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Aus: Ausgabe vom 31.10.2024, Seite 12 / Thema
Gesundheitspolitik

Ein ganz normaler Vorgang

Die Änderung des Medizinforschungsgesetzes im Interesse des Pharmakonzerns Eli Lilly dient dem Standort Deutschland
Von Suitbert Cechura
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Man werde alles tun, »um den Pharmastandort Deutschland noch weiter zu stärken«, äußerte der Bundeskanzler anlässlich des Spatenstichs für die neue Produktionsstätte der Lilly Deutschland GmbH (Alzey, 8.4.2024)

Eine Änderung des Gesetzentwurfs zum Medizinforschungsgesetz hat ein Rauschen in der Medienlandschaft ausgelöst. »Recherchen von WDR, NDR, Süddeutscher Zeitung (SZ) und dem Rechercheteam ›Investigate Europe‹ zeigen nun, was der Kanzler damit gemeint haben könnte. Interne Unterlagen aus dem Gesundheitsministerium erhärten den Verdacht, dass der Pharmariese die Ansiedlung in Rheinland-Pfalz an eine Gesetzesänderung geknüpft haben könnte.«¹

Der »Pharmariese« ist der US-Konzern Eli Lilly, der in Rheinland-Pfalz ein Werk mit 1.000 Arbeitsplätzen bauen will. Der Verdacht bezieht sich auf die Äußerung des Kanzlers beim Spatenstich für dieses »Leuchtturmprojekt«, dass der Bund alles tun werde, »um den Pharmastandort Deutschland noch weiter zu stärken«. Die Meldung legt nahe, dass der Staat von einer Pharmafirma erpresst worden ist und dieser Erpressung nachgegeben hat. Entsprechend lautet die Meldung auf tagesschau.de: »Geheimpreise bei Medikamenten« und wirft die Frage auf, ob eine Gesetzesänderung zugunsten des Pharmakonzerns Eli Lilly erfolgt sei, damit dieser das Werk in Rheinland-Pfalz baut. Dem schlossen sich gleich einige Medien an. Die SZ äußerte den Verdacht, dass die Regierung sich den Forderungen des Pharmaunternehmens gefügt habe, das seine Investition in Rheinland-Pfalz von der Gesetzesänderung abhängig gemacht habe (SZ, 12.10.2024). Aber was ist an der Geschichte eigentlich skandalös?

Reichtum vermehren

Wieso braucht es investigativen Journalismus, wenn der Kanzler verkündet, dass er alles tun werde, um den Pharmastandort Deutschland attraktiver zu machen? Ist dann nicht klar, dass von seiten des Staates Gesetze oder Verordnungen geändert werden müssen, damit das Geschäftemachen – in diesem Falle mit Medikamenten – in Deutschland sich für die Unternehmen besser lohnt? Oder soll entlarvt werden, dass ein Gesetz geändert wird zugunsten eines einzelnen Unternehmens? Aber beruhen nicht auch Angebote wie das an Volkswagen, eine Kaufprämie für E-Autos einzuführen, auf der Änderung von entsprechenden Vorschriften? Oder wird vermutet, dass der Staat im Sinne von Privatinteressen handelt statt im Allgemeininteresse? Die Medien sind doch ansonsten immer bereit, aus jeder Wirtschaftsförderung den Einsatz für Arbeitsplätze herauszulesen und damit die Welt auf den Kopf zu stellen. Aus Unternehmen, die Menschen nur dann beschäftigen, wenn es sich für sie lohnt, werden auf diese Art Kapitalisten in Dienstleister für die Menschheit verwandelt. Dabei darf der Rest der Menschheit in den Dienst für die Reichtumsvermehrung des Kapitals treten, wenn dieser Aussicht auf Erfolg verspricht. Und dafür soll der Staat die Rahmenbedingungen schaffen, sonst wird nicht investiert – oder, wie bekannt, zu Massenentlassungen oder Werksschließungen geschritten.

