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Aus: Ausgabe vom 23.10.2024, Seite 11 / Feuilleton
Nachruf

Formwandel der Forschung

Erinnerungen an den Wissenschaftshistoriker Hubert Laitko
Von Wolfgang Girnus, Annette Vogt und Karl-Friedrich Wessel
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Gute Forschung, gute Laune: Hubert Laitko (1935–2024)

Der Philosoph und Wissenschaftshistoriker Hubert Laitko ist am 9. September 2024 in Berlin nach langer, schwerer Krankheit gestorben. Er wurde am 3. April 1934 in Spremberg geboren. Nach dem Abitur 1953 studierte er von 1953 bis 1959 an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Zunächst hatte er ein Studium der Journalistik begonnen, wechselte aber bald zur Philosophie. Er hatte das Glück, noch bis 1956 Vorlesungen bei Ernst Bloch (1885–1977) zu hören und das traurige Erlebnis, 1957 dessen Zwangsemeritierung mitzuerleben. Er schloss 1959 sein Studium mit dem Staatsexamen ab, wurde Assistent für Philosophie am Institut für Gesellschaftswissenschaften der Universität Halle und wechselte 1960 zu Hermann Ley (1911–1990) an dessen Lehrstuhl für Philosophische Fragen der Naturwissenschaften am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität zu Berlin. Hier wurde er 1964 mit seiner Dissertation »Zur philosophischen Konzeption des Physikers Pascual Jordan« promoviert und blieb bis 1969 am Institut. Zudem wirkte er am Leipziger Studentenkabarett »Rat der Spötter« mit, das im Herbst 1961 wegen eines »konterrevolutionären Programms« aufgelöst wurde. Sein satirisches Talent demonstrierte Laitko gerne bei geselligen Veranstaltungen. Bis zuletzt bewahrte er sich die Fähigkeit, die Grotesken des Alltags wie der Politik pointiert zu schildern.

Als in der DDR die Wissenschaftstheorie als eigene Disziplin etabliert wurde – im anglo-amerikanischen Sprachraum »science studies« und in der UdSSR »naukowedenie« – gehörte Hubert Laitko ab 1969 zum Gründungsteam des Instituts für Wissenschaftstheorie und -organisation. Dieses war ab 1975 das Institut für Theorie, Geschichte und Organisation der Wissenschaft (ITW) der Akademie der Wissenschaften (AdW) der DDR und wurde von 1970 bis 1990 von Günter Kröber (1933–2012) geleitet. Man pflegte enge Beziehungen zum Institut für Geschichte der Naturwissenschaften und Technik der AdW der UdSSR in Moskau, wo der Philosoph und Wissenschaftshistoriker Bonifati Michailowitsch Kedrow (1903–1985) wirkte, einer der geistigen Väter des ITW. In Berlin wurde ab 1973 die Gruppe Wissenschaftsgeschichte, später Bereich genannt, aufgebaut – mit Hubert Laitko als Leiter.

Als solcher stellte er hohe Anforderungen, war aber jederzeit gerecht, hilfsbereit und von großer Geduld. Laitko war für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr als ein akademischer Lehrer und Betreuer von Dissertationen. Legendär waren die jährlichen Arbeitstreffen im Frühjahr im Spreewald, bei denen gemeinsame Projekte besprochen, aber auch gemeinsam gesungen und gefeiert wurde. Das bekannteste Gemeinschaftsprojekt war das 1987 zum Berlin-Jubiläum erschienene Buch »Wissenschaft in Berlin«. Die Pläne für gemeinsame Folgeprojekte waren wegen der Zeitenläufe bald Makulatur. Hubert Laitko wurde 1978 an der Akademie mit der Studie »Wissenschaft als allgemeine Arbeit – zur begrifflichen Grundlegung der Wissenschaftswissenschaft« habilitiert, im Jahr darauf wurde er am selben Ort zum Professor berufen. Zwölf Jahre später kam der Bruch: Nach der »Abwicklung« des Instituts gemäß Artikel 38 des Einigungsvertrags zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland begann Hubert Laitkos Leben als Privatgelehrter. Obwohl sein Bereich bei der angewiesenen Evaluierung positiv bewertet wurde, konnten nur einzelne seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter andernorts weiterarbeiten.

Hubert Laitko hatte 1991 die angebotene »Vorruhestandsregelung« angenommen – auch weil er hoffte, dadurch keinem seiner jüngeren Mitarbeiter im nun geforderten »Wettbewerb« um Stellen und Ressourcen etwas wegzunehmen. Auch als Privatgelehrter behielt Hubert Laitko seine bewundernswerte Energie, Selbstdisziplin und hohen Ansprüchen. Er fand Gleichgesinnte in der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin und in der Gesellschaft für Wissenschaftsforschung, die er mitbegründete. Die Gesellschaft publizierte in ihren Jahrbüchern 2005 und 2015 jeweils Bibliographien seiner Publikationen aus Anlass des 70. bzw. 80. Geburtstages. Von 2008 bis 2014 war er außerdem Lehrbeauftragter für Geschichte der Naturwissenschaft an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus.

Die wissenschaftlichen Leistungen Laitkos können hier nicht annähernd skizziert werden, die letzte Bibliographie umfasst 35 Seiten. Seine Forschungsschwerpunkte waren philosophische Fragen der Naturwissenschaften, die Untersuchung der Mechanismen und Strukturen wissenschaftlicher Institutionen, die Triebkräfte wissenschaftlichen Erkennens, die Geschichte wissenschaftlicher Disziplinen, die Analyse preußischer und deutscher Wissenschaftspolitik vom 19. bis ins 21. Jahrhundert, die Rekonstruktion der Kontexte wissenschaftlicher Entdeckungen und Innovationen. Lange bevor er selbst die Ereignisse von 1990 erleben musste, interessierten ihn Wandlungen und Brüche in der Wissenschaftsentwicklung. Die »Abwicklung« vieler Institute traf ihn hart, er hat diesen Einschnitt nie verwunden. Von dem freundschaftlichen Klima an »seinem« Bereich Wissenschaftsgeschichte zeugte, dass sich dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiterhin regelmäßig trafen.

Beisetzung: 24. Oktober 2024, 12 Uhr, Friedhof Pankow III (Straße am Bürgerpark) Berlin.

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