Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Gegründet 1947 Sa. / So., 21. / 22. Dezember 2024, Nr. 298
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025 Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Aus: Ausgabe vom 29.10.2024, Seite 4 / Inland
Regierungsbildung in Ostdeutschland

Einig auf dem Papier

Parteien in Thüringen und Brandenburg legen Ergebnisse von Sondierungen vor. Gespräche in Sachsen über Dreierkoalition mit BSW gehen weiter
Von Kristian Stemmler
4.jpg
Robert Crumbach (BSW) und Dietmar Woidke (r., SPD) auf dem Weg zur Verkündung ihres Ergebnisses (Potsdam, 28.10.2024)

In Sachsen wurde noch gesprochen, da stieg in Thüringen und Brandenburg weißer Rauch auf. CDU, BSW und SPD haben sich in Erfurt auf eine gemeinsame Position zur Friedenspolitik und zum Ukraine-Krieg geeinigt, wie aus einem am Montag veröffentlichten Papier hervorgeht. Die drei Parteien haben damit jüngste Streitpunkte ausgeräumt. Die Verhandler der SPD in Potsdam haben nach mehrwöchigen Sondierungsgesprächen am Montag die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) empfohlen, wie der geschäftsführende Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) bekanntgab.

Von einer Blockade durch BSW-Kochefin Sahra Wagenknecht war keine Rede mehr. Dem Passus zur Friedenspolitik im Erfurter Papier fehlte bis jW-Redaktionsschluss am Montag noch die Zustimmung des BSW-Landesvorstandes. Die Parteien hatten ursprünglich bereits ein Sondierungspapier verhandelt, dem die Landesvorstände vor rund anderthalb Wochen zugestimmt hatten. Weil dem BSW die erzielten Ergebnisse zum Thema Frieden aber nicht ausreichten, gerieten die Gespräche ins Stocken.

In Brandenburg einigten sich SPD und BSW auf den Entwurf eines Sondierungspapiers. Die Parteien wollen sich dafür einsetzen, »eine diplomatische Lösung des Ukraine-Konflikts und den Abbau der damit verbundenen Spannungen innerhalb Europas durch Verhandlungen mit den Konfliktparteien mit dem Ziel von Waffenstillstand und dauerhaftem Frieden voranzutreiben«, wie es im Potsdamer Papier heißt. Vor diesem Hintergrund sehe man »die geplante Stationierung von Mittelstrecken- und Hyperschallraketen auf deutschem Boden kritisch«. Es brauche konkrete Angebote, »um wieder zu Abrüstung und Rüstungskontrolle zu kommen«.

Woidke und der BSW-Spitzenkandidat Robert Crumbach zeigten sich zuversichtlich, dass die Spitzengremien ihrer Parteien dem Sondierungspapier am Montagabend zustimmen werden. Es bilde die »Basis«, um in Koalitionsgespräche zu gehen, »die richtige Herausforderung« komme mit diesen Verhandlungen, sagte Woidke in Potsdam. Crumbach erklärte, es habe in den Gesprächen »erhebliche Schnittmengen« gegeben. Die stellvertretende SPD-Landesvorsitzende Katrin Lange ergänzte, die Verhandlungen könnten in der nächsten Woche beginnen. Wagenknecht sitzt nicht direkt mit am Verhandlungstisch, das BSW in Brandenburg stimmt sich aber nach eigenen Angaben eng mit ihr ab. Die Einigung der Brandenburger könnte aus Sicht der BSW-Kovorsitzenden Amira Mohamed Ali eine »Blaupause« für Thüringen und Sachsen sein. Mohamed Ali sprach gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe am Montag von einem »guten Kompromiss«.

In Sachsen setzen CDU, BSW und SPD unterdessen ihre in der vergangenen Woche unterbrochenen Sondierungsgespräche fort. Das teilten die drei Parteien am Montag nach einem Treffen ihrer Spitzenvertreter mit. Die sondierenden Arbeitsgruppen sollen bis zum 7. November Ergebnisse vorlegen. Die SPD hatte die Sondierungsgespräche am Freitag unterbrochen, nachdem BSW-Abgeordnete zuvor im Landtag für einen Antrag der AfD zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Coronapandemie gestimmt hatten. Am Montag trafen sich nun die Spitzen von CDU, BSW und SPD zum klärenden Gespräch. »Das Abstimmungsverhalten im Plenum sowie Missverständnisse im Umgang miteinander wurden dabei angesprochen und ausgeräumt«, hieß es im Anschluss.

