Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 26.10.2024, Seite 4 (Beilage) / Wochenendbeilage
Umweltschutz

Puccinis See

100 Jahre nach dem Tod des Komponisten droht mit dem Lago di Massaciuccoli eine seiner größten Inspirationsquellen zu verschwinden
Von Francesco Bertolucci
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Eines der größten Probleme ist die vorangetriebene Verlandung

Der Lago di Massaciuccoli in Italien ist eng mit Giacomo Puccini verbunden. Der in der Regionalhauptstadt Lucca geborene Komponist ließ sich 1891 an seinen Ufern nieder. Er war zu dem Zeitpunkt bereits berühmt, aber Erfolge wie »Manon Lescaut«, »La Bohème«, »Madame Butterfly«, »La fanciulla del West« oder »Turandot« – eine Oper, die 1926, zwei Jahre nach seinem Tod, aufgeführt wurde – standen noch bevor. Der See und seine Schauplätze waren für ihn eine Inspirationsquelle, zum Beispiel bei seiner Arbeit an »La fanciulla«, von der auch der Film »Puccini e la fanciulla« (2008) von Paolo Benvenuti erzählt. Doch heute ist der See gefährdet. Ismaele Ridolfi, Präsident des Consorzio di Bonifica Toscana Nord, sagt: »Der Massaciuccoli-See ist krank, vor allem aus ökologischer Sicht.« Der See, der in den Gemeinden Massarosa, Viareggio und Vecchiano in der Toskana liegt, unter anderem als Station von Zugvögeln zu den italienischen Feuchtgebieten von internationaler Bedeutung gehört und an dessen Ufern der Komponist jahrelang lebte, ist demnach ernsthaft in seiner Existenz gefährdet. »Den See erreicht zuwenig Wasser«, bemerkt der Biologe Gilberto Baldaccini, »und zu viele Einträge von Nährstoffen aus landwirtschaftlichen Abfällen haben ihn in die Knie gezwungen. Das ist die Folge der industriellen Ausbeutung des Sees.«

Verlandung und Artensterben

Eine Ausbeutung, die gegen Ende des 17. Jahrhunderts mit der Ausgrabung von Kieselsandbänken begann. Ab Ende des 19. Jahrhunderts wurde dann Torf zur Energiegewinnung abgebaut. Das veranlasste Puccini schließlich, aus »seinem« Torre del Lago zu fliehen, das bis heute als »Torre del Lago Puccini« für sich wirbt. Die Gewinnung von Land für die Landwirtschaft und Siedlungen in den 1930er Jahren führte zu einer drastischen Verringerung der Feuchtgebiete des Sees von 5.000 auf 2.000 Hektar. Die mit Schilf bewachsenen Sümpfe, die als Filter fungierten, wurden allmählich reduziert, indem Pumpwerke das Wasser in den See pumpten und ein großer Teil des Quellwassers aus den Bergen, das den Massaciuccoli speiste, mit Aquädukten abgezweigt wurde. Die Qualität des Wassers im See begann zu leiden. »Mein Großvater hat mir immer erzählt, dass das Wasser kristallklar war«, sagt ein Anwohner, der seit den 1960er Jahren regelmäßig um den See wandert. »Die intensive Nutzung hatte dann Fischsterben, das Aussterben von Arten und verschmutztes Wasser zur Folge.«

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In Torre del Lago, wo sich auch das Puccini-Mausoleum befindet, wird das Andenken des Maestros hochgehalten