Weitere Fragen wären: Sehen die investigativen Journalisten die Souveränität des Staates in Frage gestellt, wenn dieser auf Forderungen von Unternehmen eingeht? Ist es auch Erpressung und Infragestellung der Souveränität, wenn Intel seine Chipfabrik in Deutschland nur unter der Bedingung baut, dass Milliardensubventionen fließen? Ist es Erpressung, wenn Thyssen-Krupp seine Stahlsparte nur dann auf Direktreduktion mit Wasserstoff umstellt, wenn zwei Drittel der Kosten vom Staat übernommen werden? Ist nicht die Normalität viel skandalöser als das, was die Journalisten da aufgedeckt haben?

Unterstellt wird bei all diesen Skandalmeldungen, dass von seiten der Regierung etwas getan wurde, was sich nicht gehört. Dabei hat die Regierung an keiner Stelle ein Geheimnis daraus gemacht, was sie beabsichtigt, und dies auch gleich in ihren Gesetzentwurf hineingeschrieben: »Arzneimittel und Medizinprodukte sind unabdingbar für die Gesundheit der Menschen und wesentlicher Faktor des medizinischen Fortschritts. Zuletzt hat der Forschungs- und Produktionsstandort Deutschland im internationalen Vergleich an Attraktivität verloren. Daher hat die Bundesregierung am 13. Dezember 2023 mit ihrem Strategiepapier ›Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Pharmabereich in Deutschland‹ umfassende Handlungskonzepte für den Forschungs- und Produktionsstandort Deutschland beschlossen.«²

Das Medizinforschungsgesetz dient doch keinem anderen Zweck, als Pharmaunternehmen ihr Geschäft mit der Gesundheit in Deutschland attraktiver zu machen. Aus diesem Grund entdeckt der Staat eine ganze Reihe von Regelungen in seinen Gesetzen, die seinem Anliegen entgegenstehen sollen und die deshalb geändert werden müssen. Zwar hat es in der Vergangenheit Gründe gegeben, warum bei der Zulassung von Medikamenten mehrere Behörden in den Prüfprozess einbezogen wurden, was in der jetzigen Situation als ein einziges Hindernis und als ein Fall für den Bürokratieabbau erscheint. Dass Lobbyisten in jedem Gesetzgebungsverfahren gehört werden, ist Normalität. Ob diese mit ihrem Anliegen durchkommen oder auch nicht, steht auf einem anderen Blatt.

Dass die Regierung Gesetze zugunsten der Wirtschaft erlässt oder Entwürfe nach Anhörung von Lobbyisten ändert, ist kein Geheimnis. Wenn in der Öffentlichkeit die Rezession der deutschen Wirtschaft beklagt wird, ist den kritischen Beobachtern sofort klar, dass der Staat versagt hat oder sein Handeln gefordert ist. Dabei steht auch außer Frage, zu wessen Gunsten. Strebt VW eine Steigerung seiner Rendite an, wird dem Konzern gleich eine Krise bescheinigt und staatlicherseits über eine Kaufprämie für Elektroautos nachgedacht. Befindet Thyssen-Krupp seine Stahlsparte im Vergleich zu anderen Geschäftssphären als wenig lukrativ und will diesen Bereich loswerden, dann stehen gleich Politiker bereit, um mit Investitionshilfen diesem Unternehmensteil auf die Beine zu helfen. So ist die Liste der Hilfen für die Wirtschaft lang – ob Milliardenbeträge für Chip- und Batteriefabriken oder Abholzungsgenehmigungen für Wälder zum Bau einer Autofabrik für Tesla – alle diese Hilfen dokumentieren, dass staatliche Stellen bestrebt sind, dass möglichst viel Geschäft in Deutschland stattfindet. Angefangen in den Kommunen, die um Geschäftsansiedlungen konkurrieren, über die Förderung von Wirtschaftsansiedlungen durch die Länder bis hin zum Bund, der sein Territorium als attraktiven Industriestandort in Konkurrenz zu anderen Ländern pflegt. Die Förderung des Gewinnmachens von Kapitalisten steht bei allen Politikern, welcher Couleur auch immer, auf allen staatlichen Ebenen ganz oben auf der Agenda, schließlich ist alles in dieser Gesellschaft vom Gelingen der Reichtumsvermehrung der Reichen abhängig gemacht. Deshalb soll die Förderung der Kapitalvermehrung immer im Sinne der Allgemeinheit sein, wie die Medien dem Volk immer wieder weismachen, denn schließlich diene das Geschäft der Schaffung von Arbeitsplätzen. Viel Geschäft bedeutet für den Staat viele Steuern und damit nationalen Reichtum, was natürlich nicht identisch ist mit dem Reichtum der Bürger.

