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Aus: Ausgabe vom 30.10.2024, Seite 2 / Ausland
Erdoğans langer Arm

»Der sogenannte Islamische Staat profitiert davon«

Türkei greift über 50 zivile Ziele in Nord- und Ostsyrien an. Strom- und Wasserversorgung ausgesetzt. Ein Gespräch mit Khaled Davrisch
Interview: Gitta Düperthal
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Explosion nach türkischem Angriff in Nordostsyrien (Tal Rifaat, 24.10.2024)

Die türkische Armee setzt ihre Angriffe auf die Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien fort. Das Erdoğan-Regime rechtfertigt dies mit dem Anschlag auf den Rüstungskonzern TUSAŞ am Mittwoch vergangener Woche, zu dem sich die Guerilla der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) bekannt hat. Welche Folgen haben die Bombardierungen?

Bis jetzt wurden bei Angriffen der Türkei und ihrer Söldnergruppen bereits 17 Menschen getötet. An 50 Orten wurden Zivilistinnen, Zivilisten und zivile Infrastruktur angegriffen. Neben Bäckereien, Lebensmittelfabriken und Getreidespeichern steht dabei auch wieder die Energieversorgung im Fokus. Mehrere Kraftwerke wurden getroffen. Die Versorgung Hunderttausender Menschen mit Strom und Wasser musste ausgesetzt werden.

Wie sind die Angriffe der Türkei auf zivile Ziele, die ja Kriegsverbrechen darstellen, zu erklären?

Die Türkei verfolgt ein klares Ziel: Die Infrastruktur in Nord- und Ostsyrien soll zerstört werden, um die Selbstverwaltung zu schwächen. Das destabilisiert die zuvor schon schwierige Lage weiter. Der gemeinsame Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat wird unterminiert, der IS und andere terroristische Akteure profitieren davon. Wir erwarten, dass die internationale Gemeinschaft auf diese Gefahr reagiert und eine Flugverbotszone über Nord- und Ostsyrien einrichtet. Wir freuen uns über weltweite Demonstrationen, die es in den letzten Tagen gab. Das zeigt unserer Bevölkerung, dass weiterhin viele Menschen unser einzigartiges demokratisches, multiethnisches Projekt unterstützen.

Vergangene Woche war nach Jahren ein Familienbesuch beim kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel İmralı möglich. Haben die türkischen Angriffe Sie überrascht?

Die völkerrechtswidrigen Angriffe sollen von internen Krisen in der Türkei ablenken. Von Nord- und Ostsyrien geht keine Gefahr aus: Wir haben die Türkei noch nie angegriffen. Im Gegenteil – auch die Menschen in der Türkei würden von einer friedlichen Lösung der Syrien-Krise profitieren. Wir bemühen uns weiter um einen Dialog für eine solche friedliche Lösung, aber klar erschweren die aktuellen Angriffe dies. Unsere Streitkräfte sind bereit, unsere Bevölkerung zu verteidigen.

Schon im Januar 2013 wurde ein sich anbahnender Friedensprozess mit der Türkei durchkreuzt. Die drei kurdischen Aktivistinnen, darunter Sakine Cansız, Gründungsmitglied der PKK, wurden in Paris erschossen. Wie weit ist eine diplomatische Lösung in die Ferne gerückt?

Die Antwort würde mich auch interessieren, da müssen Sie bei der türkischen Regierung nachfragen. Ich kann nur betonen, dass Nord- und Ostsyrien weiterhin an einer diplomatischen Lösung arbeitet. Wir wünschen uns ein Syrien, in dem alle Bevölkerungsgruppen friedlich zusammenleben, in das Geflüchtete in Würde zurückkehren können; in dem die Ressourcen gerecht verteilt werden, ohne türkische Besatzung und islamistischen Terror.

Es soll Angebote für eine Zusammenarbeit von der Außenministerin des autonom verwalteten Gebiets, Elham Ahmed, an die BRD gegeben haben. Dabei ging es um eine Aufnahme von Geflüchteten aus Syrien, wenn die Bundesrepublik beim Wiederaufbau wirtschaftlich unterstützt.

Wir werben gegenüber all unseren Gesprächspartnern in Deutschland für eine Kooperation mit der Selbstverwaltung. Auf militärischer Ebene besteht diese im Rahmen der internationalen Anti-IS-Koalition, bei Rückführungen von deutschen IS-Frauen und ihren Kindern gibt es immer wieder Zusammenarbeit. Wir würden uns freuen, wenn mehr Menschen in Deutschland die Chance erkennen, die im Ausbau der Zusammenarbeit liegt. Durch die Stärkung unserer Demokratie, die Förderung von Frauenrechten und Deradikalisierungsmaßnahmen gegen Islamismus könnte viel erreicht werden. Auf dieser Grundlage kann über die Frage geredet werden, inwiefern eine würdige und sichere Rückkehr von Geflüchteten nach Syrien stattfinden kann. Dass alle, die möchten, in ihre Heimat zurückkehren können, ist eines unserer obersten Ziele.

Gab es Gespräche mit der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock dazu?

Bis jetzt noch nicht, nein.

Khaled Davrisch ist Repräsentant der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien in Deutschland

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