»Erobern und neubesiedeln«
Von Jakob ReimannDie »ethnische Säuberung« Nordgazas schreitet voran: Seit der Totalblockade und dem Beginn der Militäroffensive auf das bereits großflächig zerstörte Gebiet vor über zwei Wochen sind mindestens 640 Palästinenser vom israelischen Militär getötet worden. Zwar werden nach wie vor alle anderen Teile des Gazastreifens bombardiert, doch die israelische Gewalt konzentriert sich derzeit auf den Norden, insbesondere das Areal des Geflüchtetencamps Dschabalija. Seit Tagen werden die bereits schwerbeschädigten Krankenhäuser dort aus der Luft und mit Artillerie unter Beschuss genommen. Menschen, die versuchten, aus Lagern für Geflüchtete zu fliehen, »werden getötet, und ihre Leichen werden auf den Straßen zurückgelassen«, berichtete UNRWA-Chef Philippe Lazzarini am Montag auf X. Seit einem Jahr seien nur kleinste Mengen an Nahrung und medizinischen Gütern dorthin gelangt. »Die israelischen Behörden verweigern humanitären Missionen weiterhin den Zugang mit lebenswichtigen Gütern zum Norden«, so Lazzarini weiter. Die Situation der schätzungsweise 175.000 eingeschlossenen Menschen sei »mehr als katastrophal«, heißt es bei UNRWA. Ein von Al-Dschasira veröffentlichtes Video zeigt »Menschenmassen«, die an einem Checkpoint in Dschabalija zusammengepfercht wurden. Augenzeugen berichten, dass die Männer von ihren Familien getrennt und zum Verlassen des Gebiets gezwungen würden.
Dass im Gazastreifen Fakten geschaffen werden sollen, machten Hunderte Personen deutlich, die am Montag an der Auftaktveranstaltung zu einer zweitägigen israelischen Konferenz zur »Vorbereitung der Neubesiedlung Gazas« an der Grenze zu dem Küstenstreifen teilnahmen – darunter mehrere Minister und Dutzende Abgeordnete der ultrarechten Regierungsparteien. Bereits am Sonntag hatte sich eine kleinere Gruppe versammelt. Am Montag trafen sich die »rechten israelischen Aktivisten« zu einem Sukkot-Gebet und »riefen zur Errichtung von Siedlungen in Gaza auf«, berichtete der israelische Journalist Oren Ziv auf X. Ein Aktivist habe demnach in einem Workshop »eine Karte mit den geplanten Siedlungen in Gaza« präsentiert, wie Ziv mitteilte. Diese zeige Ortschaften in dem Küstenstreifen mit hebräischen Namen. Viele weitere Personen seien am Montag zu der Konferenz hinzugestoßen, darunter ganze Familien sowie Vertreter von Siedlerorganisationen und rechten politischen Parteien, heißt es bei Haaretz.
Die Veranstaltung umfasste Podiumsdiskussionen mit führenden Aktivisten sowie »Reden rechtsradikaler Politiker«, etwa vom faschistischen Polizeiminister Itamar Ben-Gvir. Auch die Indoktrination der Kleinen kommt nicht zu kurz. So gab es verschiedene »Aktivitäten für Kinder, darunter ein Puppentheater, das den Rückzug aus dem Gazastreifen im Jahr 2005 nachstellte«, so Haaretz. »Ich werde etwas sagen, was nicht jeder hier zu sagen bereit ist«, gab Sima Hasson, Vertreterin der ultrarechten Gruppe »The Mothers’ Parade«, die ideologische und strategische Stoßrichtung der Konferenz vor: »erobern, rausschmeißen, neubesiedeln«. Sie spreche »nicht nur über ein Gebiet in Gaza«, fügte Hasson hinzu, »ich meine jedes einzelne Stückchen Land«. Dies sei »die einzige Möglichkeit, unsere Jungs davor zu bewahren, ständig in den Krieg zu ziehen«. Auch andere Redebeiträge schlugen in dieselbe Kerbe: »Jeden Zentimeter vom Norden bis zum Süden« wolle man besiedeln, so etwa Aktivistenführerin Daniella Weiss. Sie seien Tausende Menschen »und bereit, jeden Moment nach Gaza zu ziehen«. Dies geschehe »zum Wohle der ganzen Welt«, denn man beende die Machenschaften »böser Mächte«.
Gleichberechtigungsministerin May Golan erneuerte den Aufruf zur Umsiedlung der Bevölkerung Gazas und drohte, wer »einen weiteren Holocaust« plane, werde »mit Gottes Hilfe eine weitere Nakba erhalten«, wie die massenhafte Vertreibung der Palästinenser zur israelischen Staatsgründung 1948 genannt wird. Die Neubesiedlung des Gazastreifens sei die einzige Möglichkeit, »jüdische Sicherheit zu garantieren«, so Golan weiter, freilich ohne den Widerspruch aufzulösen, wie denn der Landraub an Palästinensern »jüdische Sicherheit« garantieren könnte.
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