»Seit drei Jahren besteht kein Kontakt zur Außenwelt«
Interview: Henning von StoltzenbergSie haben vom 1. bis zum 10. Oktober eine Kampagne für die Freilassung des Gründers der Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, Abdullah Öcalan durchgeführt. Was gab es für Aktivitäten im Rahmen der Kampagne?
Während der weltweiten Aktionstage standen Themen wie Frauenbefreiung, radikale Demokratie, Ökologie, lokale Selbstverwaltung, Gerechtigkeit, Krieg und Frieden, sowie alternative Lösungen für globale Krisen im Fokus. Als »Freiheit für Öcalan-Initiative Deutschland« haben wir in vielen deutschen Städten Aktionen organisiert, unter anderem kulturelle und künstlerische Veranstaltungen, Lesekreise und Bildungsveranstaltungen und symbolische Aktionen, ökologische Projekte, Onlineaktionen und -veranstaltungen sowie Brief- und Postkartenaktionen.
Was ist über den Gesundheitszustand von Öcalan bekannt?
Öcalan ist seit 25 Jahren inhaftiert und seit über drei Jahren vollständig isoliert. Eine solche Einzelhaft erfordert eine kontinuierliche Überwachung des physischen und psychischen Zustands, doch unabhängige medizinische Untersuchungen fehlen. Berichte weisen auf gesundheitliche Probleme wie Atemwegserkrankungen und Hautreizungen hin, verursacht durch die Bedingungen auf der Gefängnisinsel İmralı. Zudem gibt es den Verdacht, dass Öcalan 2007 über seine Nahrung vergiftet worden ist, da toxikologische Analysen Spuren giftiger Metalle nachwiesen. Aufgrund der anhaltenden Isolation und des mangelnden Zugangs zu unabhängigen medizinischen Untersuchungen kann nicht ausgeschlossen werden, dass er erneut vergiftet wird. Insgesamt bleibt sein Gesundheitszustand jedoch ungewiss, da seit über drei Jahren kein Kontakt zur Außenwelt besteht.
Rund 1.500 Anwältinnen und Anwälte aus aller Welt haben bei den türkischen Behörden einen Antrag auf Besuch auf der Gefängnisinsel İmralı gestellt. Wie reagierte die türkische Justiz darauf?
Eine Antwort des türkischen Justizministeriums auf den Antrag blieb aus. Frühere Initiativen internationaler Rechtsorganisationen, die das Ziel hatten, die Isolation Öcalans und seiner Mitgefangenen zu durchbrechen, stießen ebenfalls auf taube Ohren bei der türkischen Regierung. Trotz Aufforderungen des UN-Menschenrechtsausschusses, europäischer Rechtsprechung und einer Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarats weigert sich die Türkei, diese Form der Isolation auf İmralı zu beenden.
Halten Sie es für realistisch, seine Freilassung zu erreichen?
Definitiv. Seine anhaltende Isolation sowie das Verbot von Anwaltsbesuchen verstoßen gegen nationales und internationales Recht, unter anderem die UN-Mindestregeln für die Behandlung von Gefangenen, auch bekannt als Nelson-Mandela-Regeln und das türkische Vollzugsgesetz. Zudem verstoßen diese Maßnahmen gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung untersagt. Wenn internationale Gerichtsbarkeit durchgesetzt und politischer Druck auf die Türkei ausgeübt wird, ist seine Freilassung realistisch.
Ihre Kampagne fordert eine politische Lösung für die kurdische Frage. Können Sie Ihre Ansätze dazu kurz skizzieren?
Die kurdische Frage entstand im Kontext des Sykes-Picot-Abkommens von 1916 und wurde durch den Vertrag von Lausanne 1923 besiegelt. Das Abkommen teilte Kurdistan auf vier Staaten auf. Seitdem verfolgen die Türkei, Iran, Irak und Syrien eine Politik der Assimilation und Unterdrückung. Eine gerechte und demokratische Lösung der kurdischen Frage erfordert internationale Anerkennung der historischen Verantwortung, insbesondere durch europäische Staaten. Öcalan – als Repräsentant der Kurdinnen und Kurden – wird von Millionen weltweit als ihr Vertreter anerkannt. Seine Freilassung und Beteiligung an einem politischen Prozess könnten eine friedliche Lösung der kurdischen Frage ermöglichen, die Zehntausende Menschenleben gekostet und Millionen vertrieben hat.
Imam Kahraman ist Sprecher der Initiative »Freiheit für Öcalan«-Initiative Deutschland
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