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Aus: Ausgabe vom 25.10.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
BRICS-Gipfel

Ringen um die Ukraine

BRICS-Gipfel: Dialog und Diplomatie sollen den Konflikt zwischen Moskau und Kiew beenden
Von Jörg Kronauer
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UN-Generalsekretär António Guterres wurde für seine Teilnahme am BRICS-Gipfel von westlichen Staatenvertretern angefeindet (Kasan, 24.10.2024)

Offiziell stand er nicht auf der Tagesordnung des BRICS-Gipfels – und dennoch war er ein wichtiges Thema während des Treffens in Kasan: der Ukraine-Krieg. Immer wieder wurde er angesprochen. »Wir glauben, Probleme sollten nur mit friedlichen Mitteln gelöst werden«, mahnte Indiens Premierminister Narendra Modi, als er am Dienstag noch vor dem offiziellen Gipfelbeginn mit Russlands Präsident Wladimir Putin zusammenkam. Neu-Delhi sei bereit, bekräftigte er, »jede nur erdenkliche Unterstützung zu leisten«, um »die Wiederherstellung von Frieden und Stabilität« zu fördern. Auch Chinas Präsident Xi Jinping thematisierte, als er am Rande des Gipfels Putin traf, den Krieg. Man weiß, dass Beijing über ihn nicht glücklich ist. Der Krieg sei in einer ganzen Reihe von Gesprächen »heftig« debattiert worden, räumte Putins Sprecher Dmitri Peskow ein, und der außenpolitische Präsidentenberater Juri Uschakow teilte mit, Putin habe am Dienstag bei einem informellen Essen detailliert über die Lage in der Ukraine berichten müssen.

Auch in der Gipfelerklärung, der »Kazan Declaration«, wird der Ukraine-Krieg erwähnt. Man »betone«, hieß es, »dass alle Staaten in Übereinstimmung mit den Zielen und Grundsätzen der UN-Charta handeln sollten«. Dass Russland dies bei seinem Angriff auf die Ukraine nicht getan hat, blieb ungesagt, war aber allen klar, wobei die BRICS-Staaten seit je regelmäßig auf die Vorgeschichte des Ukraine-Krieges hingewiesen haben bzw. darauf, wie der Westen Kiew als militärischen Prellbock gegen Moskau in Stellung brachte. Entsprechend hieß es in der Gipfelerklärung weiter, man nehme »wertschätzend« die Vermittlungsversuche wahr, die »auf eine friedliche Lösung des Konflikts mit Dialog und Diplomatie« zielten. Chinas Präsident Xi erinnerte daran, sein Land, Brasilien und weitere Staaten des globalen Südens hätten eine »Gruppe von Friedensfreunden« gegründet, die den Krieg auf dem Verhandlungsweg beenden wollten. Peskow wiederum teilte mit, »die meisten« in Kasan anwesenden Staaten hätten sich dazu bereit erklärt, zwischen Moskau und Kiew »als Vermittler aufzutreten«: »Wir schätzen solche Bemühungen.«

