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Was ist Leben?

Von Helmut Höge
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Im amerikanischen Exil klagte Theodor W. Adorno »Das Leben lebt nicht«. Der in Deutschland gebliebene Dichter Gottfried Benn schimpfte über die Reduktion des Lebens: »Was fruchtbar ist, allein ist wahr – das legen sie sich so aus, die Eierstöcke sind die größten Philosophen.« Nicht die Eierstöcke, aber die Gentechnik hatte der Philosoph Vilém Flusser im Blick, als er meinte: »Alle Kunst ist bisher bloß Vorkunst. Die wahre Kunst beginnt mit der Gentechnik, wenn diese in der Lage ist, reproduktive Werke zu schaffen«, also Kunstwerke, die sich aus sich heraus vermehren können.

1944 versuchte sich der Physiker Erwin Schrödinger in seinem Buch »Was ist Leben?« erneut an der Frage, wobei er sich auf »die lebende Zelle« konzentrierte. 2021 veröffentlichte der Biochemiker Paul Nurse erneut ein Buch mit dem Titel »Was ist Leben?« und hatte fünf Antworten parat: »die Zelle, das Gen, Evolution durch natürliche Selektion, das Leben als Chemie und das Leben als Information.« Nurse erhielt 2001 den Nobelpreis für seine Forschung über Zellteilung und -reifung. Ich las sein Buch und warf es in die Ecke. Es enthält nichts, was seit 50 und mehr Jahren über den Lehrstoff für Biologiestudenten im ersten Semester hinausgeht.

Im Buch »Epigenetik« (2009) des Biologen Bernhard Kegel heißt es, man hätte den Begriff »Gen«, der gerade hundert Jahre alt wurde, gebührend feiern sollen, »denn ob dieser Begriff seinen nächsten runden Geburtstag noch erleben wird, ist fraglich«: Das »genzentrische Weltbild« war allzu simpel. »Selbst Craig Venter, der vor wenigen Jahren mit seinen Sequenzierrobotern an vorderster Front der biomedizinischen Forschung stand, muss heute eingestehen: ›Im Rückblick waren unsere damaligen Annahmen über die Funktionsweise des Genoms dermaßen naiv, dass es fast peinlich ist

Dieses Eingeständnis verdankt sich nicht zuletzt der Endosymbiontentheorie der US-Mikrobiologin Lynn Margulis, deren Buch »Die andere Evolution« 1999 neu veröffentlicht wurde. Sie schreibt: »Mutationen sind äußerst selten und meist schädlich. Die Evolution kommt vor allem durch Symbiosen zustande.« Die Symbioseforschung, die in Russland begann, ist schon über 140 Jahre alt. Bekannt wurde sie zunächst durch einige Flechtenforscher (Flechten bestehen aus einer Alge, einem Pilz und einer Bakterie) und dann durch Pjotr Kropotkins Werk »Die gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt« (1902). Aber die Symbiosen wurden von den geharnischten Darwinisten immer wieder als Ausnahmen begriffen und sogar – in der DDR z. B. – völlig abgelehnt. Die meist männlichen Biologen fokussierten sich auf die »Konkurrenz« innerhalb und zwischen den Arten. Aber seit dem Hochkommen der feministischen Biologinnen vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendwo eine neue Symbiose entdeckt wird.

Dass das Leben mit winzigen einzelligen Algen begann, die andere marine Lebewesen inkorporierten, bis so komplexe Organismen wie Pflanzen und Tiere daraus hervorgingen, ist mittlerweile fast unbestritten, zumal wir selbst ja zu einem großen Teil aus Bakterien, Pilzen und Viren bestehen.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (28. Oktober 2024 um 21:30 Uhr)
    Tschja, schau dir deine Darmflora an! Da sind mehr Bakterien drin als »menschliche« Zellen in der ganzen näheren Umgebung (20 bis 80 Zentimeter) außenrum: Hundert Billionen zu dreißig Billionen … Grob geschätzt ist also der Darm dreimal so intelligent wie der Restkörper. Wär' ich doch bloß ein escheria coli geworden. Manipuliert könnte ich Erdbeeraroma produzieren. Materialistisch manipuliert bring' ich nur solche Leserbriefe zustande.

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