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Aus: Ausgabe vom 25.10.2024, Seite 8 / Ausland
Narges Mohammadi inhaftiert

»Solidarität ist schön, wir sind ihr verpflichtet«

Iran: Inhaftierter Friedensnobelpreisträgerin wird wichtige medizinische Behandlung verwehrt. Ein Gespräch mit Pınar Selek
Interview: Gitta Düperthal
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Seit November 2021 ist die Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi in Haft (Oslo, 10.12.2023)

Der im Iran inhaftierten und schwer erkrankten Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi wird offenbar die medizinische Behandlung verweigert. Sie ist wegen »staatsfeindlicher Propaganda« angeklagt und im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran eingesperrt worden. Wie geht es ihr?

Seit November 2021 sitzt sie wegen Verurteilungen im Zusammenhang mit ihrem Einsatz gegen die Todesstrafe und die Hidschab-Pflicht im Iran im Gefängnis. Die Narges Foundation teilte mir mit, dass sie dort vor einem Monat gewa ltsam angegriffen wurde und noch heute darunter leidet. Zudem wies ein dem Gefängnis bereits im März vorgelegter Angiographiebericht auf erneutes Auftreten einer Blockade in der Hauptarterie ihres Herzens hin. Daran war sie schon 2021 erkrankt, nun gab es Komplikationen. Sie muss dringend ärztlich behandelt werden. Das iranische Regime verweigert aber, sie ins Krankenhaus bringen zu lassen.

Wie Narges Mohammadi sind auch Sie eine feministische Oppositionelle. Weil man Sie in der Türkei des Terrorismus anklagt, leben Sie im französischen Exil. Was verbindet Sie miteinander?

Weder sie noch ich kommen aus einem Land wie die britische Schriftstellerin Virginia Woolf. Wir sind aber freie Frauen. Sie ist frei, auch im Gefängnis. Vor ein paar Monaten gelang ihr eine große Aktion, die Geschlechterapartheid sichtbar zu machen, indem sie sich mit sieben Frauen auf der ganzen Welt unterhielt. Ich hatte das Glück, von ihr ausgewählt zu werden. Unser Gespräch wurde in einer Sonderausgabe des zweimonatlich erscheinenden Magazins Society in Kooperation mit dem Journalistenverband »Reporter sans Frontieres« im September veröffentlicht. Wir sind Schwestern, ich bewundere sie. Obwohl sie im Gefängnis ist, stellte sie mir erhabene Fragen. Wir müssen mehr nachdenken, zuhören, hinterfragen, diskutieren, uns mitunter selbst dekonstruieren, um diese starke Bindung zu anderen Frauen aufzubauen. Darum geht es: uns mit den sozialen und politischen Schwierigkeiten der anderen zu konfrontieren. Das ist ein großer Aufwand, immer wieder.

Wie kann es unter solchen Umständen, in Haft zumal, gelingen, sich vehement für Frauen, politische Gefangene und ethnische Minderheiten einzusetzen?

Wir müssen überraschende Aktionen erfinden, die neue Prozesse auslösen können: pazifistisch, dauerhaft und künstlerisch. Wir müssen mehr stören. Kontinuität ist wichtig und Sichtbarkeit.

Laut Narges Foundation rief Mohammadi am 7. Oktober aus der Haft heraus dazu auf, den Krieg in Nahost zu beenden. Können Sie sich vorstellen, wie man es schaffen kann, den Mut aufzubringen?

Narges Mohammadi ist eine glückliche Frau. Das Glück, das aus der Liebe kommt, verleiht ihr die Kraft des Lebens. Dieses Gefühl findet seine stärkste Erfüllung in der Erfahrung der Solidarität. So trägt sie die Last der Unterdrückung. Ihre analytische Klarheit, Reflexionsautonomie und Sensibilität sind für andere wiederum Quellen des Mutes. Indem sie mir aus dem Gefängnis ihre Fragen schickte, stimulierte sie auch meine Kräfte. Wenn ich an sie denke, verspüre ich noch mehr Kraft, mich für das Schaffen einer Welt einzusetzen, auf die wir stolz sein werden.

Narges Mohammadi hatte sich mit der Journalistin Dina Ghalibaf solidarisiert, die beschuldigt wurde, Sicherheitskräften im Internet Gewalt und sexuelle Übergriffigkeit bei einer früheren Festnahme vorgeworfen zu haben. Was bedeutet für Sie Frauensolidarität?

Mit unserer Emanzipation sind wir voneinander abhängig. Indem wir unsere Stimmen, unsere Intelligenz vereinen und unsere Ressourcen bündeln, können wir etwas bewegen. Dazu müssen wir Grenzen, Mauern und Schwierigkeiten überwinden. Solidarität ist schön, wir sind ihr aber auch verpflichtet.

Pınar Selek lebt in Frankreich und ist Antimilitaristin, Feministin, Soziologieprofessorin sowie Schriftstellerin

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