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Aus: Ausgabe vom 28.10.2024, Seite 11 / Feuilleton
Literatur

Doch zu schmutzig

Theodor Fontanes Italienreise im Herbst 1874
Von Bernhard Spring
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Fontane in Venezia: »Es ist eine Touristenstadt, eine Stadt zum Sehen, auch zum Bewundern, aber nicht zum Wohnen« – Briefnotiz vom 10. Oktober 1874 (Rialtobrücke in Venedig, 1884)

Die 14jährige Tochter wurde zu Freunden gegeben, der vier Jahre ältere Sohn hütete den 10jährigen Bruder sowie die Wohnung – und das Ehepaar Fontane machte sich sorgenfrei auf nach Italien. Der Urlaub begann am 30. September 1874 und dauerte fast zwei Monate: Erst am 20. November sahen Theodor und Emilie Fontane die Kinder wieder. Fraglich, ob die heutige Generation Z eine so lange Trennung von den Helikoptereltern überstehen würde – oder ob sie unbemerkt bliebe, solange die Handyverträge genügend Datenvolumen bereithielten.

Damals stellten sich andere Fragen. Alleinverdiener Fontane hatte finanzielle Probleme. Bislang hatte er als Theaterkritiker und Reiseschriftsteller auf sich aufmerksam gemacht, aber die großen Romane, die ihm wirtschaftliche Sicherheit (und Weltruhm) bringen sollten, standen noch aus.

Im Herbst 1874 schielte er deshalb auf den lukrativen Posten eines Sekretärs an der Berliner Akademie der Künste. Doch weil er weder Abitur noch Studium als Grundvoraussetzungen für diesen Job vorweisen konnte, versuchte er, mit einer damals noch exklusiven Reise zu den Kunstwerken und historischen Stätten Italiens die fehlende akademische Formung wettzumachen. Reisen hatte schließlich schon ­Goethe gebildet, und so war der Trip eher eine kulturelle Exkursion als wirklich Urlaub.

Nebenbei erhoffte sich Fontane von der Reise auch Inspiration. Dabei schwebte ihm allerdings nicht so sehr Goethe als Vorbild vor, sondern der heute gründlich vergessene Dichter Bernhard von Lepel. Mit ihm verband Fontane eine Freundschaft »durch mehr als vierzig Jahre«. Lepels Lyriksammlung »Lieder aus Rom« hatte beim deutschen Publikum einen großen Erfolg erzielt und stand auch bei Fontane hoch im Kurs.

Was er an Lepel jedoch kritisierte, war dessen Lebenswandel: ein zu früher Abschied aus der Armee für ein unstetes Wanderleben in Italien. »So drängt sich’s mir auf«, schrieb Fontane in seiner Autobiographie »Von Zwanzig bis Dreißig« über den Freund, dass »sein Leben ein zwar interessantes und zeitweilig auch glückliches, im Ganzen aber doch ein verfehltes war.«

Im Gegensatz zu Lepel ließ sich Fontane vom italienischen Flair nicht bestricken. Das Zimmer in Verona war voller Ungeziefer, das der Gast mühselig mit der Nachtkerze verbrannte. Venedig sei »tief langweilig« und »repräsentiert nicht die Form der Schönheit, die ich dauernd vor Augen haben möchte«, schrieb er einem Freund. Nur den Markusplatz ließ er gelten, die übrige Stadt sei für seinen Geschmack »zu schmutzig«.

Die Sehenswürdigkeiten Roms waren ihm zu zahlreich, um sie zu erfassen. Außerdem spürte er als Protestant einen »Dünkel« in der Hauptstadt des Katholizismus. In Neapel schließlich sah Fontane nur »Gesindel«. Hier machte er frustriert kehrt und trat die Rückreise an.

Doch nicht nur die Menschen, auch die italienische Küche begeisterte Fontane nicht. Sie sei nur etwas für »unverwöhnte Mägen und Nasen«, ätzte er. Statt dessen hielt er dem Italienischen das vermeintlich bessere Deutsche entgegen. So war ihm die Zeichnung von Albrecht Dürer, die er in Venedig vorfand, »mehr wahre Kunst als alle Tintorettos zusammengenommen.« Ebenfalls in Venedig gab er einem »guten deutschen Kneipenlokal« den Vorzug gegenüber einheimischen Restaurants.

Fontane war wohl zu sehr Preuße, um die mediterrane Kultur zu lieben. Die spröde Schönheit und den unterkühlten Charme, die er in den »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« liebevoll schilderte, entdeckte er in England wieder, als er dort in der zweiten Hälfte der 1850er als Auslandskorrespondent lebte. Die Briten, wie Fontane sie sah, hatten viel mit den Brandenburgern gemein. Die Italiener betrachtete er hingegen mit einer gewissen (und damals weitverbreiteten) Überheblichkeit. Und so gab es für ihn nach 50tägiger Reise kaum etwas zu berichten. Lediglich eine wenig tiefgründige Reisereportage – bezeichnenderweise unter dem Titel »Ein letzter Tag in Italien« – erschien. Zum Vergleich: Seine Artikel über England und Schottland hatte er zwischen 1854 und 1860 in drei Büchern versammelt.

Und so kehrte er aus Italien zurück, ohne die Reise wie Goethe als »Wiedergeburt« erlebt zu haben und auch ohne einen Gedichtband wie sein Freund Lepel. 1875 verbrachte er noch einmal einen Monat in Italien, diesmal allein, aber ähnlich enttäuscht. Trotzdem erlangte er – welch Ironie – nicht zuletzt durch die freudlosen Bildungsreisen die begehrte Stelle an der Akademie der Künste. Diese gab er allerdings bald wieder auf und widmete sich ganz der Schriftstellerei. 1878 erschien mit »Vor dem Sturm« sein erster Roman, dem viele folgten. Italien spielt in ihnen allen (außer ein wenig noch in »L’Adultera«, 1882) keine große Rolle.

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