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Aus: Ausgabe vom 25.10.2024, Seite 10 / Feuilleton
Bildende Kunst

In diesem Zeichen wirst du siegen

Mit der Ausstellung »RE:VISION« zieht der Kunstverein Tiergarten eine opulente Bilanz von 20 Jahren Tätigkeit
Von Matthias Reichelt
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Das Deutsche Institut für Normung empfiehlt: Nezaket Ekici buchstabiert Kunst und Künstler

Am Anfang stand die Schließung. Die Galerie des Westberliner Bezirks Tiergarten am Lützowplatz bezog in den 1990er Jahren Räume im zweiten Stock des Brüder-Grimm-Hauses in der Turmstraße in Berlin-Moabit. Nach der Bezirksreform und der Zusammenlegung der Bezirke Tiergarten, Wedding und Mitte fusionierten auch die Kinder- und Jugendbibliotheken. In der Folge wurden im Erdgeschoss des Brüder-Grimm-Hauses 2003 die Räume frei und konnten ab 2004 unter dem damals als künstlerischer Leiter berufenen Ralf F. Hartmann genutzt werden. Die Gründung eines eigenen Kunstvereins ermöglichte ihm Drittmittelbeschaffung über die spärliche kommunale Finanzierung hinaus, er nutzte sie zur Neuaufstellung mit einem internationalen künstlerischen Programm. Denn wie Hartmann, der seit 2017 das Kulturamt Spandau leitet, kürzlich in einem Interview mit dem Magazin Kunstforum International ausführte, war es »die einzige Chance, die kommunale Galerie Nord durch bürgerschaftliches Engagement zu retten, sie auch finanziell durch die Mitgliedsbeiträge zu unterstützen und mit einem angeschlossenen Verein noch mal ganz anders Gelder einwerben zu können. Sonst wäre sie geschlossen worden.«

20 Jahre später und unter der Leitung der Künstlerin Veronika Witte blickt die Galerie Nord/Kunstverein Tiergarten mit der grandiosen Ausstellung »RE:VISION« auf eine erfolgreiche Geschichte mit zahllosen brisanten, aktuellen und politischen Projekten zurück. 2.193 Personen und Institutionen waren involviert. Eine eigene Publikation verzeichnet alle Beteiligten, darunter 1.303 internationale Künstlerinnen und Künstler, die dort ausgestellt hatten. Sie wurden gebeten, jeweils eine Arbeit als Leihgabe für die »RE:VISION« einzureichen, als Dank gab es den Jubiläumsband. Über mehrere Wochen füllte sich der einzigartige Ausstellungsparcours vor wandfüllenden Fototapeten, die die Räume in diversen Umbauphasen zeigen. Die Arbeiten der Künstlerinnen und Künstler finden sich in allen Ecken, an den Wänden in platzsparender Petersburger Hängung, auf Sockeln, in geöffneten Schränken und auf Tischen. Zum Ausstellungsende am Freitag und Sonnabend dürfte es besonders reizvoll sein, die Rückschau dieses weit über die Grenzen Berlins hinaus bekannten Kunstvereins zu besuchen. Sie hat etwas von Schaulager, Baumarkt und Archiv zugleich, was ihr einen besonderen ästhetischen Charme verleiht und zum Stöbern, Suchen und Entdecken einlädt. Begleitend gab es ein Rahmenprogramm mit Debatten und Performances.

Am 18. Oktober machte die international bekannte Künstlerin Nezaket Ekici den 1.303 Künstlerinnen und Künstlern und dem Ort ein besonderes Geschenk. Sie hatte vorab drei dicke Bände drucken lassen, in denen die Seiten mit jeweils nur einem Vor- und Nachnamen beschriftet sind. Auf den 1.303 Seiten der drei Bände werden alle Künstlerinnen und Künstler in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt. Von 11 Uhr morgens bis 19 Uhr abends stand, saß, lag oder kniete die Künstlerin dann in ihrem opulenten knallroten Ballkleid im Schaufenster und buchstabierte für die Besucher und, via Mikrofon und Lautsprecher nach außen übertragen, auch für Passanten alle Namen ihrer Kolleginnen und Kollegen. Dafür nutzte sie das 2022 als DIN 5009 veröffentlichte Buchstabieralphabet nach deutschen Städtenamen. Der aus der Türkei stammenden und seit langem in Berlin lebenden Künstlerin war das Buchstabieren nach Städtenamen bereits aus der Türkei geläufig.

Ihre Performance war eine Herausforderung bis an die Grenzen ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit. ­Ekici meisterte sie, ohne auch nur eine Pause einzulegen. Ihr Buchstabiervortrag ging immer wieder in ein nahezu lyrisches, rhythmisiertes Rezitieren über. Man konnte den Eindruck gewinnen, Ekici würde die Rezitation nicht nur mit ausladender Gestik, sondern auch mit einem Tänzeln unterstreichen. Jeder Künstlerin und jedem Künstler wurde durch inszenierte Langsamkeit des Buchstabierens eine längere Aufmerksamkeit und damit Ehre zuteil.

Angesichts der vom Berliner Senat anvisierten gravierenden Kürzungen des Kulturbudgets demonstriert die Ausstellung noch einmal beispielhaft die große produktive Energie, die an solchen Kulturorten freigesetzt wird. Deren Aktivitäten werden in Zukunft wahrscheinlich starke Einschränkungen erfahren, die auch die ökonomischen Existenzgrundlagen vieler freier Künstlerinnen und Künstler bedrohen dürften.

»RE:VISION. 20 Jahre Kunstverein Tiergarten«, Finissage am 26. Oktober 2024, 11–19 Uhr,

www.kunstverein-tiergarten.de

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