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Aus: Ausgabe vom 26.10.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
jW gegen BRD

Deutsche Gesinnungsjustiz

jW-Klage gegen die BRD zurückgewiesen, weil die Zeitung mit Kunst und Lenin die Einparteiendiktatur samt DDR wiedererrichten will
Von Dietmar Koschmieder
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Laut Gericht ein Beleg für das »Streben nach Einparteiendiktatur«: Mit dieser Zeichnung des Künstlers Thomas J. Richter warb die jW für ihre »Lenin-Bar«

Drei Monate brauchte das Berliner Verwaltungsgericht, um sein am 18. Juli 2024 gefälltes Urteil gegen die junge Welt jetzt auch schriftlich vorlegen zu können. Waren schon damals die mündlichen Ausführungen des Vorsitzenden Richters Dr. Peters zum Urteil kurios (siehe unten), werden nun auf 49 Seiten Erkenntnisse präsentiert, die selbst jene des Verfassungsschutzes locker in den Schatten stellen.

Zentraler Vorwurf im Urteil: Die junge Welt richte ihr Handeln an den Lehren von Marx und Lenin aus und strebe deren praktische Umsetzung an. Die junge Welt wolle »die Errichtung einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung«. Es gäbe zwar viele Arten von Marxismus, aber »für die Leserschaft der jW (…) ist der klassisch marxistisch-leninistische die bekannteste Form. Weil dies inklusive Einparteiensystem in der DDR für Jahrzehnte gelebt wurde.« Die junge Welt wird also nur von verblödeten Ossis gelesen, die ihre Diktatur wiederhaben wollen? Später präzisiert er, die junge Welt propagiere eine Gesellschaftsordnung mit einem Einparteiensystem und wolle mit ihrem Handeln die Konterrevolution rückgängig machen, also die DDR wiedererrichten. Und wer jetzt glaubt, absurder geht nimmer, wird gleich merken: Das geht! »Nach dem klassischen Marxismus-Leninismus ist es notwendig, mit Gewalt gegen die Kapitalisten vorzugehen, um die sozialistische Revolution zu ermöglichen. Es ist daher im Sinne der jW, wenn die von ihrer Propaganda (…) ›aufgeklärte‹ Leserschaft im Sinne von Lenin dazu übergeht, mit Gewalt bzw. politischen Straftaten die sozialistische Revolution einzuleiten.«

Gewaltbereit

Wenn ein deutsches Gericht solche Ungeheuerlichkeiten behauptet, erwartet man als Grundlage dafür Beweise. Die sind in diesem Fall aber nicht notwendig, wie Richter Peters ausführt: Es gehe um »zahlreiche und hinreichend verdichtete tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die (…) junge Welt (…) die vorbeschriebene verfassungsfeindliche Gesellschaftsordnung anstrebte«. Dafür nutzt der Richter einen bunten Strauß von belanglosen Erkenntnissen, die dem Verfassungsschutz nach jahrelanger geheimdienstlicher Überwachung der jungen Welt vorliegen. Für die zentrale Unterstellung, die junge Welt strebe eine Einparteiendiktatur an, wurde nicht eine einzige Textstelle gefunden. Das ist auch Richter Peters aufgefallen, doch dafür hat er eine einfache Erklärung: Dies sei – in Kenntnis des KPD-Verbotsurteils – »ein taktisches Auslassen dieses Themas durch die jW« (wie er auch später jene Textstellen, mit denen belegt werden kann, dass sich die junge Welt für den Erhalt bürgerlicher Rechte und liberaler Rechtsstandards einsetzt, als taktisches Manöver wertet). Statt dessen nennt Peters eine Fülle von »berücksichtigungsfähigen tatsächlichen Anhaltspunkten« für seine kruden Thesen:

– »Die jW bejaht neben Marx (…) auch Lenin und seine Theorien, weshalb anzunehmen ist, dass die jW auch die vorbeschriebene Gesellschaftsordnung im klassischen marxistischen Sinne gutheißt. Lenins Auffassungen sind antidemokratisch und menschenrechtswidrig und widersprechen den Verfassungsgrundsätzen in vorbeschriebenen Maße.«

– »Durch das Publizieren originaler Texte von Lenin und die damit im Zusammenhang stehende Berichterstattung in der jW warben Verlag und Redaktion offen für Lenin und seine Theorien.«

– »Dass die jW Marx und Lenin die gleiche hervorgehobene Bedeutung zumisst, zeigt sich auch daran, dass sie in ihrer Rubrik Rotlicht (…) standardmäßig neben dem Schriftzug Rotlicht drei stilisierte Köpfe von Marx, Engels und Lenin abdruckte.«

– »Die Verehrung Lenins wird weiterhin dadurch deutlich, dass die jW im Jahr 2018 ihr Programm auf dem UZ-Pressefest in der ›Lenin-Bar‹ (…) eröffnete und schloss. Dazu sei in der Programmanzeige eine Karikatur mit der für sich sprechenden Aufschrift ›Hoch Lenin!‹ abgedruckt worden.« (siehe Abbildung)

junge Welt habe auch ein Buch zur Geschichte der Lenindenkmäler in Deutschland herausgegeben.