Nationaler Reichtum besteht in der Wirtschaftskraft und der Militärmacht, mit der ein Staat seine Interessen gegen andere auf der Welt zur Geltung bringen kann. Auch wenn der Staat alles tut, damit die Wirtschaft wächst, sie damit an die erste Stelle setzt, bleibt sie dennoch sein Mittel – und so müssen die Unternehmen auch immer wieder Einschränkungen hinnehmen, wenn ihr Geschäft nationalen Interessen widerspricht. Ob dies in Form von Arbeitsschutzgesetzen geschieht, damit die Arbeitskräfte nicht ruiniert werden und funktional bleiben, oder durch Umweltschutzgesetze, die den Ruin der Natur nicht verhindern, aber beschränken, hängt dabei von den Umständen ab. Der Krieg gegen Russland, an dem Deutschland nicht nur militärisch-rüstungsmäßig beteiligt ist, sondern den es auch als Wirtschaftskrieg gegen dieses Land und seine Unterstützer führt, hat deutschen Unternehmen große Verluste zugefügt. Ihnen ging nicht nur ein großer Markt verloren, sondern auch ihre billige Energieversorgung durch Russland und damit ein Konkurrenzvorteil auf den internationalen Märkten. Wenn die Nation im Verbund mit anderen Ländern in die Auseinandersetzung um die Weltordnung tritt, dann haben wirtschaftliche Interessen eben zurückzustehen. Was nicht heißt, dass das dem Staat egal ist. Er ist vielmehr bemüht, die Schäden, die seine Politik anrichtet, an anderer Stelle zu kompensieren.

Förderung des Pharmastandorts

Mit dem Medizinforschungsgesetz will die Regierung sich nicht einfach um die Ansiedlung irgendwelcher Unternehmen kümmern, die bereits in Deutschland produzieren. Sie zeigt sich vielmehr daran interessiert, dass möglichst viel Pharmaforschung und auch Pharmaproduktion im eigenen Land stattfindet. Denn: Wenn die Regierung sich um die Gesundheit ihrer Bürger sorgt, obwohl Gesundheit immer als eine Privatangelegenheit gilt, dann deshalb, weil sie die Bürger als die Grundlage ihrer Macht oder ihrer Nation weiß. Da muss zwar nicht jeder gesund sein, aber es müssen immer ausreichend funktionale Menschen im Land agieren, damit die Wirtschaft läuft, Kinder in die Welt gesetzt und erzogen werden, Beamte und Ordnungskräfte das staatliche Leben am Laufen halten usw. usf.