Ihre Kampagne gegen Wagenknecht setzte die Union bis zur verkündeten Einigung in Thüringen unbeirrt fort. So warf Andreas Jung, einer der fünf stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden, der BSW-Koparteichefin morgens vor, bei den Sondierungen in Thüringen und Sachsen »absurde Forderungen« zu stellen. Sie versuche »Verhandlungen, die vor Ort eher pragmatisch geführt werden, zu torpedieren«, behauptete Jung am Montag im ZDF-»Morgenmagazin«. Die von der Union angeheizte Aufregung sei »wahrscheinlich nur Getöse«, vermutete hingegen der Linke-Kobundesvorsitzende Jan van Aken am Montag in Berlin. »Wahrscheinlich werden wir in allen drei Ländern Koalitionsvereinbarungen sehen.« Sollte aber die CDU andere Juniorpartner suchen, sei die Linkspartei zu Gesprächen bereit. Bedingung: eine Einladung der Christdemokraten.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (29. Oktober 2024 um 20:51 Uhr)
    Einige kritische Anmerkungen zum Artikel: Erstens: Der Titel »Einig auf dem Papier« wirkt irreführend. Wo sonst sollten solche Vereinbarungen festgehalten werden? Zudem vermittelt er, dass die Einigung lediglich formaler Natur sei. Zweitens: Warum sollte es problematisch sein, dass demokratische Parteien in einer demokratischen Ordnung im Interesse des Gemeinwohls Kompromisse schließen? Alle Parteien, die an diesen Verhandlungen beteiligt sind, streben danach, für ihre Wähler tragfähige und ausgewogene Lösungen zu finden. Das ist ein normaler Bestandteil demokratischer Prozesse. Drittens: Ein bemerkenswerter Punkt bleibt jedoch die Tatsache, dass die AfD bei allen drei Landtagswahlen erhebliche Erfolge erzielen konnte und dennoch von allen anderen Parteien als »Feind« betrachtet wird – obwohl sie etwa ein Drittel der Wählerstimmen auf sich vereinen konnte. Dies erscheint als ein problematischer und undemokratischer Umgang mit einer Partei, die von einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung gewählt wurde.
  • Leserbrief von Capitan Uncino aus Köln (29. Oktober 2024 um 16:31 Uhr)
    BSW strebt also Koalitionen in den ostdeutschen Bundesländern an. »Mitregieren« war von BSW ja schon im Wahlkampf versprochen. Wagenknecht kritisiert den Thüringer Landesverband von BSW quasi als »Weicheier« wegen zu vieler Zugeständnisse. Wie dem auch sei: andere strategisch/taktische Optionen außer Koalition spielen für BSW in ihren Überlegungen offenbar keine Rolle. Tolerierung oder »wechselnde Mehrheiten«: das war früher mal Thema bei den Grünen (GAL Hamburg unter Thomas Ebermann und Co.; dann in Hessen), bei der PDS (Sachsen-Anhalt) und auch später bei Die Linke (NRW). Aus meiner Sicht wurde das in der Praxis schlechtgemacht, und eine solche Linie erfordert ein hohes Maß an Kampagnenfähigkeit und Strategie (was damals beides fehlte). Damals ging es um eine Unterstützung einer SPD-Regierung oder später von Rot-Grün aus »Distanz« – um eine gewisse Unabhängigkeit und Manövrierfähigkeit der linken Kräfte zu bewahren. Heute sieht die Lage noch bescheidener aus: Kooperation mit der »extremen Mitte« (von CDU bis Grünen), um die AfD rauszuhalten. Tolerierungspolitik/wechselnde Mehrheiten unter den aktuellen Verhältnissen wäre: z. B. Minderheitsregierungen von CDU und SPD etc. wegen Ministerpräsidentenwahl unterstützen (um die AfD rauszuhalten), aber von Fall zu Fall wegen Haushalt und Projekten sich die Optionen offen halten. Das Megathema Krieg und Frieden weiter vorantreiben, statt sich Formelkompromissen in Präambel zu unterwerfen, die nur bedrucktes Papier sind. Vor einiger Zeit sah ich eine Talkshow von Caren Miosga mit Bodo Ramelow als Stargast. M. E. war Ramelow da realistisch: Auf der Landesebene kann man nicht viel machen, wg. unzureichender Finanzen und fehlender Kompetenzen gegenüber der Bundes- und EU-Ebene. Also sind die Wählenden am Ende mit den Ergebnissen unzufrieden, was ja so kam. Wenigstens ehrlich … BSW könnte mit ihrem Koalitionskurs noch schneller »entzaubert« werden als Ramelows »pragmatische« Linkezuvor …
