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Aus: Ausgabe vom 22.10.2024, Seite 11 / Feuilleton
Die Wahrheit

Scheiße gelaufen

Von Pierre Deason-Tomory
MIGRATION-ITALY-ALBANIA.JPG
Auf Wiedersehen in Europas schönstem Flüchtlingsfreizeitpark

Ich dachte, als 2025 der Merz kam und der Pöbel die Politik diktierte, das bisschen Faschismus wird dich schon nicht umbringen. Dann fand ich an einem Nachmittag im Jahr 2026 im Briefkasten eine Vorladung der Remigrationspflichterfassungsbehörde (RemPEB). Ich betrat am vorgesehenen Tag pünktlich das Büro, in dem die Fälle von A bis E behandelt werden.

»Guten Tag, Herr Doisen-Tomooory. Habe ich Ihren Namen richtig ausgesprochen?«

»Nein.«

»Schön. Nehmen Sie Platz.«

»Guten Tag, Herr …?«

»Ich habe leider nicht die Zeit, mit Ihnen zu plaudern. Ich muss Ihnen mitteilen, dass Sie unter das neue BuRemPeG fallen und zur Remigration verpflichtet sind.«

»Sie scherzen, ich bin 50 Prozent Deutscher, reicht euch das nicht?«

»Davon müssen 15 Prozent abgezogen werden, weil Sie erst mit sechs Jahren eingebürgert wurden. Wegen Ihrer deutschen Mutter kommen weitere 20 Prozent runter, bleiben 15, und alle unter 30 werden remigriert.«

»Sie ziehen mir was ab, weil meine Mutter Deutsche war?«

»Sie war Berlinerin, also nach der Leitkulturklausel im BuRemPeG zu 20 Prozent Türkin. Bleibt die Frage, wohin wir Sie abschieben. Sie haben noch die US-amerikanische Staatsangehörigkeit vom leiblichen Vater sowie Anspruch auf einen Pass in Österreich und in Ungarn, erworben durch Adoption durch den Ziehvater.«

»Sie sind gut informiert. Aber das können Sie gleich wieder vergessen, ich will weder zu Kickl, noch zu Orbán und auf keinen Fall zu Trump. Ich käme ja vom Regen in die Jauche.«

»Alle drei wollen Sie auch gar nicht, wir haben schon angefragt. Wie fühlen Sie sich am ehesten, als Amerikaner, Österreicher oder Ungar?«

»Als Deutscher. Mein amerikanischer Onkel Wendell könnte das bezeugen, der rief für mich die Kellnerin mit den Worten: Gid dis Nazi here a beer!«

»Wir werden ihn dazu befragen.«

»Geht nicht, lange tot, wie alle meine Onkels.«

»Bitte alle aufzählen.«

»Nur die toten Onkels? Oder auch die toten Tanten?«

»Frauen spielen bei uns keine Rolle.«

»Wie konnte ich das nur vergessen.«

»Haben Sie unsere Partei gewählt?«

»Halten Sie mich für dumm?«

»Ja. Sie kommen schon bei der ersten Vorladung, ohne Tricks oder Widerstand.«

»Machen Deutsche so.«

»Auch noch frech werden, was? Los! Zählen Sie schon auf!«

»Paul, Charles und Rufus Deason, István Tomory, Wolfgang Stengel. Wer davon der deutsche Onkel war, muss ich wohl nicht dazu sagen.«

»Kein Österreicher dabei?«

»Nicht nötig. Jeder Deutsche ist ein bisschen auch ein Neffe von Onkel Adolf.«

»Also drei zu eins zu eins zu null.«

»Muss ich jetzt nach Amerika?«

»Gemach, wir werden Ihre Rückführung dorthin förmlich beantragen, und vermutlich wollen die nicht. Sie können jetzt erst mal nach Hause gehen.«

»Na denn auf Wiedersehen …«

»Herr Müller, Herr Koslowski! Herr Deason-Tomory möchte zu Hause ein paar Sachen abholen für seine Reise nach ›Little Italy‹. Würden Sie ihn bitte begleiten?«

»Bitte was?«

»Wir schicken Sie, bis alles geregelt ist, in Europas schönsten Flüchtlingsfreizeitpark. Malerisch gelegen, direkt an der albanischen Küste, Sie werden es schön haben.«

»Wie lange?«

»Es handelt sich um ein Lager für die, die keiner mehr will. Also für immer.«

»Das ist aber kein lustiges Ende für diese Geschichte.«

»Diese Geschichte ist auch kein Scherz.«

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