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Aus: Ausgabe vom 24.10.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Eine Straße und ihr Name

Melancholisch, nachdenklich, persönlich: Sven Boecks Filmessay »Die Allee«
Von F.-B. Habel
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»Deine Allee hat noch keine Bäume« – Bertolt Brecht, »An einen jungen Bauarbeiter der Stalinallee«

Die Allee, wie sie im Titel dieses Films genannt wird, hat viele Wandlungen durchlitten – von der Reichsstraße 1, auf der die sowjetischen Befreier aus dem Osten 1945 nach Berlin kamen, zu dem Prestigeobjekt, das dem Generalissimus gewidmet war, für das Bauarbeiter aus der ganzen DDR beschäftigt wurden.

Der Dichter Kuba schrieb 1952: »Sagt, wie soll man Stalin danken? Wir gaben dieser Straße seinen Namen.« Bis zur erneuten Umbenennung, die Wolf Biermann, als er sich noch in der Position als DDR-Hofnarr glaubte, so beschrieb: »Karl Marx, der große Denker, was hat er denn getan, dass man sein’ guten Namen schreibt an die Kacheln dran?«

Die gesamte Geschichte steht im Hintergrund und drängt mit Archivaufnahmen auch mal nach vorn. Der Grundduktus bleibt dabei nachdenklich. In Sven Boecks Filmessay »Die Allee«. Boeck, der vor drei Jahrzehnten die Babelsberger Filmhochschule absolvierte, stellt seine persönlichen Erinnerungen an die Karl-Marx-Allee, wie sie seit 1962 heißt, in den Mittelpunkt. Ganz in der Nähe wuchs er selbst auf und ging dort auch zur Schule. Das Haus der Kindheit war für ihn und seine Altersgenossen gemacht. Vergessen wird nicht, dass auch die Kinderbuchautorin Alex Wedding (»Ede und Unku«) dort lebte. Und weil Boeck auch schon vor über 30 Jahren dort filmte, kommt der 2002 verstorbene Maler Gabriele ­Mucchi zu Wort. Der Italiener wundert sich, dass in den neunziger Jahren gegen die Einverleibung des Ostens keiner auf die Barrikaden ging.

Doch prominente Namen spielen in Boecks Film eine untergeordnete Rolle. Er erzählt persönliche Geschichten, lässt etwa eine Freundin seiner Mutter zu Wort kommen, die in unwürdigen Umständen mit Kind in einer Einraumwohnung lebte und mit Hartnäckigkeit eine angemessenere Bleibe in der Allee erhielt, in der sie noch heute lebt. ­Boecks Tante Lotte, von Beruf Straßenbahnfahrerin, lebte in der Allee, wo sie als ehemalige Trümmerfrau ebenso eine Wohnung bekam wie die verdienten Bauarbeiter dieses Boulevards.

In seinem von Melancholie durchwehten Film erzählt der Regisseur von Erfahrungen aus den 80er Jahren, als der Stalinismus in der Allee und drumherum noch nicht ausgestorben war, und er berichtet von der »Nachwendezeit«, als der Berliner Senat in der Umgebung Straßenschlachten mit Hausbesetzern provozierte.

Der Filmemacher, der auch Kamera und Schnitt besorgte und den größten Teil der Kommentare selbst spricht, resümiert: »Totgeschlagen haben wir unseren Staat selbst, ausgeweidet haben ihn andere.«

Nebenbei erzählt der Film viel Lokalgeschichte, etwa von der Germania-Brauerei, die 1925 abbrannte, und auf deren Gelände der Germania-Palast, eines der größten Kinos Berlins, entstand, der zu Kriegsende ebenfalls zerstört wurde. Auch die beiden Kinoneubauten International und Kosmos übten seit den sechziger Jahren ihre Faszination aus. Und dass hier 1988 die Peres­troika-Filme der Woche des sowjetischen Films vor ihrem Verbot kurz gezeigt wurden, ist eine Fußnote für sich.

Boeck arbeitet mit Dokumentarfilmausschnitten und Fotos, von denen besonders viele vom Falkenseer Fotografen Heinz Krüger stammen, der u. a. für die DDR-Illustrierte Freie Welt arbeitete. Am 25. Oktober wird die Fotoausstellung zum Film in der Galerie der Fotopioniere eben in der Karl-Marx-Allee eröffnet. Der Film, der am Mittwoch im Kino Toni in Berlin-Weißensee Premiere hatte, läuft ebenfalls dort, wie auch in den Berliner Kinos Tilsiter Lichtspiele, ACUD, Bundesplatz-Kino und im Kulturhaus Karlshorst.

»Die Allee«, Regie: Sven Boeck, BRD 2024, 94 Min., bereits angelaufen

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