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (29. Oktober 2024 um 15:01 Uhr)
    Erschreckend, wo das BSW seine Schwerpunkte setzt. Sahra Wagenknecht ist mir schon mit ihrer Haltung zu den Coronamaßnahmen negativ aufgefallen. Jetzt hat das BSW nicht Eiligeres zu tun, als mit den Coronaleugnern der AfD noch schnell einen Untersuchungsausschuss zur Coronapandemie zu fordern. Wächst da zusammen, was zusammen gehört?
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (29. Oktober 2024 um 07:41 Uhr)
    Doppelte Moral auch bei innenpolitischen Themen. Merz und seine Stellvertreter, in diesem Falle Herr Jung, verlangen vom BSW ein Abrücken von seinen friedenspolitischen Positionen. Aber die Herren in der CDU und teilweise der SPD bewegen sich bei ihren bellizistischen Positionen keinen Millimeter. Das ist eigentlich keine Basis für Verhandlungen. Um so bemerkenswerter sind die Erfolge in den Sondierungen, auch wenn beim Ergebnis in Thüringen aus Berlin leichtes Zähneknirschen zu vernehmen sein soll. Für die Altparteien ist offensichtlich neu, dass es eine Partei gibt, die sich an das halten will, was sie ihren Wählern versprochen hat. Das wirft ein deutliches Licht auf das Demokratieverständnis im Adenauer- und Brandt-Haus. Und die Forderungen aus der CDU nach einem Unvereinbarkeitsbeschluss in Richtung BSW ist doch nur großes Getöse. Der nächste Parteitag, der das beschließen könnte, findet im nächsten Jahr statt. Bis dahin sind die Messen hoffentlich gesungen. Ich wünsche mir bei den Koalitionsverhandlungen weiter diese konsequente Haltung des BSW. Kompromisse für die Besserung der Lebensverhältnisse, wozu auch Frieden gehört, sollen möglich sein. Und durch diese Vereinbarungen in Erfurt und in Potsdam kommen neue Töne in die offizielle Politik, in Dresden sollte das auch gelingen. Bei Wahlen wählt der Bürger ein Wahlprogramm, welches seinen Interessen entspricht – und in den ostdeutschen Bundesländern ist der Ruf nach Frieden und Diplomatie nun mal deutlich lauter als im Rest der BRD. Das sollten auch die Oberen aus den Altparteien zur Kenntnis nehmen und endlich auch akzeptieren.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (29. Oktober 2024 um 07:28 Uhr)
    Die Brandenburger Formulierungen verzichten auf unsägliche und einseitige Schuldzuweisungen, den Ukraine-Konflikt betreffend. Das, was sich das Thüringer BSW hat ab verhandeln lassen, ist ein Kotau vor den Altparteien CDU und SPD. Sie blendet die politische Entwicklung seit den 1990er Jahren, bis zum Putsch in Kiew und dem versuchten Genozid im Donbass, vollständig aus. Das ist eine Enttäuschung und eine Brüskierung Wagenknechts. Sollte dieser Kurs nicht geändert werden, wird das BSW bei der Bundestagswahl nicht annähernd so erfolgreich sein, wie bei den letzten Landtagswahlen.

Ähnliche:

  • Reinhard Simon (BSW) ist der Alterspräsident des Landtags von Br...
    18.10.2024

    Die Brombeere reift heran

    Nach Landtagswahlen im Osten: Gespräche zwischen CDU, SPD und BSW weit fortgeschritten
  • Gordian Meyer Plath, der brisante Informationen angeblich nicht ...
    15.07.2016

    Wahrheitssuche in Potsdam

    Brandenburgs NSU-Ausschuss befasst sich unter anderem mit der Vergangenheit von Sachsens heutigem Geheimdienstchef
  • In Brandenburg blieben mehr als 52 Prozent der Stimmberechtigten...
    18.09.2014

    Desinteresse und Protest

    Analyse. Die Wähler der Landtage in Sachsen, Thüringen und Brandenburg haben die Parteienlandschaft verändert. Allerdings blieb die Hälfte der Stimmberechtigten zu Hause