Nächster Versuch in Sofia
Von Walter MandićMit der mittlerweile siebten Parlamentswahl innerhalb von drei Jahren gehört Bulgarien noch nicht zu der Kategorie »Failed state«, aber es ändert wenig daran, dass die Lebensverhältnisse im ärmsten Land der EU schwierig bleiben. Wieder gewann am Sonntag die EU-freundliche konservative Partei GERB, diesmal mit 26,4 Prozent, während das transatlantische Parteienbündnis PP-DB (»Wir setzen den Wandel fort – Demokratisches Bulgarien«) nur 14,2 Prozent errang, also ähnlich viel wie im Juni, aber zehn Prozentpunkte weniger als vergangenes Jahr. Damals stellte sie sogar mit Nikolai Denkow den Premierminister, selbst wenn dieser nur eine Halbzeit lang sein Amt besetzen durfte. Die drittstärkste Kraft ist die euroskeptische Partei »Wiedergeburt«, die in Russland einen alternativen Partner zur EU sieht. Insgesamt sind acht Parteien ins Parlament gewählt worden.
Nicht nur beim Deutschlandfunk Nova versuchte man, die Situation optimistisch zu sehen, und freute sich, dass prowestliche Parteien die Wahlen gewannen. Ignoriert wird dabei völlig, dass die letzte Regierungskoalition aus genau diesen zwei Parteien, PP und GERB, bestand und am Ende kläglich scheiterte. Ob also eine weitere ähnliche Koalition nun plötzlich funktionieren kann, ist fraglich, zumal die letzte von vielen PP-Wählern als Verrat angesehen wurde.
Bojko Borissow, Vorsitzender der GERB, gab nach den Wahlen bekannt, mit jeder Partei außer der nationalistischen »Wiedergeburt« Koalitionsgespräche führen zu wollen. In jedem Fall wird Borissow mit mindestens zwei Parteien koalieren müssen. Nachdem jedoch die letzte Koalition mit der PP bereits so miserabel ausfiel, stellt sich die Frage, wie sinnvoll eine zweite Regierungsbildung sein könnte. Die dritte Partei müsste dann die DPS des Medienmoguls Deljan Peewski sein, der aufgrund krimineller Verflechtungen auf der Sanktionsliste des US-Imperialismus steht. Zusätzlich steht der Vorwurf im Raum, Peewski habe bei der jetzigen Wahl Stimmen gekauft. Dies geht aus einer Anfang Oktober veröffentlichten Liste der Hackergruppe »BG Elves« hervor, die insgesamt mehr als 200 Namen enthielt. Da die Regierungskrise 2020 mit Antikorruptionsprotesten begonnen hatte, wäre die Wahl eines Koalitionspartners, der in den meisten Teilen des Landes für seine Korruption bekannt ist, wohl ungünstig.
Unüblich, aber eventuell nicht unmöglich wäre eine Koalition mit der »Wiedergeburt«. Zwar verkündete Borissow sein »Nein« gegenüber dieser drittstärksten Partei, nichtsdestotrotz kam es im Parlament bereits zu Annäherungen. So konnte unter anderem durch die Unterstützung der GERB ein homofeindliches Gesetz der »Wiedergeburt« angenommen werden. Zusätzlich steht die kommende Regierung vor einem gewissen Novum, denn die Ukraine wird mit höchster Wahrscheinlichkeit ab Anfang 2025 kein weiteres russisches Gas mehr über ihre Pipelines fließen lassen. Dadurch würde Bulgarien das einzige Transitland innerhalb der EU werden, durch das russisches Gas nach Europa fließen könnte. Dafür würden sich noch viele Interessenten finden, darunter Österreich, die Slowakei, Bosnien, Serbien und Ungarn. Dank erhöhter Transitkosten könnte Bulgarien hier viel Geld verdienen. Vom türkischen Minister für Energie und natürliche Ressourcen, Alparslan Bayraktar, kam am 10. Oktober zudem die Forderung an Sofia, die Kapazität der bestehenden Pipeline zu erweitern, um die Erdgasexporte in südosteuropäische Länder steigern zu können.
Aufgrund der vielen Verflechtungen und Interessenkonflikte ist die weitere Entwicklung fürs erste schwer vorhersehbar. GERBs enge Beziehung zur Europäischen Volkspartei und besonders zu Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erschweren eine Anbindung Bulgariens an Russland. Die Partei begnügt sich mit EU-Geldern, die zum Teil durch Vetternwirtschaft verloren gehen und zum anderen zur Abschottung der türkischen Grenze aufgewandt werden. Da ist Bulgarien im Sinne Brüssels mit seinen Pushbacks vorbildlich: Allein nach offiziellen Angaben betrafen die illegalen Zurückweisungen in den vergangenen vier Jahren mindestens 150.000 Schutzsuchende.
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