Deshalb überlässt der Staat diesen Bereich nicht einfach dem Markt, sondern er organisiert ein Gesundheitssystem unter staatlicher Regie, das Funktionalität gewährleisten soll. Arzneimittel und Medizinprodukte gibt es zuhauf, dennoch dokumentiert das neue Gesetz, dass es einen ständigen Bedarf an neuen Mitteln gibt. Das ist seltsam, aber die Gründe sind nicht unbekannt. Für die Bekämpfung von Epidemien gibt es Antibiotika und Impfungen. Durch massenhaften Einsatz von Antibiotika – Ärzte verschreiben sie auch dann, wenn keine bakterielle Erkrankung vorliegt, sich aber im Rahmen einer viralen Erkältung ergeben könnte; in der Massentierhaltung sollen sie verhindern, dass wegen der Infektion eines Tieres gleich der ganze Bestand gefährdet ist – sind diese Mittel weitgehend unwirksam geworden, und so braucht es neue Präparate. Viren verändern sich, also bedarf es der Anpassung der Impfmittel. Der größte Handlungsbedarf besteht allerdings im Bereich der nicht übertragbaren Erkrankungen oder Zivilisationskrankheiten. Diese verdanken sich dem alltäglichen Verschleiß im kapitalistischen Alltag, der viele Menschen überbeansprucht – in der Arbeit und der angeblich so freien Freizeit. Als Ursache gilt dann Stress, der sich in Herz-Kreislauf-Erkrankungen niederschlägt. Die kapitalistische Produktion benutzt zudem eine Vielzahl von Giften, die zum großen Teil über die Luft und das Wasser entsorgt werden und sich dann in vielen Produkten wiederfinden, so dass Krebserkrankungen nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen die Krankheits- wie Sterbestatistiken anführen. Und so gehört zum kapitalistischen Alltag vielfach auch der Konsum von Blutdruck- und Cholesterinsenkern, Blutverdünnern, Asthma-, Schmerz- und Schlafmitteln oder Krebsmedikamenten. Eine Heilung bewirken all diese Mittel nicht, schließlich sind die alltäglichen Schädigungen irreversibel. Deswegen wird den Patienten von allen Seiten geraten, den eigenen Körper zu stählen durch Ernährung und Bewegung und Verzicht auf Alkohol und Nikotin. Dies stiftet dann auch den Bedarf nach immer neueren und besseren Mitteln.

Als Anreiz für Unternehmen, neue Medikamente zu entwickeln und ihr Geld in dieser Sphäre anzulegen, gibt es eine Reihe von staatlichen Regelungen. Die Erforschung neuer Stoffe kostet Geld, und es ist nicht immer absehbar, ob sie auch die erwünschte Wirkung im menschlichen Körper zeigen. Das setzt biochemisches Wissen voraus, und die Entdeckung eines neuen Wirkstoffes schließt nicht aus, dass andere auf die gleiche Idee kommen. Damit aus der Erforschung von Wirkstoffen ein Geschäft werden kann, muss aus Wissen Eigentum werden; dies bedeutet Ausschluss. Und wenn schon andere nicht von dem Wissen ausgeschlossen werden können, so sollen sie doch von dessen Benutzung ausgeschlossen werden, was bekanntlich durch das staatliche Patentrecht geschieht. Damit wird dem Entdecker eines Stoffes die exklusive Nutzung dieses Wissens garantiert und er kann für diesen Stoff Monopolpreise verlangen.

Der Staat kennt aber auch den Unterschied zwischen Geschäftsinteresse und seinem Anliegen einer halbwegs gesicherten Versorgung seiner Bevölkerung mit Medikamenten. Deshalb können Pharmaunternehmen nicht einfach Produkte auf den Markt werfen, sondern diese bedürfen der staatlichen Zulassung mittels verschiedener Kontrollverfahren. So müssen die Unternehmen die Ungefährlichkeit, Wirksamkeit und Zuverlässigkeit ihres Produktes nachweisen. Den Nachweis überlässt der Staat allerdings den Unternehmen selbst. Die staatlichen Stellen überprüfen lediglich die Glaubwürdigkeit oder Schlüssigkeit der gelieferten Daten, wohl wissend, dass das Geschäftsinteresse eben auch bedingt, dass Forschungsergebnisse schöngerechnet oder gefälscht werden.