Dessen ungeachtet gelang es den westlichen Staaten nicht, den Ukraine-Krieg zu nutzen, um die BRICS zu spalten oder prominente Gipfelteilnehmer aus Kasan fernzuhalten. Vor allem UN-Generalsekretär António Guterres geriet in die diplomatische Schusslinie. Ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell verlangte, wenn Guterres denn schon nach Kasan reise, dann müsse er Russland wenigstens auffordern, sich »unverzüglich und bedingungslos aus dem ukrainischen Hoheitsgebiet zurückzuziehen«. Noch grobschlächtiger versuchte es der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij, der Guterres belehrte, er schade dem Ruf der UNO: Dass er »die Einladung des Kriegsverbrechers Putin« angenommen habe, sei »eine falsche Entscheidung«. Guterres ließ die Beschwerden an sich abprallen und teilte über einen Sprecher mit, er nehme auch an G7- und G20-Treffen regelmäßig teil. Die BRICS-Staaten seien darüber hinaus von besonderer Bedeutung, da in ihnen fast die Hälfte der Weltbevölkerung ansässig sei. Der UN-Generalsekretär werde »seine bekannten Positionen zum Krieg in der Ukraine und zu den Bedingungen für einen gerechten Frieden« auch in Kasan vertreten, bekräftigte der Sprecher. Ohnehin sehe Guterres sich in dem Konflikt als Vermittler, nicht als Partei.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (28. Oktober 2024 um 18:49 Uhr)
    Das Bekenntnis zu den »Zielen und Grundsätzen der UN-Charta« impliziert keineswegs eine eindeutige Verurteilung des russischen Eingreifens in den Donbass-Krieg. Russland stützt sich auf das kollektive Selbstverteidigungsrecht der Donbass-Republiken. Der Artikel 51 der UN-Charta billigt das Selbstverteidigungsrecht unabhängig von einer UN-Mitgliedschaft zu, indem er es als »naturgegeben« bezeichnet. Die Berichte der OSZE (https://www.osce.org/ukraine-smm/reports?page=2) belegen, dass der Ukraine-Krieg nicht von Russland begonnen wurde, sondern bereits vor dem russischen Kriegseintritt am toben war. Die in den Artikeln 1 und 2 der UN-Charta kodifizierten Ziele des Selbstbestimmungsrechts der Völker einerseits und der territorialen Unversehrtheit der Staaten andererseits stellen sich im Fall der Ukraine nun als kollidierende Rechtsnormen dar. Das bedeutet, dass die eine Norm nicht umgesetzt werden kann, ohne die andere Norm zu verletzen. Der Normalfall der Beachtung beider Normen gleichzeitig wäre die Autonomieregelung für ethnische Minderheiten bei Verbleib dieser Minderheiten im übergeordneten Staatsverband, wie etwa Russland es ganz gut umgesetzt hat. Kiew dagegen hat mit der Missachtung der Minsker Vereinbarungen Autonomie verweigert und erkennt von den beiden UN-Zielen eben nur eines an. Mit der rasant ansteigenden russophoben Gewalt ist für die Minderheit der Verbleib im ukrainischen Staatsverband unzumutbar geworden. Das bedeutet keineswegs eine Missachtung des Prinzips der territorialen Integrität der Ukraine, sondern lediglich die Anerkennung, dass die UN-Charta aus mehr als nur dem einen vom Westen einzig hochgehaltenen Prinzip der territorialen Integrität besteht. Die übersteigerte Fokussierung auf einen einzigen Grundsatz unter tunnelblickartiger Ausblendung aller anderen Grundsätze ist ein Kennzeichen von Fanatismus. Die westlichen Moralapostel haben da viel mit den von ihnen allerorten blutig bekämpften Terroristen gemeinsam.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Markus P. aus Frankfurt (30. Oktober 2024 um 03:27 Uhr)
      Da ist kein Widerspruch. Der IGH sagt: »Daher ist der Gerichtshof der Ansicht, dass ›der Anwendungsbereich des Prinzips der territorialen Integrität auf die Sphäre der Beziehungen zwischen den Staaten beschränkt ist‹.«[1] Nichtstaatl. Entitäten können formal die territ. Integrität (TI) nicht verletzen. Mehr noch ist es nicht verboten, Völkerrechtsregeln so auszulegen, als »ermächtigten oder ermunterten sie [z. B. Staaten] zu Maßnahmen, welche die territoriale Unversehrtheit oder die politische Einheit souveräner und unabhängiger Staaten, die sich [nicht!¹] gemäß dem […] Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker verhalten und die daher [keine!] Regierung besitzen, welche die gesamte Bevölkerung des Gebiets […] vertritt, ganz oder teilweise auflösen oder beeinträchtigen würden.