– »Ebenfalls im Jahr 2020 führte die jW zu seinem 150. Geburtstag aus, dass Lenin ›an dem Schlaf der Welt‹ gerührt habe. Begleitet wurde die Überschrift durch eine sehr großformatige Zeichnung. (Hinweis: Dabei handelte es sich um eine eher kleine Skizze des Zeichners F. W. Bernstein.) Dazu gab es einen Artikel mit der Überschrift ›Lenins Tat‹, in welchem ausgeführt wurde, dass die russische Revolution u. a. auch auf ihn zurückgehe und die Erben der Bolschewiki sich viele Jahrzehnte gehalten und dabei auch dem ›deutschen Faschismus‹ den Garaus gemacht hätten.«

Antifaschistisch

Der zweite »gewichtige Anhaltspunkt« für die Verfassungsfeindlichkeit »sind die Verbindungen zwischen (…) jW und der DKP«, heißt es im Urteil. Auch dafür werden »tatsächlich Anhaltspunkte« genannt. So werde dem Vorsitzenden dieser Partei, Patrick Köbele, »immer wieder die Möglichkeit eingeräumt, für seine politischen Inhalte medienwirksam zu werben.« Auch andere DKP-Mitglieder hätten Gelegenheit bekommen, »ihre Ideen und Ansichten in der jW zu teilen und sich zu äußern.« Außerdem gebe es »personelle Verflechtungen«. Der Richter nennt sechs von über 100 aktuellen oder bisherigen Mitarbeitenden der jungen Welt, die zumindest durch einen Besuch auf dem UZ-Pressefest ihre Nähe zur DKP demonstriert hätten oder gar Mitglied in der Partei seien – und gerade mal zwei von über 800 Autoren pro Jahr. Es sei zwar richtig, dass nur einige Autoren und Mitarbeiter der DKP zuzuordnen seien, wie die junge Welt betont habe, aber im Verfassungsschutzbericht sei ja auch nur von »einzelnen« und »einigen« die Rede, dies entspräche also den Tatsachen. Und trotzdem meint der Richter, dass diese mageren Anhaltspunkte ausreichend dafür seien, zu behaupten, dass die junge Welt von der DKP gesteuert sei. Zwar kämen auch andere links ausgerichtete Parteien und Organisationen in der jW zu Wort, dies sei aber nur »notwendiges Beiwerk« einer Tageszeitung, »die ihre Leserschaft im linken Spektrum sucht«.

Der dritte Kern für den Nachweis des Bestrebens der jW gegen die freiheitliche Grundordnung sei der Umstand, dass sie »nicht nur eine verfassungsfeindliche Gesinnung« habe, sondern aktiv die Errichtung der Einparteiendiktatur anstrebe. Auch das steht so nirgends in der Zeitung, dort finden sich statt dessen viele andere Dinge – die seien aber nur »die interessante und unauffällige Einbettung der Inhalte, mit welchen sie auf ihr vorstehendes Ziel (also die Errichtung einer Einparteiendiktatur) hinarbeitet«. Als Beispiel für die gefährliche und erfolgreiche Vernetzung der jW und ihren aktiven Kampf für die gewaltsame Erkämpfung einer anderen Gesellschaftsordnung wird dann der Zeitung vorgeworfen, dass sie in ihrer jW-Maigalerie »in fünfzehn Jahren mehr als 600 Veranstaltungen mit über 48.000 Zuschauern« durchgeführt habe »und daneben 75 Expositionen im Spektrum von gesellschaftspolitisch engagierter Kunst« gezeigt wurden.

Die junge Welt strebt keine Einparteiendiktatur an, sie betreibt noch nicht einmal wie andere Zeitungen das Geschäft der Politikberatung. Die junge Welt, ihr Verlag und die Genossenschaft, die sie herausgibt, wollen jeden Tag eine gute, brauchbare Tageszeitung anbieten und für diese möglichst viele Leserinnen und Leser gewinnen. Dabei soll Wirklichkeit so beschrieben werden, wie sie ist. Das kann die junge Welt deshalb besonders gut, weil ihr dafür Erkenntnisgrundlagen, die von Marx, aber auch von Lenin und anderen erarbeitet wurden, zur Verfügung stehen. Kann schon sein, dass die junge Welt genau deshalb in Augen des bürgerlichen Staates so gefährlich und ein Hindernis auf dem Weg zur Kriegstüchtigkeit ist. Auf jeden Fall werden die junge Welt und der Verlag 8. Mai gegen dieses Urteil aus erster Instanz vorgehen. Auch um die bürgerliche Demokratie zu verteidigen.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

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