Mit dem technischen Fortschritt intensivierten sich die Eingriffe, und die Umweltschäden nahmen mit der Ausbeutung des Sees überproportional zu. Hinzu kamen zum Beispiel noch Steinbrüche. Sie reißen 18 bis 20 Meter tiefe Abgründe in die Landschaft, die auch auf Satellitenfotos zu sehen sind und den See beeinflussen. Bei Flut und Wind aus südwestlichen Richtungen dringt Salzwasser aus dem nahen Mittelmeer, das normalerweise durch Schleusentore »blockiert« ist, ein und kann nicht mehr abfließen. Bei Bedarf wird Wasser abgepumpt. Das führt dazu, dass das Land rund um den See jährlich um zwei bis vier Zentimeter absinkt und bis zu vier Meter unter dem Meeresspiegel liegt. »Früher gelangte Quellwasser von den Hügeln in den See, dann gereinigte Abwässer aus der Landgewinnung«, betont Riccardo Cecchini, Präsident der Umweltschutzorganisation Legambiente in der Versilia. »Mit der Einführung von Düngemitteln und Unkrautbekämpfungsmitteln kam es zu erheblichen chemischen Belastungen, die die Unterwasservegetation des Sees fast zum Verschwinden brachten, wobei die Sichttiefe des Wassers auf 50 bis 60 Zentimeter sank.« Das Verschwinden vieler Pflanzen führt zu Veränderungen auch in der Fauna. Während einige Vogelarten wie Reiher, Seidenreiher und Rohrdommeln weiterhin am See brüten, der zu den besonderen Schutzgebieten für Wildtiere in Europa gehört, sind andere praktisch ausgestorben. »Jedes Jahr überwintern fünfzehn- bis zwanzigtausend Blässhühner am See«, erklärt Andrea Fontanelli, Leiter des Naturschutzgebiets LIPU-Oase. »Wegen der großen Anzahl wurde eine besondere Jagd auf sie veranstaltet, vier- bis fünftausend Exemplare wurden in ein paar Tagen erlegt. Die Jagd gab es bis 1957, dann wurde sie eingestellt, weil immer weniger Tiere kamen. Bei der letzten Zählung waren es nur noch 53 Exemplare.«

Auch Fische sind betroffen. Viele verschwinden praktisch. Wie die Schleie, eines der »typischen Gerichte« der Gemeinde Massarosa, die Rotfeder und der Hecht, der inzwischen wiedereingeführt wurde. Das Verschwinden einheimischer Arten ist sowohl auf die Ausbreitung gebietsfremder Spezies wie des Louisiana-Krebses, der aus Farmen in der Umgebung stammt, des Brasilianischen Tausendblatts, einer invasiven Pflanze, und von Rochen nach dem Hochwasser von 2009 zurückzuführen als auch und vor allem auf die Zunahme von Nährstoffen, die wiederum eine Vermehrung giftiger Algen zur Folge hatte. »Der größere Nährstoffeintrag«, sagt Baldaccini, »hat auch den Salzgehalt ansteigen lassen, was wiederum zum Auftreten von Prymnesium parvum führte, einer mikroskopisch kleinen Alge, die immer wieder ›aufblüht‹, was für Fische tödlich ist. Ebenso steht es um Mycrocistis aeruginosa, ein Bakterium, das vom Istituto Superiore di Sanità als giftig eingestuft wird. Das Grundproblem ist aber, dass zuwenig Wasser in den See gelangt.«

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Der Lago di ­Massaciuccoli dient zahlreichen geschützten Zugvögeln als Station

Wettlauf gegen die Zeit

Es musste also etwas unternommen werden, zumal zum Problem der Steinbrüche, der Torfmoore und der Landwirtschaft eine Industriezone – auch mit chemischer Verarbeitung –, eine Mülldeponie und eine Kompostieranlage im Gebiet des Sees hinzukamen. Die Leitung des Ende der 1970er Jahre gegründeten Schutzgebiets »Parco Migliarino San Rossore« ging voran. Sie gab Studien in Auftrag, aus denen hervorging, dass jedes Jahr etwa 16 Tonnen Phosphat und 219 Tonnen Stickstoff in den See gelangten. In den 1990er Jahren wurde dann der Steinbruchbetrieb eingestellt. Anfang der 2000er Jahre wurde vorgeschlagen, den Wasserstand des Sees durch eine Röhrenverbindung mit dem Fluss Serchio zu erhöhen, die in den wärmeren Monaten drei Kubikmeter Wasser pro Sekunde in den See leiten sollte. Das zuständige Ministerium hatte Mittel in Höhe von 20 Millionen Euro dafür bereitgestellt, aber es ist nichts daraus geworden. 2019 wurde ein »Vertrag über den See« paraphiert, eine freiwillige Vereinbarung zwischen der Gemeinde Massarosa unter anderem mit der Parkverwaltung, den für den Nördlichen Apennin zuständigen Behörden, dem Konsortium für die Sanierung der Nordtoskana, den Gemeinden Viareggio und Vecchiano sowie der Universität Pisa. Dies war der Wendepunkt. »Nach dem Zweiten Weltkrieg waren der See und die Sümpfe zu einem echten Industriegebiet geworden«, sagte Präsident ­Giovanni Maffei Cardellini bei der Unterzeichnung, »jetzt planen wir eine Reihe von Maßnahmen, um diesen Trend endgültig umzukehren.«

