Washington isoliert
Von Volker HermsdorfMehr als sechs Jahrzehnte nach der Verhängung der US-Blockade trotzt Kuba weiter dem Druck, sich Washington wirtschaftlich und politisch zu beugen. Zwei Tage vor der am Dienstag in New York begonnenen Debatte in der UN-Generalversammlung über eine Resolution, die das Ende aller US-Sanktionen fordert, erinnerte Juventud Rebelde an ein Sprichwort. Danach, so die Tageszeitung, »sind wir eine Insel aus Kork. Niemand kriegt uns unter, nicht einmal wir selbst«. Das Zitat zeugt nicht nur von Unbeugsamkeit und Optimismus, sondern belegt auch, dass nicht alle Probleme auf die von dem ehemaligen US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower im Oktober 1960 mit einer partiellen Blockade eingeleiteten Sanktionen geschoben werden. Ebenso falsch wäre es aber, zu ignorieren, dass die von John F. Kennedy 1962 gesetzlich verankerten und von elf weiteren Präsidenten mit einem Netz aus Gesetzen ständig verschärften Strafmaßnahmen heute alle Lebensbereiche der zehn Millionen Menschen in Kuba beeinträchtigen und die Hauptursache für viele wirtschaftliche Probleme sind.
Die UN-Generaldebatte bestätigt Jahr für Jahr, dass die Herausforderungen Kubas einfacher zu lösen wären, wenn das Land über die erheblichen Ressourcen verfügen könnte, die ihm durch die Blockade vorenthalten werden. Jüngstes Beispiel dafür ist der landesweite Stromausfall, der vor gut einer Woche – kurz vor Eintreffen des Hurrikans »Oscar« – die gesamte Insel lahmlegte. Für einige westliche Medien war sofort klar, dass einer der Gründe für den Blackout »die ineffizient organisierte Wirtschaft« Kubas sei, wie etwa das Onlineportal Web.de behauptete. Der Tagesspiegel witterte prompt die Chance für einen Umsturz und titelte: »Bringt der Stromausfall in Kuba das Regime zu Fall?« Keine Erwähnung fand, dass allein die Wartungskosten des nationalen Stromnetzes jährlich etwa 250 Millionen US-Dollar betragen und diese Summe dem finanziellen Verlust durch 18 Tage US-Blockade entspricht.
Insgesamt wurde Kuba allein im vergangenen Jahr ein wirtschaftlicher Schaden in Höhe von mehr als fünf Milliarden US-Dollar zugefügt. Das waren 189,8 Millionen mehr als in den zwölf Monaten zuvor. Pro Tag wird der Bevölkerung derzeit ein Betrag von 14 Millionen Dollar (etwa 12,7 Millionen Euro) vorenthalten. Viel Geld, das für die Beschaffung von Nahrungsmitteln, Medikamenten, Treibstoff und anderen wichtigen Gütern des täglichen Bedarfs fehlt. Die zynische Behauptung, ein »ineffizientes Wirtschaftssystem« sei der Hauptgrund für die Probleme des Landes, verglich ein kubanischer Journalist einst mit dem Vorwurf an einen Menschen, dessen Füße am Boden eines Swimmingpools einbetoniert wurden, er würde bei einlaufendem Wasser ertrinken, weil er nicht schwimmen kann.
Ein Verantwortlicher für die zunehmende Verschlechterung der Lebensbedingungen in Kuba sitzt im Weißen Haus. Obwohl das von US-Präsident William Clinton 1996 unterzeichnete Helms-Burton-Gesetz eine Aufhebung der Blockaden von der Zustimmung des Kongresses abhängig macht, könnte der Präsident einzelne Beschränkungen eigenmächtig aufheben. So hätte Joseph Biden die extraterritorialen Auswirkungen der Blockade, von denen Akteure und Kooperationen mit Kuba weltweit betroffen sind, und die finanzielle Verfolgung abmildern und das Land von der Liste jener Staaten streichen können, die Washington als staatliche Förderer des Terrorismus bezeichnet. Barack Obama hatte gezeigt, wie das geht. Statt dessen hat die Biden-Administration Maßnahmen gegen die Lieferung von Ersatzteilen und zur Verhinderung von Treibstoffimporten verschärft, wodurch der tägliche Bedarf des nationalen Stromnetzes von 2.000 Tonnen Diesel nicht immer gedeckt werden kann. Allein in diesem Jahr verhängten die USA Strafen gegen 53 Schiffe und 27 Unternehmen, weil sie Handel mit Kuba trieben. Diese Einschränkungen trugen unter anderem auch zum kürzlichen Ausfall des Stromnetzes bei.
