Milchvieh
Von Jürgen RothDen Limbo, den ich nur als den Limbo kenne, sprach ich am Stammtisch mal als Limbo an. Er fuhr aus der Haut und pflaumte mich an: »Du sagst net Limbo zu mir! Ich heiß’ Herbert! Sag bloß noch amol Limbo zu mir!« Er hätte mir wohl gerne die Zähne, die er nicht mehr hat, ausgeschlagen, wandte sich allerdings wieder seinen zwei gebackenen Karpfen zu. Die zermalmte er zwischen seinen Kauleisten komplett, inklusive der Köpfe und sämtlicher Gräten.
»Herbert, hast du keine Bedenken, dass sich so ein Ding querlegen könnte?« fragte ich ihn, nachdem seine Wallung abgeklungen war. »Naa, des fress’ mer alles weg.« Vergangene Woche orderte er sechs Bratwürste, die er in höchstens zehn Minuten vernichtete. Währenddessen dozierte er ausgesprochen unterhaltsam über die elementaren Dinge der Gegenwart.
Der Herbert ist ein Pionier. Er war der erste Biobauer im engeren Umkreis. Im Donaumoos da unten im depperten Oberbayern, erzählte er nuschelnd, näselnd und in einem waghalsigen Dialekt, habe die katholische Kirche den Landwirten die Pachtverträge gekündigt und die Flächen an den Staat verkauft, der den Zins sofort verdreifacht habe. Daraufhin seien dreitausend Bauern aus dem spirituellen Verein ausgetreten. Irgendwie freute ihn das, wir befinden uns hier in einem staubtrockenen protestantischen Gelände.
Der Herbert knüpft ein Thema ans andere, man kommt kaum zu Wort. Die Milchviehhaltung, fuhr er fort, lohne sich für einen Kleinen wie ihn nicht mehr. Die Familienbetriebe stünden allesamt vor dem Aus, die Agrarkonzerne würden das Land übernehmen. Man sehe es ja anderswo. Seine Schwägerin halte in Ägypten, er schnaufte kurz heftig, sechstausendzweihundert Kühe. »Sechs-tau-send-zwei-hundert!« Und was der Araber veranstalte, werde in Deutschland bald nachgeahmt.
Der Herbert besitzt bei Geichsenhof auch einen Weiher mit Quellwasserzulauf. Den habe er neulich abgefischt und ganze acht Forellen rausgeholt. Danach habe er ihn abgelassen und am Grund drei Geldkassetten, ein Handy und einen Feuerlöscher gefunden. »Einen Feuerlöscher?« fragte ich. Ja, ja, so der Herbert. Im Sommer hätten sie doch den Geldautomaten vom Besenbeck gesprengt. Er habe die Polizei gerufen, und die hätten ihn erst mal anzeigen wollen – »weil die aan Fitzer ham« –, aber rasch eingesehen, dass er schwerlich der Verbrecher sein könne.
»Und der Feuerlöscher?« Den benutze man, um die Fingerabdrücke unkenntlich zu machen. Gut, dass er das jetzt wisse, schloss der Herbert. Wenn er mal einen Bruch vorhabe, packe er einen Feuerlöscher ein. Der komme ihm ohnehin erheblich günstiger als der Kram mit der Milchviehhaltung.
Dann gab er eine Runde Obstler aus.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
- 18.10.2024
Weniger Kühe, weniger Gülle
- 31.05.2024
»Schluss mit blinde Kuh«
- 02.04.2024
Preiskampf am Milchmarkt
Mehr aus: Feuilleton
-
Nachschlag: Blick zum Nachbarn
vom 24.10.2024 -
Vorschlag
vom 24.10.2024 -
»Honorarkräfte haben Angst«
vom 24.10.2024 -
Manhattans Skyline
vom 24.10.2024 -
Eine Straße und ihr Name
vom 24.10.2024