Auf Grundlage unter anderem von Untersuchungen der Scuola Superiore di Sant’Anna wurde eine Reihe von Maßnahmen geplant, die mit vom Ministerium bereitgestellten Mitteln durchgeführt werden sollten. Das Projekt einer »großen Röhre« zwischen Serchio und ­Massaciuccoli wurde allerdings fallengelassen, an ihre Stelle sollte eine »kleine Röhre« mit geringeren Kosten und halbierter Durchflussmenge treten. »Der Nutzen«, erklärt Enio Paris, Professor an der Universität Pisa, der das Projekt leitete, »besteht darin, dass man Wasser einspritzen kann, wenn der See zu ersticken droht. Ein Vorteil sowohl für den See als auch für das Ökosystem im allgemeinen. Ich verstehe nicht, warum das Projekt in der Schublade geblieben ist.« Obwohl sie schon in genanntem »Vertrag« festgehalten ist, wurde die Einrichtung der Röhrenanlage zusätzlich zwischen den lokalen Behörden und dem Umweltministerium vereinbart. Nach der Unterzeichnung vor fünf Jahren hat das Sanierungskonsortium ein Durchführungskonzept vorgelegt, das nun noch einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen wird.

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Pavillons auf Stelzen wie dieser sind typisch für die Landschaft der Versilia

»Die Probleme des Sees müssen wir alle gemeinsam angehen, aber es ist nicht einfach, alle Akteure an einen Tisch zu bringen«, räumt Mario Navari, Umweltstadtrat der Gemeinde Massarosa, ein. »Vor Jahren gab es noch gegensätzliche Interessen. Das sehe ich jetzt nicht mehr, vielmehr scheint es heute einen gemeinsamen Willen und eine gemeinsame Sensibilität zu geben. Was fehlt, sind eher die Mittel.«

In der Zwischenzeit berichtet die Umweltschutzbehörde ARPAT, dass »Analysen eine festgefahrene Situation bestätigen« und der See »immer noch unter den gleichen Schwierigkeiten leidet«. Es ist sogar noch eine weitere hinzugekommen: Abfall. »Rund um den See wird viel Müll illegal entsorgt«, sagt Moreno Farnocchia von Kayak Versilia, einer Einrichtung zum Schutz des Sees. Sogar ganze Boote aus Glasfaser würden illegal entsorgt. »Wir haben ganze 16 gemeldet, darunter auch ein Kajütboot. Man bringt die Boote hierher, entfernt Erkennungszeichen und versenkt sie. Ihre Entsorgung würde über 200 Euro kosten. Ganz zu schweigen von dem vielen Müll wie zum Beispiel durch den Einsatz von Unkrautvernichtungsmitteln entstandene Pflanzenreste, die mit dem Gift in den See gelangen. Es ist ein aussichtsloser Kampf mit Abfällen.«

Zusammen mit dem Bau der »kleinen Röhre« wird nun eine ganze Reihe von Maßnahmen ausgeführt, auch um Risiken durch den kontinuierlichen Anstieg des Meeresspiegels und starke Regenfälle zu verringern. Monica Bini, Geologin an der Universität Pisa, warnt vor der Gefahr des Verlandens und sagt: »Eine weitsichtige Vision wäre es, einige Gebiete wieder zu fluten.« Denn dann würde eine natürliche Umgebung wiedererstehen, die das Wasser reinigt, so dass die Wasserflora zurückkehren könne, erklärt auch Antonio Barsanti, Veterinär und Mitarbeiter der Behörde ASL. »Es gäbe keinen Nährstoffeintrag mehr vom Boden ins Wasser, weil die Situation vor der Trockenlegung wiederhergestellt würde. Heute pumpen wir Wasser zu unendlichen Kosten in den See, es gibt in der Umgebung Böden, die sieben bis acht Meter unter dem Meeresspiegel liegen: Sie trockenzuhalten ist nicht mehr nachhaltig. In der Vergangenheit wurde alles falsch gemacht, heute müssen wir das Richtige tun. Wir hoffen, dass wir den See, der Puccini inspiriert hat, noch rechtzeitig retten können.«

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