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Aus: Ausgabe vom 23.10.2024, Seite 10 / Feuilleton
Literatur

Zeichen und Plunder

Mariusz Latas Buch »nachspielzeit«
Von Vincent Sauer
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Entgegen anderslautenden Gerüchten keine Beuys-Installation, sondern echtes Betonscheißhaus für Tramführerinnen

Der Debütband von Mariusz Lata, er heißt »nachspielzeit«, beginnt mit einer glatten Lüge. Genauer gesagt, mit einem Bildunterschriftenschwindel. Denn bevor es mit Text losgeht, ist eine Schwarzweißfotografie auf Seite zwei abgedruckt. Nicht sonderlich professionell geschossen wirkt sie. Abgebildet wird ein potthässlicher kleiner Betonklotz mit Rasenfleck; zwei Türen sind zu sehen, eine mit Sicherheitshinweis und Zutrittsverbot; ein kleines Fenster gibt’s, durch das ein bisschen Licht in den Kubus gelangen soll, vor allem aber: ein ältlich wirkender Stuhl, gepolstert, leer, steht einsam da.

Angeblich, also laut Bildunterschrift, handelt es sich hierbei um eine Installation des BRD-Schamanen, Naziluftwaffenbordfunkers, Sozialplastikers und Kunstprofessors Joseph Beuys, die den Titel trägt »der türhüter ist gerade auf ­toilette«. Passt zum Kafka-Jubiläumsjahr 2024, ist aber Schmu, denn der Autor Lata, der das Bild gemacht hat, gibt auf Seite 20 freimütig zu, was es damit auf sich hat:

»Ich photographiere das Betonscheißhaus für die Tramführerinnern. An der rechten Seitenwand steht ein Stuhl, der da stehengelassen wurde. Die schwächeren Trinkerinnen setzten sich da hin, oder sie lehnen an den mit faustgroßen Steinen dekorierten Wänden des Betonscheißhauses. Die Hinfälligen bspw.; dürr dürr dürr. Du musst, wir müssen lachen. Ich nenne das Bild ›Der Torhüter ist gerade auf Toilette‹, denn der Stuhl steht an einem Aussichtspunkt & niemand weiß, wo überall noch gelugt wird. Mit Lügen / Lugen ist immer zu rechnen. Ich möchte es Joseph Beuys unterschieben. In Schwarz-Weiß sieht es wie das Jahr 1979 aus. Ich verschiebe die Tristesse in die Vergangenheit, die etwas verheißen hat, als wollte ich, dass es nie Verheißung gegeben habe; dass die Verheißung, dass die Versprechen Trugbilder gewesen seien, wie der Name des Photos.«

Wir merken also: Lata fürchtet sich nicht davor, die Dinge beim Namen zu nennen. Ein Scheißhaus ist ein Scheißhaus ist ein Scheißhaus. Großen Respekt für Autoritäten der Kulturgeschichte stellt er nicht aus. Aber auf die Sprache schaut er doch sehr genau. Und er denkt in seinen Texten über ernste Fragen nach, ohne fesche Theoreme seiner Gegenwart zu zitieren. In der ­Prosa klingen etwa Sätze von Marx und Rosa Luxemburg an, aber sie werden nicht herbeizitiert, um Spalier zu stehen.

Solche nicht gerade vor Trost strotzenden Orte wie das Betonscheißhaus findet man wohl überall in Deutschland, Lata aber lebt im Ruhrpott. Er hat studiert, gejobbt, verdient sein Geld wohl meistens als Möbelpacker. Um die Welt der Buden geht’s, wo man tagein tagaus sein Bier, viele Biere trinkt. Latas Prosa spielt keine Fiktionen vor, wo inszenierte Schicksale ausgetragen werden, aber Leute mit wenig Geld, die keine clever angelegten Karrierepfade verfolgen, kommen hier vor. Man säuft. »du denkst mit dem herzen sprichst mit dem arsch«, schreibt Lata gleich mehrmals in den Texten.

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»du denkst mit dem herzen / sprichst mit dem arsch« – Mariusz Lata sagt, wie’s ist

Die Region hat wirtschaftlich bessere Tage gesehen. Eine Stadt geht in die andere über. Für Profitorientierte erlebt sie gewiss ihre »nachspielzeit«. Dabei geht es nicht um tollen Lokalkolorit, sondern in einer Gegend, die der Autor vermutlich bestens kennt, wird mehr gesehen, mehr wahrgenommen und erkannt und dann Anlass zum Auf- und Niederschreiben, als in den großen Erzählungen Platz hätte.

»Niemand sei niemandem oder jeder und jedem eine Trauerweide«, heißt es in dem Text. »Niemand löste sich auf und kam jemandem abhanden«, und über, aus, gegen das Verschwinden schreibt Lata letztlich auch. Er charakterisiert, was er da macht als »prosa.sentenzen.schund.« Der Schund ist aber kein Schrott. Der Autor versammelt nicht einfach die Hässlichkeiten einer Welt, die ihm nicht passt, weil um ihn herum alle saufen und sich keine schöne Zukunft mehr einbilden können. Statt dessen zeigt er, wie man im Verschandelten besteht, in dem man durchaus fühlend denkt und dann spielerisch, aber mit konkreten Erfahrungen gespeist mit der Sprache arbeitet.

Eine freie und doch verbindliche Assoziation von Sätzen, teils Sentenzen, entsteht. Die Sätze brauchen gar nicht unbedingt disziplinierende Satzzeichen, Prosablöcke und freistehende Worte und Wortfolgen wechseln sich ab. Kein strenges Narrativ wird geschnürt, um zu zeigen, dass jemand von A nach B läuft; in keinen ausgedachten Gehirnen wird Rast gemacht. Über Bedürfnisse nach höherem Sinn in kommoder Poesie macht sich Lata lustig: »Auflesen, ablesen. / Aufleben, ableben. / Oh, es gibt noch Zeichen – : & Plunder.«, um es in seinen Worten zu sagen.

»Familiengeschichten« gibt es, »Scheißhausgeschichten« gibt es und »Kneipengeschichten« auch. Es geht ums Trinken und was es mit einem macht. Es geht um Staub. Die Schwulenkneipe »Dampflok« taucht auf und der FC Schalke 04 und die Filme Aki Kaurismäkis. Eher philosophische Prosa und eher phantasierende findet sich – und sehr gelungene Wutanfälle, die u. a. zu dieser nützlichen Charakterisierung führen: »eine besondere Art des Literatur-, Kunstarschlochs sieht sich verpflichtet, zu allem & jedem sich äußern zu müssen, & glaubt darob, trifft sie / er auf Widerspruch, dorten sei die Meinung eingeschränkt, wo sie nicht widerspruchlos hineinscheißen dürfe.«

Meinungen, vorzeigbare Nachplappereien des bürgerlichen Selbstgesprächs in Vers- oder Romanform gibt es zum Glück keine in Latas »nachspielzeit«. Im letzten Text »Wir halten fest« steht zwischen Sätzen über die Arbeit als gestohlene Zeit, die Arbeit in der Demenz-WG und die große Fatigue eine kleine Gewissheit: »Karl Marx söffe sich heutigentags tot. Aber sprechen Sie nur ein Wort, so werden alle Lebern wieder gesund.« Ein gutes Schlusswort.

Mariusz Lata: nachspielzeit – prosa.sentenzen.schund, Ritter-Verlag, Klagenfurt 2024, 128 Seiten, 19 Euro

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