Angst vorm bösen Wolf
Von Ralf WurzbacherDie Welle rollt – mit Wucht und durch die ganze Republik. Mit dem Ende der Friedenspflicht um null Uhr eins am Dienstag sind im laufenden Tarifstreit der Metall- und Elektroindustrie die ersten Arbeitskampfmaßnahmen angelaufen. Nicht lange gefackelt haben die Werktätigen von Thyssen-Krupp Rasselstein im rheinland-pfälzischen Andernach. Das Unternehmen produziert Verpackungsstahl im Auftrag seiner Essener Konzernmutter. Punkt Mitternacht traten die Beschäftigten in einen Warnstreik. In den Stunden danach folgten allein in Rheinland-Pfalz Angehörige von 13 Betrieben dem Aufruf der Industriegewerkschaft Metall (IGM), die Arbeit ruhen zu lassen, darunter von Opel in Kaiserslautern und des Aluminiumherstellers Novelis in Koblenz.
Die IGM verlangt sieben Prozent mehr Lohn und Gehalt für die bundesweit rund 3,9 Millionen Beschäftigten sowie einen »Attraktivitätsturbo« zur Nachwuchsgewinnung durch 170 Euro mehr Ausbildungsvergütung. Die Gegenseite bot zuletzt eine Erhöhung der Entgelte in zwei Schritten um 1,7 Prozent im Juli 2025 und weitere 1,9 Prozent ein Jahr später. Das alles bei einer Laufzeit von 27 Monaten. »Zu spät, zu lang, zu wenig«, findet die Gewerkschaft und geht in den Angriffsmodus über.
»Das magere Angebot der Arbeitgeber verkennt den Ernst der Lage«, erklärte am Dienstag die Erste IGM-Vorsitzende, Christiane Benner, in einer Medienmitteilung. Es brauche »Bewegung nach vorn«, auch für junge Menschen. »Wir wollen Zukunft statt Zurückhaltung«, erklärte sie weiter.
Immerhin, der Auftakt zum Kampf kann sich sehen lassen, praktisch im gesamten Bundesgebiet geriet am Dienstag die Produktion ins Stocken. Im niedersächsischen Hildesheim wurden gleich mehrere Betriebe bestreikt, darunter die Jensen GmbH, KSM Castings Group, Robert Bosch und Waggonbau Graaff, in Hannover war ZF CV Systems betroffen. In Schleswig-Holstein haben sich laut einer IGM-Mitteilung 1.850 Arbeiter in Dutzenden Betrieben an den Ausständen beteiligt. In der Landeshauptstadt Kiel waren nach Polizeiangaben am Morgen rund 2.000 Menschen zu einer zentralen Protestkundgebung auf dem Matrosenplatz zusammengekommen. Aktionen gab es außerdem in Thüringen, in Hessen, in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sowie Bayern.
Zusätzliche Brisanz gewinnt die Auseinandersetzung durch die drohenden Werksschließungen samt Massenentlassungen und Lohnklau bei Volkswagen. Am Montag hatte der Konzernbetriebsrat die Belegschaft über entsprechende Planspiele des Managements informiert (jW berichtete). Von den westdeutschen Produktionsstandorten des größten deutschen Autoherstellers fallen sechs nicht unter den Flächentarifvertrag, und auch die drei Standorte in Sachsen sollen bis 2027 dem Haustarif unterliegen. Allerdings laufen derzeit auch bei VW Tarifverhandlungen. Sollte sich das Kahlschlagsszenario bewahrheiten, dürfte es nach Auslaufen der Friedenspflicht Ende November ziemlich hoch hergehen vor den Werkstoren – zumal dann, wenn sich alle Metaller mit den durch die Wolfsburger Cheftage Gebeutelten solidarisieren.
Einen Vorgeschmack darauf gab es am Dienstag bei VW Osnabrück (ohne Haustarif), wo sich 250 Werktätige schon während der Nacht zu einer Demonstration zusammenschlossen. Die Anlage mit rund 2.500 Beschäftigten gilt als hoch gefährdet und steht mit ihrer aktuell geringen Auslastung ganz oben auf der Streichliste der Konzernlenker. Ein starkes Zeichen setzten die Beschäftigten auch bei BMW in Regensburg. Nach Auskunft der örtlichen IGM »ging nichts mehr«, und kein Auto lief vom Band. Auch für den Mittwoch hat die Gewerkschaft eine Vielzahl an Arbeitskampfmaßnahmen überall im Land angekündigt. Derweil gingen am Dienstag die Tarifgebiete Küste und Niedersachsen in die dritte Verhandlungsrunde. Die übrigen Gebiete folgen nach und nach bis zum 5. November.
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