Idiotenverein
Von Jürgen RothNoch hat man das Recht, sich nur für ausgewählte Aspekte der Welt oder auch für überhaupt nichts zu interessieren, keine Meinung hierzu oder dazu zu haben, die Klappe zu halten, wenn einem danach ist, zu entscheiden, wann man babbeln und wann man schweigen möchte – bis, in Umkehrung der von Tag zu Tag kreischender vorgetragenen Horrorpläne zur Zensur, zur Unterdrückung noch der mildesten Devianz, mithin jeglicher spöttischer, ironischer Äußerung, das ganztägige bekenntnishafte Gelaber über alles und jeden regierungsamtlich verpflichtend wird, zum Zwecke der Aufführung eines muffigen neomultivölkischen Ringelpiezes mit Anfassen, eines dem Aberglauben huldigenden Irrenrituals.
Das Gesellschaftsbild dieser angeblichen Linken ist ein Alptraum, der einen zum Schnaps greifen lässt. Am Ende hocken wir im Knast, und in dem wird es nicht mal mehr alkoholfreies Bier geben.
Kneipen, für die die organisierte Arbeiterschaft vehement gestritten hatte – ich erinnere an Kautsky und das Periodikum Die Neue Zeit –, sind dann in allerlei Tempel umgewandelt. Denn die heutige sogenannte Linke, deren Protagonisten nicht bis zur Nasenspitze denken können (vom Empfinden rede ich erst gar nicht), verachtet die Distanz, die Eigenheit, die Autonomie, und sie vergöttert die wahnhafte, sektenartige Gemeinschaft.
Solange Gaststätten noch existieren, bevorzuge ich die miesen Kaschemmen, die sozialen Gemischtwarenläden, in denen alle so haltlos, wie es ihnen behagt, daherquatschen dürfen. Und in denen hörst du die schlechtesten Witze, die mir seit jeher die liebsten sind.
Chris, der Trucker in Kanada war, warf neulich am Tresen des »Seven Bistros«, derweil der Club erneut einen ungeheuerlichen Rotz anrührte, ein: »Was ich scheiße finde: dass es im Puff keinen Freistoß gibt.« Ich musste sehr lachen und erfreute mich an der Bedeutung des Vergnügens für das Leben.
Im gegnerischen Team stand, ungelogen, ein Mann namens Hendrix. Das begeisterte mich noch mehr, während der Lkw-Fahrer Gerhard, der den göttlichen Jimi nicht kennt, nach dem 0:1 bloß murrte: »Kläglich. Kläglich. Na ja. Na ja.« So ist der Club-Fan in der Regel – ein Fatalist, ein Stoiker.
Als das 0:2 gefallen war, brach es indes aus mir heraus. »Dieser Idiotenverein!« schrie ich, woraufhin sich Dirk zu mir umdrehte und sagte: »Das merkst du erst jetzt? Meine Clubfahne liegt seit zwei Jahren im Keller. Ich häng’ die nicht mehr auf. Die Leute lachen mich ja aus, wenn ich die aufhänge!«
Peter ergänzte: »Aans g’winna, fünf verlier’n, des is’ der Club.« Gerhard winkte ab. Peter fuhr fort: »Die g’hör’n doch ei’g’wiesen. Da is’ ja die Berliner Feuerwehr besser! Da muss ma’ sich ja schämen! Die Glubb-Fans sin’ doch Deppen!«
»Skat ist kein Schwarzer Peter«, pflegte mein Vater inkompetente Mitspieler zu tadeln. Und meine Mutter kommentierte den Löwschen Systemkrampf mal mit dem güldenen Satz: »Fußball ist kein Brettspiel.«
Draußen traf ich beim Raucherschichtwechsel den Maurer Stefan. »Schau du a weng weider des Brettspiel. Ich moch nemmer«, knurrte er, drückte seine Kippe aus und dappte davon.
Ich setzte mich auf einen der Gartenstühle und lugte zum Baronspark hinüber. Da sprang ein Eichhörnchen aus dem Dickicht, hockte sich artig an den Bordstein, guckte vorschriftsmäßig nach links und nach rechts und hüpfte danach hurtig über die Hauptstraße.
So sind die Verhältnisse im Frankenland.
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