Obwohl die US-Regierung bei der jährlichen UN-Abstimmung in diesem Jahr abermals völlig isoliert sein wird, ignoriert sie das Votum der Weltgemeinschaft. Im vergangenen Jahr hatten nur die USA und Israel gegen die Resolution gestimmt, während sich die Ukraine ebenfalls als Vasall Washingtons erwies und der Stimme enthielt. 187 Länder, die die USA am 2. November 2023 zum 31. Mal in Folge zur Beendigung der Blockade aufforderten, erleben seitdem erneut hilflos, dass Politiker dieser militärischen Supermacht UN-Charta und Völkerrecht mit Füßen treten.
Venezuelas Präsident Nicolás Maduro hatte unter anderem auch deshalb vor einer Woche auf dem BRICS-Gipfel im russischen Kasan eine Reform der Vereinten Nationen gefordert, damit Entscheidungen der Generalversammlung reale Auswirkungen auf internationale Konflikte und Krisen haben. Deren Machtlosigkeit liege an überholten Strukturen, die es ermöglichten, dass die USA die UNO – zum Beispiel durch ihr Vetorecht im Sicherheitsrat – mit ihrem Unilateralismus dominierten. Neben der straflosen Missachtung der Resolution zur Kuba-Blockade zeige sich das aktuell im Nahen Osten, so Maduro, wo die UNO hilflos dem systematischen Töten von Zivilisten, von Frauen und Kindern durch israelische Militärs zusieht und in ihrer Mission, Frieden und Gerechtigkeit zu garantieren, versagt.
Hintergrund: US-Wahl und Kuba
An der US-Blockade und der aggressiven Politik Washingtons gegen Kuba werden weder eine erneute Aufforderung der UN-Generalversammlung zur sofortigen Beendigung aller Sanktionen noch das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahlen vom kommenden Dienstag etwas ändern. Sollte Donald Trump gewinnen, wird die antikommunistische Mafia in Miami ihn zu weiteren und immer härteren Schikanen treiben. Kamala Harris betont dagegen, die Politik von Joseph Biden fortsetzen zu wollen. Entgegen seinen Ankündigungen im Wahlkampf hat er die meisten unter Trump eingeführten Verschärfungen allerdings beibehalten.
Vor vier Jahren hatte Biden mit dem Versprechen, »Trumps gescheiterte Kuba-Politik umzukehren«, um die Stimmen lateinamerikanischer Wähler geworben, die für eine Aufhebung der Blockade eintreten. Er werde »die Linie wiederherstellen, die verfolgt wurde, als Barack Obama im Weißen Haus war«, sagte Biden in einem Interview der spanischen Agentur Efe. Nach seiner Wahl konnte er sich dann nicht mehr daran erinnern. Im selben Interview erklärte Harris, dass »die Aufhebung des Embargos (O-Ton Harris, jW) eine entfernte Möglichkeit« sei, hatte zugleich aber einschränkend hinzugefügt: »Das Embargo ist ein Gesetz, und es bedarf einer Kongressentscheidung, um es aufzuheben.«
Damit blieb sie weit hinter Obamas einstiger Linie zurück. Der hatte zwar trotz Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen und Abbau einiger Sanktionen auch Destabilisierungsversuche gegen Kuba vorangetrieben und das Ziel eines Systemwechsels verfolgt, in seiner letzten Rede zur Lage der Nation den Kongress aber am 12. Januar 2016 aufgefordert, die Blockade zu beenden und das US-Folterlager in Guantánamo zu schließen. Im Oktober 2016 enthielten die USA sich zum ersten und einzigen Mal bei der Abstimmung über die UN-Resolution der Stimme. Davon sind die heutigen und künftigen Machthaber im Weißen Haus weit entfernt. (vh)
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Mario G. aus Ostseebad Binz (5. November 2024 um 00:06 Uhr)Die im letzten Absatz des Artikels angesprochene Reformierung der Vereinten Nationen ist ein zweischneidiges Schwert. Aber nicht nur das, sie ist getragen von der Illusion mittels der UNO oder anderer internationaler Organisationen die durch Machtinteressen getragenen Aggressionen imperialistischer Staaten einzudämmen. Nein. Diese Organisationen sind Bühnen der Aufklärung. Sie zwingen den Imperialismus öfter als ihm lieb ist, das Mäntelchen fallen zu lassen. Das Mäntelchen von Menschenrechten und Demokratie. Noch einen erklärenden Satz zur Zweischneidigkeit. Eine zu stark mit exekutiven Vollmachten ausgestattete Vollversammlung ist auch kein Garant für Selbstbestimmung und Souveränität. So ist es schon ganz gut. Das Veto der Kernwaffenmächte verhindert jedes mal Aktionen, die die rote Linie des einen oder des anderen überschreiten. Der Rest muß durch reale Macht, reale Zusammenarbeit, erfolgreiche Organisation und natürlich auch Freude am Fortschritt »gelötet« werden. In diesen Resolutionen ist sich die Welt schon einig, jetzt muß sie nur noch Mittel finden sich der Allmacht des Dollars zu entziehen.
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