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Aus: Ausgabe vom 31.10.2024, Seite 4 / Inland
Industriepolitik der Ampel

Kapitalisten drängen Koalition

Unternehmenslobby ruft Ampelkoalition zu Beschlüssen auf. SPD kritisiert Lindner
Von Marc Bebenroth
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»Keine Zeit zu verlieren«: BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner (Berlin, 3.5.2024)

Das mediale Ampeltheater treibt auch die Kapitalseite um. »Das größte Standortrisiko für Deutschland ist eine handlungsunfähige Regierung«, verkündete der Chef der »Stiftung Familienunternehmen«, Rainer Kirchdörfer, gegenüber der Augsburger Allgemeinen vom Mittwoch. »Wir brauchen angesichts der sich verschlechternden Wirtschaftslage dringend Entscheidungen der Politik«, sagte er. Damit stimmte Kirchdörfer in den vielköpfigen Chor ein, der die Bundesregierung von SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen dazu ermahnt, neue Geschenke für Kapitalisten zu beschließen.

Hiesige Kapitalisten würden einen »riesigen Rucksack aus Bürokratie und finanziellen Belastungen mit sich herum« schleppen, klagte der Expräsident des Verbands »Die Familienunternehmer«, Reinhold von Eben-Worlée, am Mittwoch gegenüber dpa. »Was wir jetzt brauchen, ist sofortige Marscherleichterung.« Nach seiner Teilnahme an einem Treffen der FDP-Bundestagsfraktion mit Lobbyisten hatte sich von Eben-Worlées optimistisch gezeigt, »dass Deregulierung und Entlastung nun endlich möglich sind«.

Druck auf die Regierung machte auch die Hauptgeschäftsführerin des einflussreichen Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Tanja Gönner. Man erwarte gemeinsames Regierungshandeln für mehr »Wachstum«. »Wir haben keine Zeit zu verlieren«, drängte Gönner am Mittwoch. BDI-Präsident Siegfried Russwurm war am Dienstag Teilnehmer eines exklusiven Gesprächskreises von Kanzler Olaf Scholz (SPD). Nach dem »Industriegipfel« appellierte Russwurm, gemeinsam einen »Pakt für die Industrie« zu schließen. Die SPD-Parteispitze verfolgt die PR-Strategie, sich als eigentlich williger Förderer von Kapitalinteressen zu präsentieren, der aber vom Koalitionspartner ausgebremst wird.

So sei Finanzminister Christian Lindner und dessen FDP »stärker in der Schuldenbremse verhaftet« als in »anderen Gedanken«, kritisierte die SPD-Vorsitzende Saskia Esken am Mittwoch im ZDF-»Morgenmagazin«. Lindner bremse die sogenannte Wachstumsinitiative der Koalition, weil er nicht bereit sei, »sich zu bewegen bei der Frage der Einnahmesituation des Staates«. Ein Weg zur »Entlastung« sei die Subventionierung der Netzentgelte auf den Stromrechnungen der Unternehmen. Diese Ausgaben müssten »über längere Jahre« gestreckt werden, forderte Esken. Das müsse »der Staat zwischenfinanzieren, anders geht es nicht«. Indirekt hatte sich Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Dienstag abend Eskens Fingerzeig Richtung FDP angeschlossen. Er könne nicht nachvollziehen, wenn jemand die aktuelle wirtschaftliche Situation durch Umschichtungen im Bundeshaushalt bewältigen wolle.

FDP-Justizminister Marco Buschmann rief am Mittwoch gegenüber dem Portal The Pioneer Scholz, Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) dazu auf, gemeinsam die »Angebotsbedingungen in Deutschland« so zu ändern, dass »unsere Industrie, unser Mittelstand wieder auf internationalen Märkten wettbewerbsfähige Produkte anbieten«. Die Exportorientierung deutscher Kapitalisten sei »die Wohlstandsquelle unseres Landes immer gewesen, und das wird sie auch in Zukunft sein«, behauptete der FDP-Politiker. Die Ampelkoalition werde bis zum geplanten Ende der Legislaturperiode durchhalten, sofern es ihr gelinge, »Entscheidungen zu treffen, die die finanzielle Solidität und die wirtschaftliche Stärke unseres Landes herstellen«, erklärte Buschmann.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (31. Oktober 2024 um 18:42 Uhr)
    »Ein Weg zur ›Entlastung‹ sei die Subventionierung der Netzentgelte auf den Stromrechnungen der Unternehmen.« Frau Esken glänzt mit »tollen« Ideen, ohne allerdings zu verraten, wie die Subventionierung im Energiebereich bezahlt werden soll. War es doch vor allem die SPD, die den Boykott russischer Energieträger forciert und damit letztlich die Last des »Marschgepäcks« für die hiesige Wirtschaft deutlich erhöht hat. Wenn es jetzt darum geht, die Fehler der politischen Klasse zu korrigieren, kennen die Bosse stets nur den Weg des ungebremsten Kapitalismus. Die Leidtragenden sind in aller Regel die Besitzlosen, während die Besitzenden, angeblich die Leistungsträger, mithilfe ihrer Lobbyverbände außen vor bleiben. Über mögliche Umschichtungen des Haushaltes zu Lasten der »Kriegsertüchtigung« oder gar zu Lasten von Geschenken an ein korruptes und illegitimes Regime in Kiew wird selbstverständlich gar nicht erst nachgedacht.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (30. Oktober 2024 um 20:27 Uhr)
    Als »sofortige Marscherleichterung« biete ich antiquarisch Herrn Eben-Worlée mein kleines Sturmgpäck an. Angesichts des Alters würde ich mich auf einen Abgabepreis von von einer Milliarde Euro herunterhandeln lassen. Sie ist in hervorragendem Zustand, er kann damit direkt an die Dnipro-Front marschieren. Für den Herrn Pistiorius habe ich kostenlosen Rat zur Hand: Umschichtung im Bundeshaushalt durch Streichung des Etats seines Ministeriums. Möglicherweise könnte die Schuldenbremse dann unberührt weitergeführt werden. Nach meiner Kenntnis ist die Streichung des Rüstungsetats nicht verfassungswidrig.

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