Was ist hier los?
Von Ronald KohlAndré (Herbert Nordrum) ist der uncoolste Startup-Unternehmer von ganz Schweden, vermutlich ganz Skandinavien, vielleicht noch schlimmer. Seine Freundin Vera (Asta Kamma August) sieht zwar nicht ganz so wurmstichig aus wie er, steht aber trotzdem irgendwie in seinem Schatten. Auf die Standardfrage, was ihr Unternehmen denn von anderen unterscheide, antwortet André zu Beginn des Films einem Reporter: »Das Besondere an uns ist, dass wir weltweit agieren werden.«
Für diesen globalen Auftritt suchen sie nun Investoren. Eigentlich suchen sie erst einmal nach einem Weg, wie man potentielle Geldgeber anspricht, ohne es gleich total zu vermasseln. Von irgendeiner Jury oder vielleicht auch nur von einem Zufallsgenerator wurden sie dazu auserwählt, an einem Wochenendworkshop teilzunehmen, bei dem Startup-Tollpatschen wie ihnen von einem smarten Typen die Kniffe eingebläut werden sollen, mit denen sich die Brieftaschen anderer öffnen lassen. Julian heißt der Kerl – in früheren Zeiten wäre er sicher erfolgreicher Heiratsschwindler oder Versicherungsvertreter geworden. Sein Kurs nennt sich »Shake Up« und findet in einem todschicken, supermodernen Hotel im hohen Norden statt.
Ernst De Geer, der Regisseur und Koautor des Drehbuchs von »Hypnose«, berichtet, dass ihm für sein Spielfilmdebüt nur ein sehr kleines Budget zur Verfügung gestanden habe. Ihm sei deshalb klar gewesen, dass fast alles an ein und demselben Ort gedreht werden müsse. Aufgrund der Handlung kamen nur ein Kongresszentrum oder ein Hotel in Frage. Angesichts der enormen Preise erwies sich seine Vorstellung als reichlich dumm, wie De Geer heute zugibt. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie ein passendes Hotel fanden, das auch tatsächlich erst im Vorjahr fertiggestellt worden war (und vermutlich noch keine Gäste hatte).
Trotz der extravaganten Atmosphäre des Settings steht von vornherein fest, dass alles in einer Katastrophe enden wird. Denn Vera ist fest entschlossen, sich einen Tag vor Beginn das Rauchen abzugewöhnen. Um hierbei nichts anbrennen zu lassen, sucht sie eine Hypnotherapeutin auf, die ziemlich bald erkennt, dass das Rauchen nicht das eigentliche Problem ist. Ihre Schlussfolgerung: »Ich denke, wir sollten etwas Radikales versuchen.«
Man gewinnt beim Schauen des Films, spätestens sobald der Workshop beginnt, den Eindruck, dass auch Regisseur De Geer diese Therapeutin irgendwann einmal aufgesucht hat. Ob man dies auch anderen Regisseuren empfehlen sollte – daran scheiden sich die Kritikergeister. Fakt ist: Gewirkt scheint die hypothetische Hypnose zu haben.
Was also ist so radikal an dem Film? Macht er uns zu Nichtrauchern? Nein, viel schlimmer: Er macht uns zu Verrätern. Denn im Grunde ist klar, wie bescheuert dieser Pitch-Kurs ist. Und es ist tragisch, dass André den ganzen Bullshit so ernst nimmt und dass er Julian, dieses Puploch von Pitch-Coach, regelrecht anhimmelt. Andererseits begreift André gewiss nicht zu unrecht den idiotischen Kurs als einzige große Chance seines Lebens.
Vera wiederum scheint nur anwesend zu sein, um alles zu versauen. Mit ihrer taktlosen, oft unverschämten Art bringt sie nicht bloß André und Julian gegen sich auf, sondern auch alle anderen Kursteilnehmer – und irgendwann sogar uns, das ihr anfangs so gewogene Publikum. Genauso wie alle anderen fragen wir uns schließlich: Was ist los mit ihr? Was will sie? (Und warum raucht sie noch immer?) Kurzum: Wir betrachten sie irgendwann nur noch aus der Perspektive der Charaktere, die uns unsympathisch sind.
Was uns an De Geers Debüt außerdem beeindruckt, ist die Fähigkeit des Regisseurs, für jedes Verhalten seiner beiden Hauptfiguren, und sei es noch so krass und absurd, eine absolut einleuchtende Erklärung zu liefern, mal hinterher, mal im Vorfeld. Auf das wirklich äußerst rüde Happyend beispielsweise steuert die Handlung fast eine halbe Stunde lang sehr gekonnt und gezielt zu. Das Geniale dabei: Erst als André scheinbar völlig austickt, begreifen wir, dass sich Vera immer rational verhalten hat, gewissermaßen radikal rational. So etwas muss in der Welt der Startups verrückt wirken, total irre, nicht normal. Dennoch ist »Hypnose« keineswegs eine reine Satire. Ihrer Umgebung einen Spiegel vorzuhalten, ist auch nicht Veras primäres Anliegen, sondern lediglich Mittel zum Zweck: Sie will ihre große Liebe nicht verlieren.
Übrigens kommt in einigen Wochen mit »Es liegt an dir, Chéri« der aktuelle französische Beitrag zu diesem Thema in die Kinos. Ein Vergleich lohnt sich.
»Hypnose«, Regie: Ernst De Geer, Schweden/Norwegen/Frankreich 2024, 100 Min., bereits angelaufen
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