Massaker um Massaker im Sudan
Von Ina SembdnerDie Vereinten Nationen stoßen auch im Falle Sudans an ihre Grenzen: Während die Rufe ihrer Organisationen immer eindringlicher und die Erklärungen zu der Lage in dem nordostafrikanischen Land immer dramatischer werden, gehen das Töten, die Vertreibungen, die sexualisierte Gewalt, die Plünderungen und Zerstörungen unvermindert weiter. Allein am Freitag sind bei einem Angriff der paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) in den Dörfern Al-Seraiha und Azrag im östlich gelegenen Bundesstaat Al-Dschasira mindestens 124 Zivilisten getötet worden, darunter viele Frauen, Kinder und ältere Menschen. »Frauen wurden gefoltert und gruppenweise vergewaltigt, woraufhin mehrere von ihnen Selbstmord begingen«, zitierte die Sudan Tribune am Montag die regionale Frauenrechtsgruppe SIHA. Örtliche Quellen schätzen demnach, dass seit dem 22. Oktober über 1.000 Menschen in 50 Dörfern Al-Dschasiras getötet wurden.
Und die RSF, die im April 2023 ihren Feldzug gegen die De-facto-Regierung von Abdel Fattah Al-Burhan begonnen und damit einen blutigen Bürgerkrieg ausgelöst haben, setzen »ihren Rachefeldzug gegen die Zivilbevölkerung« fort, wie die Zeitung am Dienstag schrieb. Die hier unterstellte Rache bezieht sich auf das Überlaufen eines wichtigen RSF-Kommandeurs am 20. Oktober. Das sudanesische Außenministerium sprach in einer Erklärung vom Montag gar von »einigen Anführern«, die aus deren Reihen übergelaufen seien. Auch die SIHA erklärte, dass die RSF »eine Vergeltungskampagne mit Morden und Gemetzeln in Al-Dschasira und den zentralsudanesischen Distrikten gestartet« hätten. Die lokalen Aktivistinnen stützen sich auf Aussagen von Augenzeugen – sowie auf Videos in den sozialen Netzwerken, auf denen unter anderem zu sehen gewesen sei, wie RSF-Kämpfer 120 Fischer und Bauern in der Stadt Om-Shuka getötet hätten. »Der Sudan befindet sich an einem entscheidenden Punkt, an dem das bedrohliche Gespenst eines Völkermords über dem Land schwebt«, so die SIHA. »Der UN-Sicherheitsrat muss handeln, um Frieden und Sicherheit im Sudan wiederherzustellen.«
Dort hatte auch UN-Generalsekretär António Guterres am Montag von einem »Alptraum ethnischer Massengewalt« in dem Land gesprochen – »wieder einmal«. Denn der Sudan erlebte vor rund 20 Jahren den ersten Völkermord der 2000er Jahre, begangen durch die Dschandschawid-Miliz, deren damaliger Chef Mohammed Hamdan Daglo heute die RSF anführt. Bis zum Bruch im vergangenen Jahr stand er zudem treu als Vize an der Seite Al-Burhans, der als »Architekt« des Genozids nichtarabischer Minderheiten in Darfur gilt. Guterres bestätigte die Forderungen von sudanesischen und internationalen Menschenrechtsgruppen nach verstärkten Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung. »Die Voraussetzungen für den erfolgreichen Einsatz einer UN-Truppe« seien jedoch »derzeit« nicht gegeben. Aber er sei bereit, andere Möglichkeiten zur Eindämmung der Gewalt zu diskutieren: »Dies kann neue Ansätze erfordern, die an die schwierigen Umstände des Konflikts angepasst sind.« Ein Tropfen auf den heißen Stein für die mittlerweile 14 Millionen Vertriebenen, mit allein 200.000 neu Geflohenen im Oktober – so eine am Dienstag veröffentlichte Schätzung der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Dabei sind die meisten Menschen (elf Millionen) im eigenen Land auf der Flucht, 3,1 Millionen sind über die Staatsgrenzen geflüchtet.
Gleichentags veröffentlichte auch die im vergangenen Oktober von der UNO eingesetzte Faktenfindungsmission ihre Ergebnisse: »Das schiere Ausmaß der sexualisierten Gewalt, das wir im Sudan dokumentiert haben, ist erschütternd«, schrieb deren Vorsitzender Mohammed Chande Othman in einer Erklärung, die dem 80seitigen Bericht beigefügt ist. Seine Analyse beruht auf Interviews mit Opfern, Familien und Zeugen sowie auf Rechtsgruppen- und Reuters-Rechercheergebnissen. Ein Schlaglicht auf das genozidale Vorgehen der RSF (wobei den Streitkräften Al-Burhans ebenfalls Kriegsverbrechen anzulasten sind): »Wir werden euch, die Masalit-Mädchen, dazu bringen, arabische Kinder zu gebären«, zitierte ein Opfer ihren Vergewaltiger, der ihr dies mit vorgehaltener Waffe androhte.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin M. aus Paris (30. Oktober 2024 um 22:41 Uhr)Endlich wieder eine, leider schreckliche, Notiz in der jW zum Sudan. Mehrheitlich werden in den Medien Konflikte, insbesondere in Afrika, aber auch in Asien und Lateinamerika ausgeblendet. Verständlicherweise kann eine Zeitung nicht alle Themen abdecken, denn zu viele sind die Verbrechen, welche im Namen des Kapitalismus, der NATO, der Oligarchen etc. stündlich begangen werden. Kaum ein Wort zur langjährigen politischen Gefangenen Cármen Villalba in Paraguay, deren Familie, selbst Minderjährige in den vergangenen Jahren vergewaltigt und ermordet wurden. Sie selbst wird regelmäßig aufs brutalste misshandelt. https://www.resumenlatinoamericano.org/2024/09/01/paraguay-golpearon-en-su-celda-a-la-presa-politica-carmen-villalba-y-allanaron-el-calabozo-donde-esta-su-hermana-laura-este-lunes-acto-en-la-embajada-paraguaya-en-buenos-aires/ Kein Wort, auch nicht in diesem Artikel, über der massiven Vergewaltigungen als »Waffe« im Sudan, aber auch in der DRC. Die sogenannte »internationale Gesellschaft«, aber auch du und ich sehen dem hilflos und ohnmächtig zu. Es braucht viel mehr Engagement der Zivilbevölkerung im »Westen«, um weitere Leiden zu verhindern.
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