Der letzte Pirat
Von Pierre Deason-TomoryJohnnie Walker geht nach 58 Jahren Plattendrehen von Bord. Zum letzten Mal hat der legendäre britische Radio-DJ am Sonntag bei BBC Radio 2 die »Sounds of the Seventies« aufgelegt. Johnny Walker wurde vor 79 Jahren als Peter Dingley in der englischen Provinz geboren und startete 1966 seine Laufbahn bei den Nordseepiratensendern Swinging Radio England und Radio Caroline. 1969 ließ er sich von der BBC abwerben, wo der Exfreibeuter mehrmals verwarnt, gefeuert und wieder angeheuert wurde. 1975 bekam er eine Abmahnung, weil er einen der Hits der Bay City Rollers als Müll bezeichnete, 1990 gar die Kündigung für seinen Jubel über den Rücktritt von Premier Margaret Thatcher: »People are dancing in the streets.« Eine temporäre Suspendierung folgte fürs Koksen. Zwischendurch tingelte Walker durch die US-amerikanische Radiolandschaft, kurz war er auch bei Radio Luxemburg. Dort flog er raus, weil er auf einer Privatparty im Sendestudio rund wie ein Buslenker eine Platte mit falscher Geschwindigkeit abgespielt haben soll. Auch sein gestriger Abschied ist vielleicht nicht das Ende, für besondere Gelegenheiten will er ans Mischpult zurückkehren. Zu dieser Meldung über den archetypischen DJ einer goldenen Ära passt die Nachricht, dass Mitte Oktober in München die erste bundesweite Lizenz für ein Programm vergeben worden ist, das komplett von »künstlicher Intelligenz« moderiert wird. Der Traum aller Programmchefs wird wahr: DJ-Roboter haben keine Meinung und schweigen, wenn die »People are dancing in the streets«.
Die Programmvorschläge: »Köln lacht« bzw. lachte am 16. Oktober im »Gloria« über Katrin Bauerfeind, Miss Allie, FALK, Timur Turga, André Herrmann und Guido Cantz; WDR 5 bringt den Abend in zwei Teilen (Di. und Mi., 20.03 Uhr). Am Reformationsmonstertag geht Tankred Dorst mit uns ins Opernhaus, bevor es einem Einkaufszentrum weichen muss. Gegeben wird »Sweeter Than Roses. Purcells Traum von König Artus« (NDR 2004, Do., 18.05 Uhr, NDR Kultur). Die römische Kirche hat noch nicht alle Heiligen beisammen, will demnächst einen 2006 himmelgefahrenen 15jährigen Klerikalinfluencer heiligsprechen. Derzeit müffelt dieser selig in einem gläsernen Sarg in Assisi herum und empfängt in Jeans und Sneakers Erlösungsbedürftige, bald ist er ein »Heiliger Carlo« (Fr., 8.05 und 20.03 Uhr, Bayern 2). Ö 1 erfreut derweil mit österreichischer Antiheimatliteratur, es gibt »Ein ganzes Leben« von Robert Seethaler als Hörspiel (ORF, SRF 2019, Sa., 14 Uhr).
Am Sonnabend abend beginnt die zehnstündige »Lange Jazznacht vom Jazzfest Berlin« mit zwei Livekonzerten, nach Mitternacht folgen Mitschnitte der ersten Festivaltage (Sa., 20.04 Uhr, Bremen Zwei, NDR Kultur, Radio 3, SR 2, SWR Kultur). In »Essay und Diskurs« betrachten Markus Metz und Georg Seeßlen zwei Tage vor der drohenden Trumpocalypse den »Kulturkampf in den USA« und fragen verzagt: »Great Again?« (So., 9.30 Uhr, DLF). Das Hörstück »Wo die Freiheit wächst« von Frank Maria Reifenberg spielt nicht etwa in MAGA-Land, sondern – oha! – in Köln, und das 1942. Es geht um die Freiheit der Edelweißpiraten, der jungen Naziwiderstandskämpfer, die nachkriegs von niemandem vereinnahmt worden sind (WDR 2021, So., 17.04 Uhr, WDR 5). Zum Ende dieser Programmvorschläge ein Hinweis auf die Dresdner Punkhardcoremetallsendung »Gedresche Ausgabe 46« mit Lutz Nasenbluten, Hans Bierschiss und Framz. Es dröhnen wie immer ungestimmte Gitarren, wildes Getrommel und Stimmen, die Beton zerschneiden (Mo., 21 Uhr, Coloradio).
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