Schüsse in der Ferne
Von André WeikardMensch, sehen die schön aus. Die Diskuswerfer in der Pose des antiken Bildhauers Myron. Die kraftstrotzenden Kugelstoßer in ihren knappen Höschen. Die Turmspringer, so gefilmt, dass kein Wasserbecken unter ihnen zu sehen ist, als ob sie ziellos im Himmel flögen. Und doch stimmt etwas nicht mit diesen Bildern. Wie Leni Riefenstahl die Olympischen Spiele 1936 gefilmt hat, ist ein Akt der Ausgrenzung. Die kultische Überhöhung von Gesundheit, Kraft, Wettstreit ist eine Absage an Mitgefühl, Solidarität, Menschlichkeit. Das freilich hat Hitlers Filmemacherin ihr Leben lang bestritten.
Andres Veiel hat den Nachlass von Leni Riefenstahl durchforstet, 700 Kisten im Ganzen. Vorgefunden hat er ein Labyrinth von Halbwahrheiten und Lügen, von Manipulation und Geschichtsklitterung. Sein beinahe zweistündiger Dokumentarfilm ist kein eigentliches Porträt. Er interessiert sich nicht für biographische Daten, für die Person Riefenstahl. Es handelt sich eher um eine Investigation. Veiel tut, was der Nazifilmerin ein Graus gewesen wäre: Er dekonstruiert ihren Mythos. Er zerlegt das Lügengebäude, an dem sie den größten Teil ihres Lebens gearbeitet hat.
Führergroupie
Leni Riefenstahl schrieb zehn Jahre an ihren Memoiren, gab immer wieder Interviews, zeichnete Telefonate auf, archivierte Filme, Fotos, Korrespondenzen. Gegen Vorwürfe, sie habe mit dem Naziregime paktiert, geht sie gerichtlich vor. Mehr als 50 Prozesse führt sie im Laufe ihres Lebens wegen Verleumdung und übler Nachrede. Ein einziger Kampf. Ihr Kampf. Die Riefenstahlsche Erzählung unterscheidet sich dabei nicht besonders von den Ausflüchten vieler anderer Täter und Mitläufer im Nachkriegsdeutschland. Sie habe nur ihre Pflicht getan. Von den Naziverbrechen nichts gewusst. Ja, dieselben Filme hätte sie auch im Auftrag von Roosevelt oder Stalin gedreht, sagt sie in einem Interview. Überhaupt sei für ihre Aufnahmen nichts gestellt worden, nur dokumentiert. Sie habe die schönen Körper bei Olympia nicht gemacht, die Reden, die in ihrem Reichsparteitagsfilm »Triumph des Willens« auftauchen, nicht gehalten. Für Politik habe sie sich nicht interessiert.
Es bedarf keines Kommentars, um das zu widerlegen. Ein einziges Foto, auf dem die Filmemacherin ihren Führer anstrahlt, während er ihre Hand mit seinen beiden umfasst, verrät alles. Die Nachricht von Hitlers Tod habe sie »zerstört«, gibt Riefenstahl denn auch zu. In einem Gesprächsmitschnitt mit ihrem Verleger erklärt sie, Hitler habe sie »wie durch einen Magnetismus eingefangen«. Leni Riefenstahl war keine Auftragsfilmerin, sie war ein Führergroupie. Ihr Olympiafilm feiert an Hitlers Geburtstag Premiere. Er sendet ihr Rosen zu ihrem. Briefe an Hitler unterzeichnet sie mit »Ihre treue Leni Riefenstahl«.
Gleich zu Kriegsbeginn wird sie denn auch damit beauftragt, den Polen-Feldzug in Szene zu setzen. Schon in den ersten Kriegstagen (am 12. September 1939) erlebt sie die Erschießung von 20 Juden. Das Entsetzen in ihrem Gesicht angesichts der Morde ist auf Fotos festgehalten. Andres Veiel legt sogar nahe, ihre Regieanweisung: »Die Juden müssen weg« habe die Bluttat veranlasst. Sie erinnert freilich nur: »Schüsse in der Ferne«.
Im Oktober 1940 lässt sie sich für ihr Spielfilmprojekt »Tiefland« Sinti und Roma aus dem Zwangsarbeiterlager Salzburg-Maxglan als Komparsen zur Verfügung stellen. Viele von ihnen sind Kinder. Die meisten werden später in Auschwitz ermordet.
Mit Albert Speer, verantwortlich für millionenfache, mörderische Zwangsarbeit, nimmt sie nach dessen Haftentlassung wieder Kontakt auf, er zählt sie zu seinen besten Freunden. In Telefonmitschnitten plaudern die beiden darüber, wie sich aus ihrem Naziruhm der größte Gewinn schlagen lässt. Wieviel mit einem Interview zu verdienen sei, mit Memoiren sowieso.
Immer wieder stößt Veiel auf Widersprüche. Hier will Riefenstahl Goebbels kaum gekannt, nie in dessen Wohnung eingeladen worden sein. Da wieder berichtet sie in Notizen davon, wie der Propagandaminister vor ihr gekniet und versucht habe, sie mit Nietzsche-Versen zu verführen. Später habe er zweimal versucht, sie zu vergewaltigen.
Montierte Erinnerungen
In den veröffentlichten Memoiren tauchen diese Episoden, die Andres Veiel im Riefenstahl-Nachlass aufgestöbert hat, nicht auf. Diese Memoiren wurden nicht gedruckt, um zu berichten, sondern um zu vertuschen. Die Nazifilmerin, die nach dem Krieg keine Aufträge mehr bekommt, bearbeitet ihr Leben wie einst Material am Schnittpult. In ihrem Haus im Schwarzwald montiert sie Erinnerungen, stückelt zusammen, schneidet weg, schneidet immer wieder neu weg.
Ob sie auch Behinderte gefilmt habe, wird die Riefenstahl einmal in einem Interview gefragt. Nein, antwortet sie, das sei nicht ihr Thema. Sie interessiere sich für den »Herrenmenschen«, für Heroen und Sieger. Für gereckte Hände und fanatische Massen. Die hat sie mit ihren Kamerafahrten und ausladenden Schwenks noch größer gemacht. Sie hat die Heilrufe verstärkt, die militanten Paraden ins Pompöse wuchern lassen, dem Bösen die größtmögliche Wirkung verliehen. Sie hat nicht nur abgebildet.
In Interviews, in denen sie mit ihrem Beitrag zum Hitler-Regime konfrontiert wird, verliert sie regelmäßig die Fassung. Sie schimpft, wütet, sie lasse sich nicht »vergewaltigen«, bricht ab, oder kommt gar nicht ins Studio, verbittet sich, auf den Holocaust auch nur angesprochen zu werden. Die Wahrheit könne man nicht sagen, meint sie. Dann werde man »hingerichtet«. Ihre Wahrheit ist nicht unsagbar, sie ist unsäglich. Öffentlich gibt die Riefenstahl sich betroffen, ob der Greuel, die von den Nazis begangen wurden. In Telefonaten mit Freunden und Anhängern spricht sie offener. Ein, zwei Generationen werde es dauern. Dann werde man zu Moral und Anstand zurückkehren, sagt da einer. Die Veranlagung dazu habe das deutsche Volk ja, meint die Riefenstahl.
»Riefenstahl«, Regie: Andres Veiel, BRD 2024, 115 Min., Kinostart: heute
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