«[2] Dieses (modifizierte) Zitat stammt aus UNGA-Res. 2625[2], die lt. IGH verbindliches »Völkergewohnheitsrecht widerspiegelt«[3, Nr. 80]. VR-lich ist die Beziehung zwischen Staaten und Völkern sehr unklar. Es gilt aber mindestens, dass die Donbass-Völker bei freier (!) Entscheidung das Recht auf »Gründung eines souveränen und unabhängigen Staates«[2] hatten und der ukr. Rest-Staat »jede Gewaltmaßnahme zu unterlassen« hatte, welche diese Völker, »ihres Rechts auf Selbstbestimmung, Freiheit und Unabhängigkeit beraubt. Bei ihren Maßnahmen und ihrem Widerstand gegen solche Gewaltmaßnahmen […] sind diese Völker berechtigt, im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der Charta Unterstützung zu suchen und zu erhalten.«[2] Die sog. »Antiterror-Operation« Kiews gegen womöglich legitim gegründete Staaten wäre somit die eig. Verletzung von TI und Aggression. Zumindest bei Aggression kommt es auf Anerkennung von Staaten ausdrücklich nicht an.[4] ¹A.d.V.◼[1] IGH | Fall 141 | Übersicht | http://www.icj-cij.org/case/141◼[2] http://www.un.org/depts/german/gv-early/ar2625.pdf◼[3] siehe [1]: (endgültiges) Rechtsgutachten◼[4] UNGA-Res. 3314 | http://www.un.org/depts/german/de/internatrecht.html
  • Leserbrief von Volker Wirth aus Berlin (28. Oktober 2024 um 16:41 Uhr)
    Von einem Ringen um das Land Ukraine in Kasan kann keine Rede sein. Alle Teilnehmerländer wussten um die gewaltsame Beseitigung der »prorussischen« Regierung des Landes und des ebenfalls »pororussischen« Präsidenten Janukowitsch 2014 und den Bürgerkriegscharakter der anschließenden Kämpfe und Massaker im russischsprachigen Süden und Osten des Landes sowie um die Wiederaufnahme der Kämpfe im Donbass bereits ab dem 17. Februar 2022 durch die zahlenmäßig haushoch überlegenen ukrainischen Truppen. Worum es anderen Teilnehmern des BRICS-plus-Treffens gehen musste, war eine Lösung einerseits im ungefähren Einklang mit den Menschenrechten für die russischsprachige Hälfte der Bevölkerung der Ukraine, andererseits entsprechend dem Völkerrecht, das die Eroberung und Einverleibung von Gebieten eines anderen Staates verbietet. Die Anschlussreferenden in vier bis dato völkerrechtlich zur Ukraine gehörenden Gebieten vor 2 Jahren und auch auf der vormals autonomen Krim vor 10 Jahren haben eine Problemlösung nicht leichter gemacht.(Nordzypern oder Kosovo sind keine Gegenargumente, denn formal wurden dabei neue Staaten geschaffen, diese Gebiete also nicht offiziell von der Türkei bzw. Albanien annektiert.) Ein Ausweg wäre die Internationalisierung des Konfliktes (wurde schon mal von Frau Nicole Deitelhoff vom Peace Research Institut in Frankfurt befürwortet) mit anschließendem Plebiszit (nach dem Vorbild der Lösung des Nordschleswigproblems 1920 – das wird z. B. von Sahra Wagenknecht befürwortet). Aber dazu sind offensichtlich beide Seiten nicht bereit. Der Westen, zu dem ja auch Kanada und Belgien mit recht vorbildlichen Lösungen für »zwei Nationen in einem Staat« gehören, unterstützt (ebenso wie in Palästina) die allseitige Unterdrückung der einen Nation durch ein chauvinistisches Regime der anderen, da ja die unterdrückte seinen Weltherrschaftsplänen ins Gehege kommt. Da ist dann Schluss mit Menschenrechten und Freiheit für unterdrückte Völker.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Markus P. aus Frankfurt (30. Oktober 2024 um 03:38 Uhr)
      Donezk und Lugansk gehörten völkerrechtlich lange nicht mehr zur Ukraine. Ihre Kerngebiete unterstanden eigenstaatlicher Kontrolle, der Rest war umstritten. Es waren unabhängige, sog. »defekte« Staaten. Kosovo ist hier sehr wohl ein Argument, wie auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker (UNGA-Res. 2625). Insb. gab es die 2013er Ukraine als mögl. Eignerstaat gar nicht mehr. Der von der Putsch-Regierung beherrschte restukraïnische Staat hatte weder verfassungs- noch bevölkerungs- noch gebietskontinuität mit der 2013er Ukraïne. Das kann man nicht einfach ignorieren. Bei den beiden anderen Gebieten hast du aber sowohl rechtlich als auch politisch Recht.

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