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Aus: Ausgabe vom 24.10.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Manhattans Skyline

Minimalziel ist ein stilvoller Tod: Pedro Almodóvars 24. Spielfilm »The Room Next Door«
Von Holger Römers
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Mit epikureischer Haltung: Tilda Swinton (l.) und Julianne Moore

Wie schlimm kann es werden?« heißt der Vortrag, den der Autor Damian (John Turturro) an einer Uni nördlich von New York halten wird. »Schlimmer als du denkst«, lautet die ironische Antwort von Martha (Tilda Swinton), als sie eine Ankündigung der Veranstaltung sieht. Der Mann, der vor Jahren ihr Geliebter war, bezieht seine Frage auf den Klimawandel, dessen Folgen uns allen bevorstehen. Doch die ­einstige Kriegsreporterin fühlt sich zu dem flapsigen Kommentar vom Endstadium ihrer Krebserkrankung veranlasst. Diese Überlagerung von Zukunftsaussichten, die der gesamten Menschheit drohen oder nur einem jeweiligen Individuum, ergibt in »The Room Next Door« den changierenden Bedeutungshorizont der Aktionen und vor allem – da der Film wenig Handlung bietet – der Dialoge der Figuren.

Über die eigentliche Hauptprotagonistin, die Schriftstellerin Ingrid (­Julianne Moore), erfahren wir bei einer Buchsignierstunde, dass ihr neuer Roman ihre Fassungslosigkeit gegenüber dem Thema Tod reflektiere. Ähnlich äußert sich Regisseur Pedro Almodóvar in Interviews, wenn er zum Beispiel sagt: »Die Idee, dass etwas Lebendiges stirbt, kann ich mit meinem Verstand nicht akzeptieren.« Obwohl sein 24. Spielfilm im Gegensatz zum vorletzten, »Leid und Herrlichkeit«, keine offenkundig autobiographischen Elemente aufweist, wirkt diese eigene Adaption des Romans »What Are You Going Through« von Sigrid Nunez ebenso persönlich wie jenes hinreißende Drama von 2019.

Dabei scheint es dem Spanier ein Anliegen zu sein, seine Meinung zu gesellschaftlichen Themen zu Protokoll zu geben. Jedenfalls sagt Damian wohl stellvertretend für Almodóvar direkt in die Kamera, dass keine Besserung der Weltlage denkbar sei, solange der Neoliberalismus und die Ultrarechte hegemonial blieben. Da der Filmemacher unlängst 75 geworden ist, dürfte sein Blick in die Zukunft indes auch privat mit Sorgen verknüpft sein – zumal schon »Leid und Herrlichkeit« um eine Krankheit kreiste. Unter diesen Vorzeichen steht wohl ein Dialog, in dem das Recht proklamiert wird, den eigenen Tod nach Möglichkeit selbst zu bestimmen. Allerdings scheint bezeichnend, dass trotz einer kurzen Verschiebung der Erzählperspektive der eigentliche Akzent hier weniger auf dem Umgang Marthas mit ihrem Sterben liegt als auf Ingrids Begleitung dieses Prozesses.

Wie das gemeinsame Schwelgen in Erinnerungen ans New Yorker Nachtleben der 80er Jahre verdeutlicht, waren die Frauen einst eng befreundet. Dann verloren sie sich aus den Augen, als Ingrid nach Europa umsiedelte. Martha jagte derweil von einem Kriegsschauplatz zum anderen; in einem Dialog wird Bosnien erwähnt, während eine kurze, aber bedeutungsvolle Rückblende im Irak angesiedelt ist. Wenn Martha gegenüber der wieder nach New York gezogenen Ingrid ihr zwischenzeitliches Leben rekapituliert, sorgen andere knappe Flashbacks indes für subtile Irritationen. Der Verweis auf eine Jugendliebe, die vom Vietnamkrieg unterbrochen wurde, wirft die Frage auf, um wie viele Jahre Martha wohl älter sein mag als ihre 1960 geborene Darstellerin Swinton. Doch vor allem fällt auf, wie unbefangen Almodóvar diese Episoden aus Versatzstücken von Americana zusammensetzt: eine Bowlingbahn, ein Diner oder weite Felder, aus denen ein stereotypes doppelstöckiges Holzhaus aufragt.

Das lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die Skyline Manhattans, die sich in der Gegenwart ähnlich plakativ vor den Fenstern von Marthas Wohnung und ihres Krankenzimmers entfaltet. Dieser prächtige Hintergrund wurde gewiss erst in der Postproduktion digital eingefügt, denn es wäre wohl unsinnig teuer, solche Innenaufnahmen an Originalschauplätzen zu drehen. Das macht einem wiederum indirekt bewusst, dass für Normalsterbliche diese Art Apartment oder diese Art Einbettzimmer in einem Krankenhaus in New York ohnehin unerschwinglich wären. Und das gleiche gilt für den abgeschiedenen Handlungsort des Schlussaktes, eine kühn verkantete Villa aus reichlich Glas und korrodiertem Stahl, die vorgeblich im malerischen Hudson Valley liegt, sich als realer Drehort aber im Umland von Madrid gefunden hat.

Die distanzierende Wirkung, die sich aus dieser dekorativen Abbildung von diskretem Luxus ergibt, spitzt schließlich die Frage zu, welche Lehre der Film bereithalten mag, wenn man nicht über vergleichbaren Wohlstand verfügt. Zwar dürfte sich kaum jemand mit derselben Selbstverständlichkeit zum Sterben in modische Verrücktheiten kleiden können, wie Swintons Figur das hier vorführt. Aber auf einen Soloabgang mit einem Minimum an Stil darf man vielleicht hoffen. Und sei es, dass damit bloß die ungebrochene Auseinandersetzung mit Kunst, Literatur und Kino gemeint wäre, zu der Martha bis zuletzt von Ingrid animiert wird. Ob mit epikureischer Haltung kollektiv der Klimakatastrophe zu begegnen wäre, steht freilich auf einem anderen Blatt.

»The Room Next Door«, Regie: ­Pedro Almodóvar, Spanien/USA 2024, 107 Min., Kinostart: heute

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