Billige Entschuldigung
Von Hansgeorg Hermann, ChaniáBundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am Donnerstag seinen Staatsbesuch in Griechenland mit einer Kurzvisite auf der Insel Kreta beendet. Konfrontiert wurde er von seinen Gastgebern mit den Greueltaten der deutschen Wehrmacht, die 1941 das Dorf Kandanos dem Erdboden gleichgemacht hatte. Wie schon sein Vorgänger Joachim Gauck, ein ehemaliger Pfarrer, brachte der oberste Repräsentant Deutschlands vor allem warme Worte mit. Die von allen politischen Parteien des Landes, der Regierung und der obersten Gerichtsbarkeit verlangte Rückerstattung der vom Naziregime 1942 erpressten »Zwangsanleihe« ließ auch dieses Staatsoberhaupt kalt: Die Sache sei »nach völkerrechtlichen Kriterien« erledigt. Die BRD habe demnach die Schulden, die sich nach heutiger Rechnung auf inzwischen rund 350 Milliarden Euro summiert haben, nicht zu bezahlen.
Sowohl Griechenlands Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou als auch Regierungschef Kyriakos Mitsotakis hatten die Forderung, offenbar einigermaßen überraschend für den auf Harmonie gebuchten Gast, von Anfang an in den Mittelpunkt ihres Empfangsprogramms gerückt.
Steinmeier hatte am Dienstag zunächst Station in Thessaloniki gemacht, Sakellaropoulous Heimatstadt, und dort die jüdische Gemeinde besucht. Sie zählt heute keine tausend Köpfe mehr, wie die Historikerin Rika Benveniste von der Universität Volos gegenüber jW konstatierte. Sie sind die Nachkommen »jener, die überlebten«, wie es in einem ihrer Bücher heißt, einer einst bis zu 80.000 Menschen zählenden Gemeinschaft, die in den deutschen Vernichtungslagern fast vollständig ausgelöscht wurde. Geschenk der BRD für das im Bau befindliche Holocaustmuseum in Thessaloniki: ein Foto, das die Deportation jüdischer Familien Richtung Mauthausen dokumentiert. Ein Zuschuss von zehn Millionen für das auf rund 25 Millionen Euro Baukosten veranschlagte Projekt war bereits in der Planungsphase genehmigt worden.
Ironische Kritik fing sich Steinmeier in der Metropole Thessaliens ein, weil er zwar – wie unter deutschen Politikreisenden üblich – die »tapferen« Griechen lobte und sich von den bösen Taten der Wehrmacht und der SS-Schergen »erschüttert« zeigte, aber »vergaß«, die Rolle des griechischen Widerstands (Antistasi) zu würdigen. »Die Deutschen sagen ›Entschuldigung, Hellas‹ – und in Thessaloniki kein Wort zur ELAS« titelte am Mittwoch die Tageszeitung Efimerída ton Syntaktón (Efsyn). In der Tat erwähnen deutsche Gäste die griechische »Antistasi« ungern; sie wurde von der weitgehend kommunistisch organisierten Volksbefreiungsarmee (ELAS) getragen, ihren Kampf gegen die Besatzer schloss sie am 30. Oktober vor 80 Jahren mit der Vertreibung der Wehrmacht aus Thessaloniki erfolgreich ab.
Die hässliche Vergangenheit deutscher Aktivitäten ließ Steinmeier bis zum Ende seiner Reise nicht mehr los. Im kretischen Kandanos hatten deutsche Fallschirmjäger im Juni 1941 den gesamten Ort niedergebrannt und die Einwohner umgebracht oder vertrieben. 80 Jahre später erinnerte Efsyn in einem Sonderdruck an deutsche Greueltaten. Selbst sogenannten »Leitmedien« in der BRD sind inzwischen die grauenhaften Fotos aus der Dokumentation bekannt, unterstrichen vom bezeugten zynischen Kommentar eines deutschen Offiziers im Nachbardorf Rodovani: »Eure Felder gehören uns, eure Tiere gehören uns, und ihr – ihr gehört uns auch.«
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