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Aus: Ausgabe vom 30.10.2024, Seite 14 / Feuilleton

Rotlicht: Silicon Valley

Von Barbara Eder
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Firmenzentrale von Google, mittlerweile Teil von Alphabet Inc., in Mountain View, Kalifornien

»Beauty and Health – from the Land of Golden Sunshine« – mit diesem Slogan bewarb Sunkist, eine landwirtschaftliche Kooperative im kalifornischen San José, einst die Erträge harter, landwirtschaftlicher Arbeit. »Citrus – the Golden Fruit« ist der Titel eines Werbefilms in Technicolor, die Plantagen der US-amerikanischen Obstindustrie wirken darin wie der Vorhof zum Garten Eden. Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts eilte dem Santa Clara Valley ein Ruf voraus: Fleißige Frauen füllen dort fein geschnittenes Obst in Dosen. Sie schneiden frisch gepflückte Orangen in geometrisch genormte Stücke, die wenig später in weit geöffneten Kindermündern landen. Wow, that’s magic! Gegen Münzeinwurf fällt das unverdünnte Orangenkonzentrat am anderen Ende des Produktionsprozesses wie von selbst aus dem Verkaufsautomaten.

San José – die größte Stadt im Silicon Valley – ist heute kein landwirtschaftliches Anbaugebiet mehr, sondern die »Homebase« von durch Venture-Kapital befeuerten Technologieunternehmen. Noch bevor der bekennende Frutarier Steve Jobs dort seine »Geniereligion« begründete, ernteten migrantische Wanderarbeiterinnen und -arbeiter die Früchte des Zorns im tristen Tal. Im südlich der San Francisco Bay Area gelegenen Kessel erinnert kaum noch etwas an die von John Steinbeck beschriebenen Arbeitskämpfe der kommunistischen Cannery and Agricultural Workers’ International Union in den 1920er und 1930er Jahren. Heute trägt das Valley den Namen eines Halbleiterchips: Die 1954 vor Ort aufgekommene Planartechnik ermöglichte es erstmals, mehrere Bauteile auf der Oberfläche eines Einkristalls zu plazieren – und der Prozess der kontinuierlichen Verkleinerung hat sich seither bis hin zum fingernagelgroßen Prozessor fortgesetzt.

Manuel Castells zufolge entstand der Netzwerkgedanke im Herzen der florierenden Halbleiterindustrie. Anders als vermutet, waren Honeywell und Hewlett-Packard jedoch keine Garagenfirmen, die experimentierfreudigen Tüftlern eine vorübergehende Bleibe boten – das Geld für die Entwicklung der integrierten Schaltkreise auf Siliziumbasis kam direkt aus Palo Alto. Entlang des Highway 101, der an der Küste Kaliforniens verläuft, stehen Firmenkomplexe von Techriesen, die an miniaturisierte Städte erinnern – mit Wellnesszonen, Fitnessstudios und Gaming Rooms für Silicon-Soldaten mit Zwölf-Stunden-Arbeitstagen. Die Kathedralen von Google, Apple und Facebook faszinieren Tech­aficionados aus aller Herren Länder, angetrieben von einem großen Traum: der nächsten großen App.

Selbst ein technomaterialistischer Ansatz kommt nicht ohne Erzählung aus – im Valley ist sie in höchstem Maße unheimlich. Dem Robotiker Masahiro Mori zufolge komme diese Eigenschaft allen Robotern zu, die zu menschenähnlich wirken – das »Uncanny Valley« öffnet dann seine Pforten. Auch in den Kaderschmieden von Stanford waltet ein marktradikaler Geist, der stets aufs neue exorziert werden will: Neben den Grundlagen der Informatik und Elektrotechnik lernen künftige Techeliten, dass es »Disruption« braucht, um voranzukommen – dahinter steckt mehr als nur ein Geschäftsmodell: Paypal-Gründer und Palantir-Investor Peter Thiel ist begeisterter Girardianer, und seine Jünger folgen ihm. Vor Ort appliziert man René Girards Mimesiskonzeption gerne aufs Gesellschaftliche – und hält soziale Selektion für eine natürliche Form der Auslese. Als der negative Theologe aus Frankreich 1981 Professor in Stanford wurde, hatte er sein eigenes Begriffsbesteck mitgebracht: Seiner Sozialtheorie zufolge brauche es einen Sündenbock – andernfalls gäbe es am Markt zu viele Nachahmer, die in ihrem mimetischen Begehren das Unternehmergenie in Bedrängnis bringen. Die Neider müssen sich rechtzeitig auf ein Opfer einigen, das dann in die Wüste getrieben wird – und als Apple-Knecht auf ehemaligen Orangenplantagen ein würdeloses Dasein fristet.

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