Vor Drohkulisse
Von David Maiwald, WolfsburgDeutliche Worte, klare Fronten, zunächst. »Volkswagen hat die Büchse der Pandora geöffnet und das Vertrauen der Belegschaft verspielt«, sagte IG-Metall-Verhandlungsführer Thorsten Gröger in der mit Presseleuten vollgestopften VIP-Loge im Wolfsburger Fußballstadion am Mittwoch morgen. Vor Beginn der zweiten Tarifrunde mit dem Automobilkonzern am Mittwoch fordert die Gewerkschaft Transparenz. Tarifverträge sind gekündigt, von drei Werkschließungen, die 30.000 Stellen betreffen, Lohnverzicht zur Standortsicherung ist die Rede – VW hatte die »Sozialpartnerschaft« längst in den Wind geblasen. Dann wurde doch bis in den Abend verhandelt.
VW macht Milliardengewinne. Doch weil mit 1,58 Milliarden Euro, nach steuerlichen Abzügen, unterm Strich 64 Prozent weniger Profit als im Vorjahr standen, hatte Finanzchef Arno Antlitz am Mittwoch zunächst »wesentliche und schmerzhafte Entscheidungen« prognostiziert. Die Produktionskosten seien hoch, die Nachfrage klein. Also: »Kosten senken und die Produktivität steigern, gerade in den deutschen Werken«.
Die »Bereitschaft«, ein »tragfähiges Zukunftskonzept für alle Standorte« zu verhandeln, sei Grundvoraussetzung, »die Eintrittskarte, um mit der IG Metall weiterzumachen«, hatte Gröger erklärt. Sonst sei die Gewerkschaft gezwungen, »die weitere Eskalation zu planen«. Im Dezember endet die Friedenspflicht: Die Beschäftigten würden dann »jeden Weg gemeinsam mit uns als IG Metall und als Betriebsrat gehen, um Tarifverträge und Beschäftigungssicherung zurückzubekommen«, so die Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo.
Nach Schichtwechsel im Stammwerk wurde am Nachmittag deutlich, dass die markigen Worte der Gewerkschafter vor allem die Beschäftigten adressieren. Viele wollen sich nicht äußern, auch auf Nachfrage nicht, verboten sei das. Einer mit dunklen Arbeitsspuren auf der hellgrauen Werkshose reagiert dann doch, schnippt mit einer abwinkenden Geste die Zigarettenkippe weg, deutet dann mit einer knappen Kopfdrehung über die Schulter Richtung Werk. »Jeder hat da Angst um seinen Arbeitsplatz«, sagt er. In welchem Bereich er tätig ist, will er nicht sagen.
Es gehen Gerüchte um. Etwa, »dass die gehen müssen, die krank waren«, wie ein Montagekollege erklärt. »Bei uns soll das Ziel bei 25 Prozent stehen«, sagt etwa ein »Indirekter«, also ein nicht in der Produktion Beschäftigter. Er meint den Umfang des Stellenabbaus in seiner Abteilung. »Die sind bei uns schon seit Jahren dran: Wenn einer geht, wird die Stelle nicht nachbesetzt.« Ein abweisendes Kopfschütteln, das folgende Lächeln wirkt zynisch; »ich hab’ von dem Thema mittlerweile einfach nur noch die Schnauze voll«. »Ohne klare Angaben will ich mich nicht verrückt machen lassen«, sagt ein »Kraftwerker« und hastet weiter, die Treppen zum Parkhaus hoch.
Nicht trotz, sondern vor allem wegen der Unklarheiten der Konzernleitung ist den Beschäftigten bange. »Die Leute dachten, hier geht es einfach immer so weiter; sie arbeiten hier bis zur Rente und die Kinder am besten auch«, sagt ein Kollege »aus der Komponente«. Es sei für viele einfach schwer vorstellbar, dass ganze Werke auf dem Spiel stehen sollen. »Die wissen gar nicht, wie sich so etwas anfühlt.« Die Forderungen der IG Metall hält er für »vollkommen richtig«. Ein Ergebnis der Verhandlungen sollten Volkswagen und die IG Metall erst nach jW-Redaktionsschluss bekanntgeben.
Hinweis: In einer ersten Fassung war im letzten Satz von Verdi die Rede, es ist natürlich die IG Metall. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen. (jW)
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
- 26.09.2024
Metaller sehen rot
- 25.09.2024
VW: Sparen, bis es knallt
- 06.09.2024
»Mit Augenmaß«
Es war ein wirtschaftspolitischer Fehler, die Autoindustrie als stärkstes Standbein unserer Volkswirtschaft auszubauen, was diese sehr anfällig gegen Änderungen der Rahmenbedingungen macht. Auch war abzusehen, dass irgendwann der Bedarf an Autos weltweit gedeckt sein und der Export einbrechen würde. Um das vorherzusehen, braucht man kein Autoboss zu sein.