Nach der Zulassung zum Gesundheitsmarkt garantiert der Staat den Unternehmen, dass sie für das erste Jahr Monopolpreise verlangen dürfen. Doch der Gesundheitsmarkt ist ein besonderer Markt, auf dem die Kunden nicht über die notwendige Zahlungsfähigkeit und Sachkenntnis verfügen, um diese Produkte im Bedarfsfall erwerben zu können und mit diesen sachgerecht umzugehen. Zur Sicherung der Funktionalität seiner Bevölkerung hat der Staat die Herausgabe für den wesentlichen Teil dieser Produkte an die Verschreibung von Ärzten gebunden. Die Zahlungsfähigkeit hat er durch die Schaffung von gesetzlich verpflichtenden Krankenkassen organisiert. An dieser Stelle kennt übrigens der deutsche Staat durchaus die Klasse der Lohnabhängigen. Denn die gesetzliche Versicherungspflicht hat der Staat für die Klasse derer vorgeschrieben, die von dem Verkauf ihrer Arbeitskraft leben müssen. Wo der einzelne mit seinem Lohn die für ihn notwendigen Gesundheitsleistungen nicht bezahlen kann, soll die Klasse der Lohnabhängigen dies in ihrer Gesamtheit sicherstellen. Auch die Unternehmen sind gefordert, auch sie werden verpflichtet, in die Lohnberechnung die Kosten für Gesundheit ihrer Belegschaft mit einzurechnen. Das berührt insgesamt die Lohnhöhe und belastet damit die Gewinnkalkulation der Unternehmen. Man kann auch sagen, dass die Gesundheitswirtschaft auf Kosten der restlichen Wirtschaft und der Bürger ihre Gewinne macht. Aus staatlicher Sicht wirft dies Probleme auf. Die Gewinne für die Gesundheitswirtschaft sollen sein, die übrige Wirtschaft aber nicht über die Maßen belastet werden, weswegen es stets den Ruf nach der Begrenzung der Gesundheitskosten gibt.

Der Interessenausgleich

Als Interessenausgleich zwischen dem ins Recht gesetzten Gewinninteresse der Pharmaindustrie und dem Anliegen, die Kosten des Gesundheitswesens gering zu halten, hat der Staat ein weiteres Prüfsystem eingeführt und dies mit einem Rabattsystem verbunden. Pharmafirmen, die mit einem neuen Produkt zugelassen wurden und an der Finanzierung durch die Krankenkassen teilhaben wollen, benötigen die Zulassung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). In dem sitzen die Interessenvertreter von Ärzten und Krankenkassen, auch werden Patientenvertreter gehört, die aber nicht mitentscheiden dürfen. Beraten wird dieses Gremium vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG), das die Unterlagen der Firmen darauf prüfen soll, ob das neue Medikament eine Verbesserung gegenüber den bereits vorhandenen darstellt. Wenn sich dies zeigt, ist zu bestimmen, was diese Verbesserung kosten darf. Eine seltsame wissenschaftliche Leistung, die da von einem naturwissenschaftlich orientierten Institut verlangt wird, sollen doch Äpfel mit Birnen verglichen werden. Wenn ein Cholesterinsenker eine stärkere Wirkung zeigt, wieviel mehr darf das Medikament denn dann kosten? Sicherlich gibt es Rechenmodelle, die diesem Verfahren den Schein der Objektivität vermitteln. Als Konsequenz haben die Pharmafirmen sich besonders auf den Bereich der personalisierten Medikamente verlegt, vor allem in der Krebsbehandlung; dort sind Vergleiche kaum möglich oder Vergleichsmedikamente nicht vorhanden. So können dann Unsummen für die Arzneien verlangt werden.

Kommt das Institut zu dem Ergebnis, dass kein zusätzlicher Nutzen für das Gesundheitssystem erkennbar ist, kann das Unternehmen allenfalls den Standardtarif für die Vergleichsmedikamente verlangen und muss mit den Krankenkassen in Rabattverhandlungen treten, um das Präparat in den Kreis verschreibungspflichtiger und erstattungsfähiger Medikamente aufzunehmen.

Das Ergebnis wurde bislang veröffentlicht und diente dann auch anderen Ländern in der Europäischen Union als Maßstab für Preisverhandlungen, die für die Zulassung zum nationalen Gesundheitswesen geführt werden. Deshalb sind die Medikamente im Ausland meist wesentlich billiger als in Deutschland oder als in anderen Ländern mit eigener Pharmaindustrie wie zum Beispiel in den USA.

