Digitaler Groove
Von Barbara EderSeit mehr als einem halben Jahrhundert ist Köln eine Stadt für elektroakustische Experimente. Von 1951 bis 2001 existierte im Funkhaus des WDR eines der weltweit ersten Studios für elektronische Musik, in den bleiernen Jahrzehnten nach Kriegsende entstanden dort die neuartigen Klänge einer aufkommenden Avantgarde. Karlheinz Stockhausen und andere Pioniere der elektronischen Musik arbeiteten bis zur Schließung des Studios vor Ort – und prägten die Entwicklung dessen, was später Neue Musik genannt werden sollte. Stockhausen selbst hatte für das Genre keine Arbeitsdefinition parat, lediglich das Zurücktreten des Autors hinter dem Klangereignis selbst charakterisiere den Stil. In der Fachzeitschrift Texte zur Musik sprach er 1965 von einer Musik, »die selbst denjenigen, die sie finden, die sie entstehen lassen, unheimlich, neu, unbekannt ist«.
Den Begründern der Neuen Musik ging es darum, Unbekanntes aufzuspüren und mit technischen Mitteln Neues zu schaffen. Sie sangen nicht, sondern modulierten – fernab der Noten alter Meister. Ihre Sounds zeigten sich als geschwungene Linien auf Monitoren – verschobene Sinuskurven mit der Möglichkeit zur mathematisch exakten Berechnung. Die Klangerzeuger kamen nicht aus Orcherstergräben, oft waren sie akustisches Found Footage von unterwegs – darunter Aufnahmen von Tierstimmen, Radiosendern und Baustellen. Oszillatoren, Tonbandgeräte und Rasierklingen fungierten ebenso als Instrumente wie Metallampenschirme, leere Flaschen und ausrangierte Klavierrahmen. Die erst später hinzugekommenen Synthesizer, Sampler und Computer sind schon seit längerem nicht mehr auf dem aktuellen Stand der Digitaltechnik. Zum Zeitpunkt der Schließung des WDR-Studios galten sie bereits als hoffnungslos veraltet.
Die Sonoj-Convention für Musikproduktion auf Open-Source-Basis setzt dort an, wo öffentlich-rechtliche Radiostationen versagen. DJs, Programmiererinnen und Analogmusikerinnen präsentierten am vorigen Wochenende in den Räumlichkeiten des Kölner Chaos Computer Clubs (CCC) Tools und Techniken, die quelloffen entwickelt werden und damit nach eigenen Bedürfnissen genutzt und modifiziert werden können. Creative-Commons-Lizenzen beinhalten die explizite Aufforderung zur Weitergabe eines digitalen Inhalts unter bestimmten Voraussetzungen. Dabei steht das Kürzel »by« für die Verpflichtung zur Namensnennung, »nc« für die nichtkommerzielle Nutzung von Inhalten, »nd« für das Verbot der Veränderung digitaler Inhalte und »sa« für »share alike« – eine schwache Lizenz, die ermöglicht, dass veröffentlichte Werke verändert und weiterverbreitet werden dürfen, wenn das daraus hervorgehende Musikstück denselben Lizenzbedingungen unterliegt. Bei der unter Producern beliebten Software »Ableton« handelt es sich um ein klassisches Closed-Source-Programm. »Ardour« hingegen ist eine leistungsstarke Audio Workstation für die Aufnahme und Bearbeitung von Sounds mit offenem Quellcode. Auch »Super Collider«, eine Plattform für Audiosynthese und algorithmische Komposition, und die modulare Musiksoftware »Bespoke Synth« sind Open-Source-basiert – und damit willkommene Alternativen.
»Sonoj« heißt auf Esperanto soviel wie »Klänge« oder »Töne«. Der Plural bleibt relevant, egal, woher der Sound kommt. So etwa performten Julia Cramer (Stimme) and this.ven (Gitarre) analoge Rhythmen in digitalen Räumen, Alex Milanov stellte seine im Browser ausführbaren Programme »Groovebox«, »Looper« und »Zampler« vor. Während einer DJ-Session demonstrierte Darko »Spintaneous« Jankovic, wie sich Plattenrillen digital abtasten lassen und beim »Crossfaden« dank Antizipation ein nahtloser Übergang entsteht. Eine Live-Coding-Session zeigte eindrucksvoll, wie aus Algorithmen komplexe musikalische Strukturen entstehen, und Mona Lange kreierte im Austausch mit dem Publikum in nur 40 Minuten ein Lied mit partiell vorgegebenen Lyrics. Der Folk-Punk-Song endete in A-Dur und mit einer zukunftsweisenden Message: »Crypto dreams of freedom’s call / Fuck capitalism, tear it all.«
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