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Aus: Ausgabe vom 30.10.2024, Seite 10 / Feuilleton
Kino

Magere Kost

Der Abschluss der Trilogie vom hungrigen Vieh: »Venom: The Last Dance«
Von Peer Schmitt
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Hat die Schnauze voll: Eddie Brock (Tom Hardy)

Die »Venom«-Trilogie ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Filme des Marvel Cinematic Universe die Räume, die sie versuchsweise öffnen, gleich wieder zuschließen wie eine Sondermüllhalde mit allerhand giftigem Zeug drin. Weggeschlossenes Gift – »venom« – sind all die gewagten Spezialitäten, die nicht auf dem Speiseplan des universellen Marktanspruchs stehen dürfen, weil sie die Mägen der Kunden verderben könnten, von denen – zu Recht oder zu Unrecht – grundsätzlich angenommen wird, dass sie sehr empfindlich sind. Ungewöhnliche Kost ist Gift für sie, der Diätplan sieht daher magere vor.

Im Idealfall sind die Superheldenfilme Entwürfe, der Beschränktheit ihres lausigen Formats zu entkommen. Meistens ist das Resultat nichts anderes als die Allegorie des Triumphes der Beschränktheit. Dann hat es sich ausgetanzt. »Venom: The Last Dance« lässt daran schon in seinem Titel keinen Zweifel. Der Film ist die Allegorie der endgültigen Ermüdung eines Genres.

In der Wüste

Die Superhelden haben das Postcinema erobert, geprägt und hinterlassen eine Wüste, einen Scherbenhaufen, eine Schutthalde. Nicht ohne Grund findet der letzte Tanz seinen Ort in der mitten in der Wüste hochgezogenen Stadt: Las Vegas. Stadt der permanenten Erneuerung im Geist eines räuberischen Eklektizismus. Stadt der Präponderanz der Zeichen über den Raum, »riesiger Zeichen in weiten Räumen, die mit großer Geschwindigkeit durcheilt werden« (Robert Venturi et al., »Learning from Las Vegas«, 1972). Venom tanzt den letzten Tanz in Vegas mit Mrs. Chen (Peggy Lu), der Lebensmittelhändlerin aus den ersten beiden Teilen, die im Casino zu plötzlichem Reichtum gekommen ist, in ihrer Suite in einem der sagenhaften Hotelcasinos zu Abbas »Dancing Queen«. Seltsamer Abglanz eines verspielten Luxus.

Tom Hardy kann die Tortur, die es für ihn bedeutet haben mag, Eddie Brock/Venom gleichsam als Bauchredner eines personifizierten großen Fresstriebs seinen Körper zu leihen, offenbar nur noch besoffen ertragen. Am Drehbuch hat er diesmal sogar mitgeschrieben. Vielleicht deshalb beginnt der Film mit einer Szene in einer Bar in Venoms zwischenzeitlichem mexikanischen Exil. Das ist der Vorteil der Multiversumidee, dass man denselben Drink mindestens zweimal nehmen kann. Das beruhigt trotz der Eile, mit der diese Räume durcheilt werden müssen. Die beiden Running Gags des Films sprechen davon. Zum einen ist Eddie Brock/Venom permanent verkatert. Er lässt die Schultern hängen, so gewaltig drückt die Last des Mordskaters. Zum anderen verliert er ständig seine Schuhe, so übereilig und improvisiert wird er von Schauplatz zu Schauplatz geworfen. Aber viel weiter als bis Nevada kommt er ohnehin nicht.

Regie führte mit Kelly Marcel eine Mitautorin der ersten beiden Teile. Als Regisseurin ist es ihr Debüt. Es beginnt so lahm, wie man sich nur vorstellen kann. Auftritt der dunklen Stimme und des dunklen Reiches des grauhaarigen Knulls, selbsternannter »Slicer of Worlds« und bösester aller Demiurgen. Bedrohlich wie einst das »Star Wars Holiday Special« (1978) und auch mit einem ähnlich trashigen Look. Ein großes Krabbeln wie im Terrarium.

Abschied von den Sinnen

Die Chimären, die jener Knull auf den Weg schickt, um Venom und mithin alles andere zu erledigen, sehen aus wie Kreuzungen aus Krustenechse, Tausendfüßler und Kamelspinne, wirken aber längst nicht so bedrohlich seltsam wie ihre Vorbilder aus der realen Fauna. Und kein Mensch möchte sich wohl noch lahme Schlachten zwischen müde programmierten Bildpixeln ansehen, wenn es doch auf Youtube unzählige Bug-War-Videos zu bestaunen gibt, in denen echte Gottesanbeterinnen zu letztem Gefecht und Festmahl antreten.

»Kingdom of Darknesse« überschreibt Thomas Hobbes im »Leviathan« bekanntlich den vierten Teil seines Buches, der dem Missbrauch der organisierten Religion gewidmet ist. Der dunklen Philosophie in Diensten einer »Confederacy of Deceivers, that to obtain dominion over men in this present world«. Täuscher und Obskurantisten verwandeln die Welt der Sinne in eine der »Daemons, Phantasmes, or Spirits of Illusion«. Die Programmierer des MCU begnügen sich mit deren Abglanz.

Es gibt in dem Film auch die Verkörperung eines infantilen Zielpublikums: eine vierköpfige Hippiekleinfamilie (Papa, Mama, Tochter, Sohn), angeführt von einem ehemaligen IT-Techniker (Rhys Ifans), der davon träumt, noch einmal die Aliens in der sagenumwobenen »Area 51«, militärisches Sperrgebiet in Nevadas Wüste und Landschaft vielfältiger Phantasmen, wirklich zu sehen. Papa sitzt am Steuer, Mama kocht, Tochter mault, Söhnchen staunt. Der beste Witz des Films ist dann, wie der stets hungrige Venom als Gast am Tisch der Hippies das vegane Maiskolbenmenü frisch vom Grill angeekelt ins Gebüsch schmeißt.

Die hungrige Figur Venom ist die Allegorie von den Sinneskräften, die sich einen Körper suchen, eine Gestalt annehmen. Von den Sinnen wird Abschied genommen. Die Allegorie der Filmproduktion hingegen ist die »Area 51« in Nevada, wie sie sich hier darstellt. Ein paar verlassene Wachtürme und kaum mehr ernsthaft bewachte Zäune in der Wüste. Etwas, das abgewickelt wird, überholt ist, seinen Sinn erfüllt zu haben scheint. Unterirdisch versteckt aber liegt dort das Labor der Aliens, Wissenschaftler, Programmierer, in dem scheinbar noch etwas rumort, das ausbrechen will. Dass sich in diesem Gefängnis noch etwas entwickeln kann, ist vielleicht die größte Illusion dieses Abschlussfilms.

»Venom: The Last Dance«, Regie: Kelly Marcel, USA/UK/Mexiko 2024, 109 Min., bereits angelaufen

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