Die Reform

Wenn Deutschland nun dieses System der Finanzierung des Pharmabereichs für reformbedürftig befindet, dann hat dies mehrere Gründe. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die Versorgung mit Medikamenten immer anfälliger geworden ist. Es werden nicht nur wenige neue Patente für Medikamente angemeldet, es werden auch weniger Medikamente im Lande produziert. Letzteres betrifft vor allem den Bereich, der nicht mehr dem Patentschutz unterliegt, also die Generika, die jeder Pharmaproduzent herstellen kann, wenn er meint, dass es sich für ihn lohnt. In diesem Bereich sind Rabattverhandlungen die Regel, sie sichern der Firma, die sich mit einer Krankenkasse einigt, einen gehörigen Markt. Die Konkurrenz hat die Preise jedoch erheblich gedrückt, was auch ganz im Sinne der Gesundheitspolitiker war. Die Firmen haben sich schadlos gehalten, indem sie von ihrer Freiheit Gebrauch gemacht haben, in der ganzen Welt auf billige Arbeitskräfte zuzugreifen und dort produzieren zu lassen, wo weniger Rücksichtnahme auf die Natur von seiten des Staates gefordert ist. So findet sich die Produktion von Vorprodukten oder auch Medikamenten vorzugsweise in Indien und China. Wegen der geringen Gewinnspannen konzentriert sich die Herstellung wie auch der Vertrieb in Deutschland bei einer ganzen Reihe von Produkten inzwischen auf einige wenige Firmen. Kommt es in dieser Lieferkette aus irgendeinem Grund zu Störungen, wie zum Beispiel während und in Folge der Coronapandemie, sind bestimmte Medikamente wie Antibiotika, Blutdrucksenker oder Krebsmittel bis hin zu Kochsalzlösungen nicht mehr oder nur schwer erhältlich.

In diesem Mangel sieht die Politik eine doppelte Gefahr: zum einen für die Versorgung der Bevölkerung, damit diese auch mit ihren dauerhaften Schädigungen weiter funktioniert; zum anderen, weil die deutsche Regierung auch mit der sich verschärfenden Konfrontation mit China kalkuliert. Deshalb ist es wichtig, Pharmafirmen lohnende Geschäftsbedingungen zu verschaffen. Dazu gehört dann auch die Geheimhaltung von Rabatten, wenn sich dies für die Attraktivität Deutschlands als Pharmastandort auszahlt.

Es stellt sich da die Frage, ob es sich bei den neueren Enthüllungen nicht eher um erfindungsreichen statt um investigativen Journalismus handelt. Denn die offensichtlichen Absichten der Politik wollen diese Journalisten erst gar nicht zum Thema machen. Auch im Bereich der Medikamentenversorgung will Deutschland eben »kriegstüchtig« werden, d. h. hier oder in Europa sollen so umfänglich Arzneimittel und Medizinprodukte hergestellt werden, dass Deutschland und die EU nicht erpresst oder geschädigt werden, sondern sich gegen Konkurrenten in Stellung bringen können. Dass China eventuell Medikamente als Druckmittel benutzen könnte, ist ja nicht von der Hand zu weisen; schließlich kreuzen Deutschlands Kriegsschiffe bereits vor der Küste Chinas, und dem Land ist die »Systemrivalität« offiziell angesagt. Aber das ist für den deutschen Qualitätsjournalismus alles andere als ein Skandal.

Anmerkungen:

1 www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/gesundheitssystem-medikamente-pharmaunternehmen-104.html

2 Entwurf eines Medizinforschungsgesetzes, 29.5.2024, t1p.de/Medizinforschung

Suitbert Cechura schrieb an dieser Stelle zuletzt am 16. August 2024 über Karl Lauterbachs »Gesundes-Herz-Gesetz«

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