Peacekeeper des Tages: Jens Stoltenberg
Von Felix BartelsPaviane brüllen ihr Spiegelbild an. Nachahmer reagieren empfindlich auf Kopien. Krieger entdecken ihre Friedensliebe, wenn zur Abwechslung mal wer anderes zu den Waffen greift. Als Russland dem transatlantischen Militärbündnis den Gefallen tat, ins Fach- und Sachgebiet des Interventionismus zu expandieren, witterte man bei der NATO die Chance, sich als Friedenskraft neu zu erfinden. Diese Ära der wundersamen Verwandlung eines Pakts imperialistischer Staaten in eine transnationale Heilsarmee, die mittels Waffenlieferungen Kriege ihrer Gegner am Kochen hält, ist die Ära des Jens Stoltenberg. Seit Anfang Oktober lebt der Mann im Ruhestand, am Dienstag ließ man ihn in der Steinmeierei von Bellevue zum Oberhaupt vor, damit er dort sein BK 1 empfange, das eine Woche zuvor bereits dem noch im Amt befindlichen Joe Biden angeheftet worden war.
Die Dekonstruktion der Lebenslüge passiert derweil nicht in der wirklichen Welt, sondern in der digitalen. In einem zirkulierenden Video, das Stoltenberg im norwegischen Fernsehen zeigt, fragt der Journalist Yama Wolasmal den ehemaligen Generalsekretär, warum er China als Gefahr für den Weltfrieden sehe. Wie viele Länder während der letzten 40 Jahre von einem chinesischen Angriff heimgesucht wurden, will Wolasmal wissen. Zweieinhalb Anakoluthismen später fällt Stoltenberg ein, dass China doch einen Konflikt mit Vietnam hatte. Gewiss, entgegnet Wolasmal, das sei vor mehr als 40 Jahren gewesen, die USA hätten im selben Zeitraum mindestens 13 Länder angegriffen und betreiben im Gegensatz zu Chinas einer etwa 750 Militärbasen im Ausland.
Es gebe Menschen, die glauben, alles sei vernünftig, das man mit einem ernsten Gesicht tut, steht in den »Sudelbüchern«. Falls wer nach Unterschieden zwischen Lichtenberg und Stoltenberg sucht, hier wäre einer.
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Standortsorgen
vom 24.10.2024
Die Invasion Russlands in die Ukraine lässt sich auf diese Definition nur begrenzt anwenden, wenn man die Leitschiene der teils schwerwiegenden Maßnahmen äußerer Mächte zugrundelegt: Die Intervention, mit der die Eskalation einen ersten Höhepunkt erfuhr, erfolgte mittels der massiven Einflussnahme der USA auf das Geschehen in der ukrainischen Hauptstadt. Der u. a. von »Asow« und »Swoboda« faschistisch gestützte Staatsstreich in Kiew im Februar 2014, Wochen vor der Krim-Krise, erfolgte laut Zeit 20/2015 mit einer fünf Milliarden US-Dollar-Unterstützung aus den USA. Mit diesem Verfassungsbruch wurde die neutralitätsorientierte Janukowitsch-Regierung durch eine Pro-NATO-»Übergangsregierung« Jatsenjuk ersetzt. Die Intervention zugunsten einer auf die NATO gerichtete Orientierung der Nachfolgeregierungen förderte die NATO mit Angeboten, Kooperation, Beratung und Rüstung; das alles bricht mit den internationalen verbindlichen OSZE-Texten zur Friedensordnung gemeinsamer, weil gegenseitiger Sicherheit »eines jeden« (so steht es im Zwei-plus-vier-Vertrag zum Betritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes). Darauf zu verweisen, ist keine Unterstützung der russischen Vorgehensweise. Es ist eine Verurteilung der als Wahrheit verkauften Desinformation westlicher Medien, die Russland Fake-News vorwerfen und die mit ihrer Manipulation aus Halbwahrheiten sowie doppelten Standards ihre Hoch-, Atomrüstung und Spannungseskalation am Rande des Atomkriegs rechtfertigen. Jens Stoltenberg bestätigte die hier von mir dargelegte Faktenlage am 7.9.2023 im EU-Parlament, als ihm einmal der Fauxpas unterlief, von der militaristischen Meinungsmache abzuweichen: Er erklärt, Russland sei zur Kriegsentscheidung übergegangen, um die NATO-Mitgliedschaft dieses großen Landes mit seiner langen russisch-ukrainischen Grenze zu verhindern. Russlands Intervention riskiert eine Havarie bis hin zur Kernschmelze in einem der 15 ukrainischen Atomreaktoren. Dieses stellt – neben dem menschlichen Leid – ein existenzielles Risiko dar, das niemand je eingehen darf. Die NATO ging dieses Risiko gleichermaßen ein: Sie beriet die von ihr mit ins Amt gehievte illegale »Übergangsregierung« im Mai 2014 im Umgang mit den Atomreaktoren im Land und rüstete die Ukraine dann auf, auch noch im Windschatten der Verletzung von Minsk II.