»Präsident Bukele geht es um Investitionen«
Interview: Thorben AustenIhren Gemeinden an der Pazifikküste El Salvadors droht, wegen des Baus des Touristenzentrums »Surf City II« geräumt zu werden. Welche Rolle spielt der Staat dabei?
Große Unternehmen, die unsere natürlichen Ressourcen ausbeuten wollen, bedrohen die kleinbäuerlichen Gemeinden in El Salvador. Das wird unterstützt von der Regierung von Nayib Bukele. Die armen, indigenen Gemeinden leben heute ohne Rechte. Viele Compañeros werden zur Abwanderung genötigt, auch vor dem Hintergrund des Ausnahmezustandes, der gegen die kriminellen Banden verhängt wurde. Aber unsere Gemeinden haben mit den Banden nichts zu tun. Es gab Fälle von Vertreibung, bei denen Kinder mitten aus dem Schuljahr gerissen wurden. Mehrere Familienväter sind verhaftet worden. Die Familien leiden Hunger. Die Bedrohung geht nicht nur von der Polizei aus, sondern auch von der Armee, die darauf trainiert ist, zu töten. Wir aber befinden uns nicht im Krieg, wir haben keine Waffen.
Die Regierung behauptet, die Tourismusprojekte bringen Entwicklung und Arbeitsplätze. Vorherige Regierungen hätten die Region vernachlässigt. Wie sehen Sie das?
Für Präsident Bukele geht es um Investitionen. Die armen, kleinbäuerlichen Gemeinden unserer Region sind nicht vorbereitet auf diese Form der Entwicklung, die die Regierung möchte. Wir sind kein Land der ersten Welt. Bukele möchte das vielleicht, aber das entspricht nicht unserer Realität. Ein anderer Punkt neben den Vertreibungen ist die Ausbeutung der Ressourcen, zum Beispiel die Abholzung der Mangrovenwälder. Das sind ökologisch wichtige Wälder. Außerdem sind Korallenriffe und der Fischfang bedroht. Die Vereinten Nationen und internationale Medien müssten die Situation beobachten.
Wann fingen die Vertreibungen und die Ausbeutung in Ihrer Region an?
Das begann mit dem Amtsantritt der Regierung von Bukele 2019. Er wurde zuletzt verfassungswidrig wiedergewählt und verfolgt eine Vision von ökonomischer Entwicklung, die nicht der Struktur und der ökonomischen Kapazität unseres Landes entspricht. Wir sind nicht Dubai, wir haben keine reichen Erdölvorkommen oder dergleichen. Wir sind Kleinbauern und Fischer und leben von diesen Ressourcen. Wie heißt es doch: Wenn das Land nicht produziert, isst die Stadt nicht. Die Landwirtschaft in El Salvador bricht zusammen. Große Teile unserer Lebensmittel werden importiert. Guatemala liefert uns Obst und Gemüse. Bukele aber will den Tourismus für Ausländer entwickeln, gelenkt von großen privaten Unternehmen.
Es heißt, der Ausnahmezustand habe dazu beigetragen, die Kriminalität, die gerade auch die arme Bevölkerung betraf, zu reduzieren. Stimmen Sie dem zu?
Richtig ist, dass die kriminellen Banden ein Netzwerk bildeten, das überall im Land aktiv war. Es ist aber nicht zutreffend, dass die Banden zerschlagen sind. Sie wandeln nur ihre Struktur hin zum Drogenhandel und zu anderen Formen organisierter Kriminalität. Es gibt Bandenmitglieder, die heute im Sicherheitsbereich von Bukele aktiv sind. Der Drogenhandel in unserer Region nimmt zu, es gibt moderne Straßen, die werden »Narco-Pisten« genannt. Wir vermuten, dass die vermummten und bewaffneten Personen, die uns im letzten Jahr bedrohten, auch Mitglieder von Drogenbanden waren. Jeder weiß, wer die Mitglieder sind. Sie sind tätowiert mit den Erkennungszeichen ihrer Bande, sie tragen Waffen. Wir sind auch klar identifizierbar: Wir sind Bauern und Fischer. Da besteht keine Verwechslungsgefahr. Deshalb fragen wir, warum der Ausnahmezustand jetzt gegen uns angewandt wird.
Was erwarten Sie trotz dieser Entwicklung von der amtierenden Regierung?
Es gibt keine Politik in El Salvador, die die Rechte der Gemeinden und die Ernährungssicherheit garantiert. Aber die Regierung muss unsere Rechte garantieren. Unser Land blutet aus, ich kenne keine ganz exakten Zahlen, aber rund die Hälfte der Bevölkerung lebt mittlerweile im Ausland.
Carlos Hernandéz ist Sprecher indigener Gemeinden im Landkreis La Unión an der Pazifikküste El Salvadors
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