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Aus: Ausgabe vom 28.10.2024, Seite 5 / Inland
Gesundheitssystem

1.000 Kriegsversehrte pro Tag

Das BRD-Gesundheitssystem käme bei direkter Kriegsbeteiligung schnell an seine Grenzen. Manche Mediziner wollen das nicht glauben, andere den Krieg verhindern
Von Susanne Knütter
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Kein Bild für die Zukunft: Ärzte warnen die Regierung vor einer »zynischen Kalkulation« der Gesundheitsfolgen durch Krieg

Die Frage von »Kriegstüchtigkeit« wird längst auch für das Gesundheitswesen diskutiert. In der vergangenen Woche widmete der Deutsche Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie einen großen Teil seiner Veranstaltungen dem Thema »Wie gut sind Deutschlands Krankenhäuser auf den militärischen Bündnisfall vorbereitet?« Sein Fazit: gar nicht. NATO-Simulationen würden von 1.000 Verletzten pro Tag ausgehen. Nach 48 Stunden wären die fünf Bundeswehr-Krankenhäuser mit 1.800 Betten und die neun assoziierten genossenschaftlichen Kliniken mit 2.200 Betten voll.

Schon die Kriegsversehrten aus der Ukraine konnten diese auf Kriegswunden spezialisierten Krankenhäuser nur in Zusammenarbeit mit den zivilen Kliniken des Traumanetzwerkes stemmen, erklärte Dietmar Pennig, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), am 22. Oktober. Seit Beginn des Krieges wurden 1.200 ukrainische Soldaten in der BRD versorgt. Weil schwer verletzt, auch wegen »Gliedmaßenverlusten«, müssten die Patienten »aufwendigst behandelt und anschließend rehabilitiert« werden, so Pennig.

Anstatt die Frage zu stellen, wie eine Ausweitung des Krieges unbedingt zu verhindern ist und wie die Mediziner dazu beitragen können, interessieren sich die Chirurgen von der DGOU dafür, wie diese Masse an Kriegsopfern zu bewältigen wäre. Sie fordern gar eine »gemeinsame Kommandozentrale«, die helfen soll, Patienten »zu sichten« und dann auf die 600 Krankenhäuser des Traumanetzwerkes »entsprechend der Verletzungsstärke zu verteilen«.

Daran wird gearbeitet. Eine zivilmilitärische Planungsgruppe aus Bund, Ländern und Kommunen, den »Blaulichtorganisationen«, der Wirtschaft und der Bundeswehr entwickle »einen Operationsplan, der auch gesundheitliche Aspekte adressiert«, erklärte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf jW-Anfrage. Die Planungen würden flankiert von »zivilen Alarmplanungen, die ebenfalls stetig verbessert werden«. Im Fokus sei dabei die »Konzeptionierung einer ›Nationalen Reserve Gesundheitsschutz‹ (NRGS)«.

Das BMG erarbeitet aktuell einen Entwurf für ein Gesundheitssicherstellungsgesetz, das den »gesundheitlichen Schutz der Bevölkerung vor ›kriegsbedingten‹ Gefahren verbessern soll«. Ziel sei eine verbesserte Versorgung mit Arzneimittel- und Medizinprodukten, regelmäßige Ernstfallübungen sowie eine »gesetzliche Verankerung eines Mechanismus zur strategischen Patientenverlegung«. Dazu gehören auch »Bereitschaften von Zivilen, also Kräften in der Ärzteschaft, für den Bündnisfall oder den Verteidigungsfall«, wie Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in der Fragestunde des Bundestags vom 16. Oktober ausführte.

Zumindest ein Teil der Ärzteschaft will da nicht mitmachen. »Wir sehen unsere Aufgabe (…) darin, über die unvermeidbaren und entsetzlichen gesundheitlichen Folgen von Kriegen aufzuklären, um diese einzudämmen oder zu verhindern«, erklärte der Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte (VDÄÄ) im Juli als Reaktion auf die beabsichtigte Stationierung von US-Langstreckenraketen in Deutschland. Die Mediziner wollten sich »nicht an der Illusion beteiligen, dass ein Krieg mit direkter Beteiligung der Bundesrepublik beherrschbar oder gar zu ›gewinnen‹ sein wird und dass menschliche Schäden mit Hilfe von uns Ärztinnen und Ärzten dabei in einem akzeptablen Maße gering gehalten werden könnten«.

Mit der Schaffung einer solchen Illusion »und zynischen Kalkulation zur Beherrschbarkeit der gesundheitlichen Folgen« bereite die Bundesregierung den Boden »für künftige Kriege«. Man wehre sich auch gegen die zugedachte Rolle, ein »Rädchen in der militärischen Maschinerie« zu sein und Soldaten »nur schnell wieder einsatzbereit zu machen und damit deren Nutzbarmachung für den Fortgang eines Krieges zu unterstützen«. Die VDÄÄ-Stellungnahme ist damit auch eine Reaktion auf die im Juni vom Kabinett beschlossene, veränderte »Rahmenrichtlinie Gesamtverteidigung«, die auch Vorgaben für den Gesundheitssektor formuliert.

Die Mediziner fordern statt dessen »Abrüstung, Demilitarisierung, internationale solidarische Vernetzung und Friedensarbeit auf allen gesellschaftlichen und politischen Ebenen«. Es mag »naiv« klingen, »sich angesichts der harten globalen Konkurrenzkämpfe zwischen den großen Machtblöcken für eine Entspannung einzusetzen«. Aber »nur weil eine internationale Gegenbewegung zur Militarisierung zur Zeit noch keine große Kraft entfaltet«, bedeutet das nicht, »die Gewalt und das Gesetz des Stärkeren ohne Widerspruch hinzunehmen«.

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