Pillen statt Bewegung
Von Andreas MüllerIm dunkelblauen Trainingsanzug gab sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach auf den Bewegungsgipfeln im Dezember 2022 und März 2024 betont sportnah. Offensichtlich reine Show. In seiner ministeriellen Praxis will der Hobbytischtennisspieler ein neues Gesetz durchdrücken und so den organisierten Sport und dessen präventive gesundheitsfördernde Angebote preisgeben, außerdem solche von Fitnessstudios und Volkshochschulen. Lauterbachs Staatssekretärin Sabine Dittmar dürfte den Unmut darüber diesen Mittwoch zu spüren bekommen, wenn sie ihren Minister beim »gesundheits- und präventionspolitischen Abend« vertritt. Eingeladen haben der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und die Stiftung Deutsche Krebshilfe. Wäre der Sport alleiniger Gastgeber, wäre die Abgesandte des SPD-Ministers möglicherweise ausgeladen worden – als Protestnote. Schließlich berät, ebenfalls am 6. November, das Parlament über das in der Kritik stehende Gesundes-Herz-Gesetz (GHG) bzw. seinen Entwurf.
Es geht im GHG darum, Herz-Kreislauf-Erkrankungen als häufigster Todesursache mit circa 350.000 Opfern pro Jahr zu Leibe zu rücken. Was zweifellos wichtig ist, entpuppt sich in dem Entwurf als Steilvorlage für die Pharmabranche und als gesundheitspolitischer Affront gegenüber rund 30.000 Vereinen und anderen, die im Gesundheitssport mit einer Vielzahl von Präventivangeboten aktiv sind. Vorneweg jene Sportvereine, die seit 2014 Kurse mit dem Prüfsiegel »Sport pro Gesundheit« des Verbandes der Ersatzkassen (VDEK) anbieten.
Diesem gewachsenen Vorsorge- und Fürsorgesystem droht mit dem GHG das Ende, weil der Gesetzgeber hier statt auf präventive Angebote verstärkt auf Medikamente setzen will. So sehr zu begrüßen ist, dass im Kampf gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen demnächst ab dem 25. Lebensjahr eingeführt werden sollen, so bedenklich ist, dass sich damit zugleich medikamentöse Behandlungen erheblich erhöhen würden, etwa weil Kinder künftig schon ab dem fünften Lebensjahr mit Cholesterinsenkern behandelt werden könnten.
»Dieser Weg des Ministeriums ist total irre«, kritisiert ein Vertreter eines Landessportbundes, der namentlich nicht genannt werden möchte, das GHG gegenüber jW. »Pillen statt Bewegung – das kann nicht die Lösung für die gesundheitlichen Probleme einer zunehmend passiven Gesellschaft sein. Der Sport bietet mittlerweile 10.000 Kurse in 30.000 Sportvereinen an, die Menschen motivieren, aktiv und gesund zu leben. Mehr als ein Drittel aller deutschen Vereine stellt sich damit neben dem klassischen Sportbetrieb in den Dienst der Prävention.« So hatte sich der DOSB-Vorstandsvorsitzende Torsten Burmester geäußert. Und Karl Lauterbach damit widersprüchliche Positionen in Wort und Tat vorgeworfen.
Beim Bewegungsgipfel im Frühjahr habe der Minister noch getönt: »Es gibt kein Medikament, das gleichzeitig vor Herzinfarkten, Krebs, Demenz und Depression schützt. Nur Sport kann das.« Von dieser Position sei im GHG nichts mehr übrig, meint Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des für die »Prüfstelle Prävention« federführenden Verbandes VDEK. »Die Koalition verabschiedet sich mit diesem Gesetz von dem Leitgedanken der Prävention, Gesundheitsrisiken vorzubeugen und zu vermeiden, sie gefährdet nachhaltig unsere gut etablierten und bewährten gesundheitsförderlichen Strukturen in vielen Lebensbereichen wie Schulen, Kitas, Vereinen und Volkshochschulen. Aus unserer Sicht ist dies ein absoluter Irrweg, durch den Präventionsangebote zur Bewegungsförderung, Ernährungsberatung, Stressbewältigung und viele mehr wegfielen.«
Für die Kritiker des GHG wirklich zielführend bei der Vorbeuge von Krankheiten wäre eine Erweiterung bereits bestehender Sport- und Bewegungsangebote. Das GHG indes bewirke das Gegenteil, das etablierte System werde schwer gefährdet. Der Dachverband DOSB fragt, wie sich dieser gesundheitspolitische Weg mit dem Umstand vertrage, dass sich aktuell 53.013 Bewegungskurse in der Prüfungsphase befänden – um die präventiv-sportliche Palette zu erweitern. Im vergangenen Jahr hatten rund 1,5 Millionen Menschen die bundesweit 110.000 qualitätsgeprüften Angebote für ein aktiveres und gesünderes Leben genutzt, abgerechnet wurden sie über gesetzliche Krankenkassen. Sollte der Bundestag das GHG verabschieden, bedeutete das die Abkehr vom modernen Gesundheitssportsystem – für Vereine und andere Anbieter wäre es auch wirtschaftlich ein schwerer Schlag.
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