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Aus: Ausgabe vom 23.10.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Der kleine Soldat

Desertation aus Liebe: Die israelische Filmgroteske »The Vanishing Soldier« ist ein Psychogramm einer Gesellschaft im permanenten Krieg
Von Holger Römers
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So eine kleine Maschinenpistole stört auch nicht groß im Straßenverkehr: Ido Tako als Shlomi fährt Rad

Als sich der Protagonist von »The Vanishing Soldier« einem (fiktiven) Kriegseinsatz in Gaza entzieht, inszeniert Regisseur Dani Rosenberg das als spontane Entscheidung des Körpers: In einer halbnahen Einstellung sind nur Shlomis (Ido Tako) Beine zu sehen, die mitten im zögerlichen Schritt innehalten, bis der rechte Fuß buchstäblich auf dem Absatz kehrtmacht. Wie der israelische Soldat bald seiner Mutter (Efrat Ben Tzur) gesteht, ist er desertiert, um Shiri (Mika Reiss) zu sehen, die tags darauf zum Studium nach Kanada fliegen wird. Dass seine Sehnsucht nach der jungen Frau, mit der er offenbar während eines Jobs in einem Restaurant zu flirten begonnen hat, ganz physisch ist, geht indes unzweideutig aus einer Liebesbotschaft hervor, die der 18jährige auf einen Zettel kritzelt.

Teenieliebelei und postpubertäre Geilheit stehen freilich in scharfem Kontrast zum Ernst des Themas Krieg, weshalb folgerichtig ist, dass der Plot Züge einer Farce annimmt. Wenn Shlomi zu seinem Elternhaus und dann nach Tel Aviv eilt, wo er das Ende von Shiris Arbeitsschicht abwartet, fällt es ihm zunehmend schwer, von Militärpolizisten (und anderen) unentdeckt zu bleiben. Dabei ähnelt sein Umgang mit den Umständen mitunter klassischem Slapstick, weshalb nachvollziehbar ist, dass Rosenberg als Inspirationsquelle Buster Keaton nennt. Allerdings lässt der 1979 geborene Israeli, der zusammen mit Amir Klinger auch das Drehbuch verfasst hat, das turbulente Geschehen nie vollends ins Groteske kippen, zumal zahlreiche Originalschauplätze eine Verankerung in der Wirklichkeit implizieren. Der von Yuval Semos perkussiver Musik und von David Stragmeister agiler Kamera geprägte Erzählton spiegelt indes eine launig-souveräne Unbekümmertheit, die fast alle Figuren an den Tag legen – und die vor dem angedeuteten Hintergrund des Krieges denkbar irritierend wirkt.

Der Film hatte 2023 beim Locarno Film Festival Premiere – zwei Monate vor dem 7. Oktober. Und nun erscheint er als subtiles Psychogramm einer Gesellschaft, die sich an Krieg gewöhnt hatte, aber die Palästinenser trotzdem nicht einmal als Feinde ernst nahm. Wenn Shlomi in geklauten Freizeitklamotten durch Großstadtstraßen radelt, bleibt das Maschinengewehr über seiner Schulter unbeachtet. In die Überraschung, die sein Auftauchen bei den Eltern hervorruft, mischt sich indes kaum Erleichterung. Der Vater (Shmulik Cohen), der über einen beim Raketenalarm erlittenen Herzinfarkt witzelt, deutet an, dass etwaige Fehler der Armeeführung die größte Gefahr für Shlomis Wohlergehen bedeuten. Der Sohn widerspricht zwar diskret der Behauptung, dass die Gegenseite sich den Krieg selbst eingebrockt habe. Aber er scheint wiederum von den blutigen Konsequenzen, die seine Desertion laut TV-Nachrichten hervorgerufen hat, ungerührt: Da die Armee glaubt, er wäre in die Hände der Hamas gefallen, bringen gesteigerte Bombardements bald 72 Palästinenser um.

»The Vanishing Soldier«, Regie: Dani Rosenberg, Israel 2023, 105 Min., bereits angelaufen

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