Fälschen mit Augenmaß
Von Reinhard LauterbachSicher, die Hand kann man für das Wahlergebnis vom Sonnabend nicht ins Feuer legen. Das liegt nicht daran, dass es in Georgien an einem funktionierenden Beamtenapparat nach westeuropäischem Vorbild mangelte; es liegt daran, dass die Kontinuität der Staatsräson, die in entwickelten parlamentarischen Systemen jeden Regierungswechsel übersteht und den Wahlausgang so spannend macht wie ein Fußballergebnis der Kreisklasse, sich in Georgien so noch nicht herausgebildet hat. Wenn dort eine Richtungswahl anstand, dann war es viel eher eine als die, die im Spätsommer für Thüringen oder Sachsen herbeigeschrieben worden ist. Ja, es stimmt, der Staatsapparat ist in den letzten zwölf Jahren von der Regierungspartei »Georgischer Traum« mit verlässlichen Menschen an den entscheidenden Stellen ausgestattet worden. Aber das heißt noch lange nicht, dass die Ergebnisse nicht plausibel wären. Dafür sprechen einige Indizien.
Erstens der Amtsbonus der Regierungspartei. Wer bereits an der Macht ist, kann alle möglichen Zuckerstückchen verteilen: von einem Lebensmittelpaket für Rentner bis zu Baugenehmigungen. Zweitens das Ergebnis für die Hauptstadt Tbilissi. Sie galt als Hochburg der prowestlichen Opposition. Jetzt verzeichnet das amtliche Endergebnis für Tbilissi 45,8 Prozent für die vereinigten Proeuropäer und 45,54 Prozent für den »Georgischen Traum«. Das ist eine hauchdünne Mehrheit, beileibe kein Erdrutsch- oder Hochburgergebnis. Drittens hatte die Regierungspartei erklärt, eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit anzustreben. Dieses Ziel hat sie deutlich verfehlt. Wäre sie entschlossen gewesen, das Ergebnis auf jeden Fall zu ihren Gunsten zu drehen, hätte sie vermutlich auch die 67 Prozent zusammenschustern können. Hat sie aber nicht.
Aber unterstellt, die Wahlen wurden gefälscht, bedeutet das georgische Ergebnis: Auch Wahlfälscher können lernen. Weiter unterstellt, dass alle Fäden der Wahlfälschung in Moskau zusammenlaufen – was nicht erwiesen ist –, dann würde dies bedeuten, dass man sich dort darüber klar war, dass ein Ergebnis wie die Alexander Lukaschenko 2020 zugeschriebenen 80 Prozent sich politisch nicht würde halten lassen, ohne die georgische Opposition zu militanten Protesten geradezu aufzufordern. Unterstellt man also drittens, dass Russland in erster Linie an Stabilität in Georgien gelegen ist und nicht an einem wie auch immer etikettierten Regimewechsel, der mit ungewissem Ausgang niedergeschlagen werden müsste – dann hätten die mutmaßlichen Strippenzieher in Moskau ihre Lektion gelernt: es mit dem Nachhelfen nicht zu übertreiben. Georgien ist nicht Turkmenistan.
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