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Aus: Ausgabe vom 25.10.2024, Seite 4 / Inland
Speichern von IP-Adressen

Auf Verdacht statt auf Vorrat

»Quick Freeze«: Bundesjustizministerium legt neuen Gesetzentwurf zur Speicherung von IP-Adressen vor. Länder und Verbände können Stellung nehmen
Von Marc Bebenroth
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Wo ein Trog, da kommen die Schweine: Höchstrichterlich wurde wiederholt vor massenhafter Datenspeicherung gewarnt

Apologeten eines ermächtigten Polizeistaats ärgern sich jetzt schon. Das Bundesjustizministerium hat am Donnerstag den Entwurf für eine Gesetzesänderung zum sogenannten Quick-Freeze-Verfahren (Englisch für Schockgefrieren) für das Speichern von Telekommunikationsdaten wie Telefonnummern und IP-Adressen an die Bundesländer sowie an Fachverbände versandt. Damit bringt das von Marco Buschmann (FDP) geleitete Ressort seinen Gegenentwurf zur seit Jahrzehnten von Geheimdiensten, Polizeilobbyisten und den 17 Innenministerien geforderten »Vorratsdatenspeicherung« einen Schritt weiter. Die Länder sowie die Verbände haben nun sechs Wochen Zeit, um zum Entwurf Stellung zu beziehen.

Buschmann dürfte noch den Ansprüchen des einst einflussreichen Bürgerrechtsflügels seiner Partei genügen wollen. Der FDP-Politiker vertritt zudem vor allem die Interessen jener Kapitalfraktion, deren Geschäft das Betreiben von – möglichst überwachungsfreier – Telekommunikationsinfrastruktur ist. Der »Traum von der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung« sei für manche »noch immer nicht ausgeträumt«, erklärte der Minister am Donnerstag.

Er wies darauf hin, dass »alle Versuche, in Deutschland eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung einzuführen«, vor Gerichten mehrfach gescheitert sind. Auch im Referentenentwurf für das »Gesetz zur Einführung einer Sicherungsanordnung für Verkehrsdaten in der Strafprozessordnung« erinnert das Ministerium an die Serie von juristischen Niederlagen vor dem Europäischen Gerichtshof. Diese sind nicht nur Bürgerrechtlern – vor allem aus Frankreich – zu verdanken. Sie sind ebenso das Ergebnis von Klagen durch Telekommunikationsunternehmen gegen die »Vorratsdatenspeicherung«.

Aus Sicht des Justizministeriums handelt es sich beim »Quick Freeze«-Ansatz um einen Kompromiss, der »Strafverfolgungsbehörden bei gleichzeitiger Berücksichtigung der datenschutzrechtlichen Anforderungen einen wirksamen Zugriff auf die digitalen Beweismittel« ermöglicht. Konkret soll »das Ermittlungsinstrument einer Sicherungsanordnung« eingeführt werden. Mit dieser sollen vorhandene und zukünftige Verkehrsdaten »anlassbezogen zur Verfolgung von erheblichen Straftaten« auf richterliche Anordnung hin von den Telekommunikationsunternehmen gespeichert werden, wo sie anfallen. Das soll gelten, soweit diese Daten zur »Erforschung des Sachverhalts« oder zur Ortung eines Beschuldigten relevant sein können.

Diese so »eingefrorenen« Datensätze sollen dem Entwurf zufolge »Strafverfolgungsbehörden für eine begrenzte Zeit für eine spätere Erhebung und Auswertung zur Verfügung« gestellt werden. Dafür soll wiederum eine erneute richterliche Anordnung zum »Auftauen« eingeholt werden müssen. Auf diese Weise soll vermieden werden, dass anlasslos sämtliche Verkehrsdaten wie Anschlussnummern und IP-Adressen aller Nutzerinnen und Nutzer auf Vorrat gespeichert werden für den Fall, dass eine Strafverfolgungsbehörde – oder ein Geheimdienst – Bedarf anmelden sollten.

Als für die Bundespolizei und den Inlandsgeheimdienst zuständige Bundesministerin hat sich Nancy Faeser (SPD) wiederholt gegen den »Quick Freeze«-Ansatz ausgesprochen. 2022 hatte Buschmann eine erste Version des Gesetzes vorgelegt. Faeser blockiert dieses, ignorierte den Koalitionsvertrag der Ampelregierung und bestand auf massenhafter sowie anlassloser »Vorratsdatenspeicherung«.

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