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Aus: Ausgabe vom 23.10.2024, Seite 8 / Ansichten

Schlecht gespielte Wut

Vorwürfe an Özoğuz
Von Knut Mellenthin
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Der Klügere gibt nach: Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz (Berlin, 31.1.2024)

Der Shitstorm von Springers Bild, von FDP, CDU und deutschen Kriegsausrüstern gegen Annalena Baerbock und Robert Habeck wegen eines herbeiphantasierten »Waffenembargos« gegen Israel war noch gar nicht verweht, als Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz (SPD) in die Schusslinie geriet.

Angela Merkels Integrationsbeauftragte in den Jahren 2013 bis 2018 soll sich nach Ansicht der üblichen Ankläger des Antisemitismus und des Israel-Hasses schuldig gemacht haben, auf die als Mindeststrafe der Rücktritt stehen sollte. Der ihr angelastete Fauxpas: Sie hatte am vorigen Mittwoch einen Post der US-amerikanischen Gruppe »Jewish Voice for Peace« auf Instagram geteilt, also billigend weiterverbreitet. Zu sehen war eine Flammenwand mit dem Text »This is Zionism«. Entstanden war die Aufnahme am Montag voriger Woche bei einem israelischen Luftangriff auf ein Zeltlager von Flüchtlingen im Gazastreifen, durch den vier Menschen lebend verbrannten und Dutzende andere Verletzungen, zum Teil Verbrennungen von 60 bis 80 Prozent, erlitten.

»Jewish Voice for Peace«, unter deutschem Namen auch in der BRD präsent, ist, wie der Name schon sagt, ein Zusammenschluss von Juden, die Israels Politik gegenüber den Palästinensern kritisch betrachten und sie unter anderem als Ergebnis der Staatsdoktrin des Zionismus bewerten. Auf ihrer Website heißt es (ins Deutsche übersetzt): »Wir stellen uns eine Welt vor, in der alle Menschen – von den USA bis nach Palästina – in Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit und Würde leben. Wie Generationen jüdischer Linker vor uns kämpfen wir für die Befreiung aller Menschen. (…) Wir stellen uns jüdische Israelis vor, die von der Pflicht zur Gewalt gegen Palästinenser entlastet sind, frei davon, andere zu entmenschlichen. (…) Wir stellen uns jüdische Israelis vor, die sich mit Palästinensern zusammentun, um eine gerechte Gesellschaft aufzubauen, die auf Gleichheit statt Überlegenheit gründet, auf Würde statt Beherrschung, auf Demokratie statt Enteignung – eine Gesellschaft, wo jedes Leben kostbar ist.«

Wenn jemand das für »Israel-Hass« hält, muss man fragen, was für ein Israel sich diese Leute wünschen. Özoğuz zog es vor, den Post und die Gruppe »Jewish Voice« nicht zu verteidigen, sondern sich ohne Stellungnahme zur Sache dafür zu entschuldigen, »dass durch den geteilten Beitrag Gefühle von Mitbürgerinnen und Mitbürgern verletzt wurden, die für ein friedliches Zusammenleben einstehen«. Das ist ebenso ehrenwert wie taktisch klug: Gegen die üblichen Ankläger wäre sie nicht angekommen. Der Rücktritt wurde vorerst abgewendet.

Aber: Was sind das für Leute, die sich nicht über das Verbrennen von Menschen empören, aber bei Protesten dagegen in schlecht gespielte Wut geraten, die im Grunde nur auf das Ende der Ampelregierung abzielt, also das Antisemitismusthema schäbig instrumentalisiert?

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