreden will, der Krisenfall, für den der Ausbau von Deu Marfor zum NATO-Hauptquartier immer vorgesehen war, sei jetzt gekommen.
Rostocks Oberbürgermeisterin Eva-Maria Kröger, Die Linke, hat erklärt, sie sehe das Ganze »mit gemischten Gefühlen«. Ängste, dass Rostock zum Angriffsziel werden könnte, würden ihr überall in der Stadt begegnen. Wie bewerten Sie das?
Diese Ängste sind selbstverständlich vorhanden und auch legitim. Man sollte aber nicht nur gegen den Krieg sein, weil er einen selbst treffen kann. Zu kritisieren ist die deutsche Kriegspolitik, die solche Angriffe wahrscheinlich macht, aber erst, nachdem sie in anderen Ländern für Tod und Zerstörung gesorgt hat. Zu beklagen ist auch, dass Militärisches in der Stadtgesellschaft immer noch zu viel Rückhalt genießt. Wir haben Rüstungsproduzenten in Rostock und das Marinekommando sowie den einzigen deutschen Korvettenhafen. Vorheriges Jahr hatten wir hier die UDT, die weltgrößte Messe für Unterwasserrüstungstechnologien, unter anderem mit Programm für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Wir konnten diese Messe leider nicht verhindern.
Der Ostseeraum wird aufgerüstet, in Litauen stationiert die Bundeswehr eine Brigade. Der NATO und der deutschen Bundesregierung scheint nicht bewusst zu sein, was für einen brandgefährlichen Eskalationskurs sie hier fahren. Oder meinen Sie, dass man es auf eine Konfrontation anlegt?
Letzteres ist der Fall. Wir sehen die Aufnahme ehemals neutraler Länder wie Finnland und Schweden in die NATO, wir beobachten die Manöver – »Northern Coasts« ist übrigens eine Erfindung der deutschen Marine – , wir wissen von den deutschen Kriegsschiffen bei den »Standing NATO Maritime Groups«, den schnellen Eingreiftruppen der NATO auf den Weltmeeren, und haben nun die Situation, dass die deutsche Marine die Funktion des CTF Baltic an sich gezogen hat. Mit diesem NATO-Hauptquartier spielt sie jetzt die führende Rolle beim Anheizen der Konfrontation im Ostseeraum.
Cornelia Mannewitz ist Bundessprecherin der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) und Sprecherin des Landesverbands Mecklenburg-Vorpommern
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uns alle und auch die ganze Welt ins Verderben bringen kann! Ja, wir brauchen eine Zeitenwende, wo es heißt Butter statt Kanonen, aber ich glaube bis dahin ist es noch ein weiter Weg, zur Zeit werden uns Waffenlieferungen, Aufrüstung bis hin zur Kriegstüchtigkeit als Friedensengel verkauft! Ich frage mich, haben diverse Politiker und Strategen hierzulande aus dem Elend der letzten zwei Weltkriege nichts gelernt?